Österreich, Niederlande, Griechenland, Italien: Fast überall in der EU erhält die extreme Rechte Aufwind. Das wird auch die Europawahlen beeinflussen.

Der grinsende Wolfgang Kickl von der östereichischen FPÖ hält einen Sticker in der Hand mit der Aufschrift: Opas gegen links

Wär wohl gern wie Viktor Orbán: FPÖ-Chef Wolfgang Kickl Foto: Daniel Scharinger/imago

BERLIN taz | Das Wahlvolk in Österreich ist wenig nachtragend: Der Skandal um das Ibiza-Video vom Mai 2019, bei dem der ­damalige FPÖ-Vizekanzler Heinz-­Christian Strache freimütig über die Umgestaltung Österreichs zur Auto­kratie nachdachte, ist vergessen. Die FPÖ liegt mit rund 30 Prozent in den Umfragen stabil vorn. Auf Wiener ­Bühnen laufen Diskussionsrunden mit Titeln wie „Wer hat Angst vor ­Herbert Kickl? Was mit Österreich ­passiert, wenn der FPÖ-Chef regiert“. Kickl sagt selbst gern, dass er in jenem Fall dem autoritären ungarischen Mi­nister­präsidenten Viktor Orbán nacheifern wolle. Österreich brauche „a ­bisserl mehr ungarische Paprika, a bisserl mehr ungarische Chili“, so Kickl.

Fast überall in der EU ist die extreme Rechte im Aufwind. „Bei den Wahlen zum Europaparlament 2019 bestand der zentrale Machtkampf zwischen Populisten, die der europäischen Integration den Rücken kehren wollten, und Mainstream-Parteien, die das europäische Projekt vor Brexit und Trump retten wollten“, sagt der Politikwissenschaftler Mark Leonard vom European Council on Foreign Relations. „Doch diesmal wird es ein Wettstreit zwischen miteinander konkurrierenden Ängsten vor steigenden Temperaturen, Zuwanderung, Inflation und militärischen Konflikten.“ Dank heißlaufender Propagandaschlachten in den sozialen Medien liegt die extreme Rechte oft vorn.

In den Niederlanden etwa kam im November der Islamkritiker Geert Wilders mit rund 23,5 Prozent auf Platz eins. Die anderen Parteien haben bisher keine Bereitschaft gezeigt, mit ihm zu koalieren – unter anderem, weil Wilders Hilfen für die Ukraine lange ablehnend gegenüberstand. Eine Minderheitsregierung scheint für Wilders indes möglich.

Spätestens seit in Frankreich Präsident Emanuel Macron im April 2023 sein Lieblingsprojekt, die schwer unpopuläre Rentenreform, durchsetzte, stehen die rechtsextreme Marine Le Pen und ihr Rassemblement National mit zuletzt knapp 30 Prozent auf Platz eins der Umfragen. Macron hatte in der Ukraine-Frage zuletzt mit dem Gedanken an EU-Bodentruppen gespielt, was in Frankreich auf Skepsis stieß. Die seit jeher als russlandnah bekannte RN schlachtete dies direkt aus: „Macrons kriegerische Haltung, die das Entsenden französischer Soldaten nicht ausschließt, beunruhigt das Land“, sagte Parteichef Jordan Bardella.

Hart nach rechts gerückt ist auch Griechenland. Dort hatte die konservative Nea Dimokratia 2019 die linke Syriza abgelöst. Die Regierung des Premierministers Kyriakos Mitsotakis hat seither zunehmend autoritäre Züge gezeigt, sodass nur noch wenig programmatische Distanz zur extremen Rechten besteht. Unliebsame Jour­na­lis­t:in­nen werden mit Spyware überwacht, im Grundrechte-Ranking der NGO Civicus kommt Griechenland nur noch auf 58 von 100 Punkten.

Kein Durchmarsch bei Europawahlen

Auch Skandinavien galt lange als feste Bank für die Sozialdemokratie. Heute ist das anders: In Finnland wurden die rechtsextremen „Wahren Finnen“ bei der Parlamentswahl 2023 mit 20,1 Prozent zweitstärkste Partei. Sie regieren seither mit dem Wirtschaftsliberalen Petteri Orpo. Die vor allem im Ausland so beliebte Sozialdemokratin Sanna Marin musste gehen und arbeitet heute bei einem Thinktank des britischen Ex-Premiers Tony Blair. In Spanien ist die rechtsextreme Vox auf dem Vormarsch, in Italien hat die postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in den ersten 15 Monaten ihrer Amtszeit nichts an Popularität eingebüßt.

Bei den EU-Wahlen im Juni wird der Rechtsruck deutlich durchschlagen. Einen Durchmarsch wird es allerdings wohl nicht geben. Jüngsten Umfrageanalysen des Magazins Politico zufolge könnten die beiden extrem rechten Fraktionen ID und EKR von derzeit 128 auf zusammen etwa 160 Sitze wachsen. Sie blieben damit aber immer noch weit hinter der konservativen EVP mit rund 175 und der sozialdemokratischen S&D-Fraktion mit 136 Sitzen zurück.



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