Schon Jahre vor dem Treffen in Potsdam hat der rechte Netzwerker Gernot Mörig in sein Wohnhaus geladen. Und zu Indoktrinations-Workshops für Kinder ab 13 Jahren.
Wenn Gernot Mörig einlädt, dann gern gediegen. Etwa nach Niederkassel, einer noblen Gegend in Düsseldorf. Hier, in etwa 300 Metern Luftlinie zu den weitläufigen Wiesen am Ufer des Rheins, liegt seine grün bewachsene Villa. So charmant die Szenerie äußerlich anmuten mag, so besorgniserregend waren die Aktivitäten im Inneren: Sein Haus diente Mörig als Treffpunkt für rechte Vernetzungs- und Propagandatreffen.
Mörig, ein pensionierter Zahnarzt, bewegte sich schon vor Jahrzehnten im rechten Milieu. Im Januar wurde er durch Recherchen von Correctiv als Organisator eines privaten Vernetzungstreffens in Potsdam bekannt. Es fand im November 2023 in ebenfalls schmuckem Ambiente im Hotel Landhaus Adlon am Lehnitzsee statt. Vor AfD-PolitikerInnen, CDU-Mitgliedern und UnternehmerInnen hatte Martin Sellner, führender Kader der Identitären Bewegung in Österreich und Deutschland, über „Remigration“ gesprochen und laut Correctiv dabei auch die Ausweisung deutscher StaatsbürgerInnen mit Migrationsgeschichte gemeint. Mörig weist diese Darstellung zurück. Neben Potsdam waren bisher bis zu sechs weitere Veranstaltungen einer Reihe bekannt, die als „Düsseldorfer Forum“ bezeichnet wird.
Nun zeigt sich: Schon vor Jahren organisierte Mörig Treffen im kleinen Kreis in seinem damaligen Wohnhaus in Düsseldorf. Bereits 2011 schrieb er in einer Einladung von „traditionellen Treffen“. Sie seien „immer wieder die Basis verschiedener Projekte“. Und schon vor Jahren folgten sie einem ähnlichen Muster wie dem in Potsdam 2023: Um dabei zu sein, sollten die handverlesenen KandidatInnen, die sich zuvor nicht unbedingt kannten, einen Beitrag leisten und 500 Euro zahlen. So hat es die Gruppe „Völkische Verbindungen Kappen“ in Kooperation mit der Autonomen Antifa Freiburg recherchiert. Dabei offenbart sich, wie heutige rechtsextreme Verbindungen der AfD auf alten völkischen Netzwerken und Bünden fußen.
Der taz liegen Kopien von internen E-Mails von und an Mörig zu mehreren Anlässen in Düsseldorf vor. Sie stammen aus dem Jahr 2011. Daraus geht hervor, dass Mörigs Familie in die Organisation der Treffen eingebunden war. Seine Tochter Inka machte Vorschläge für potenzielle Teilnehmer, seine Frau Astrid lud mit ihm ein, seine Schwester, die kürzlich verstorbene AfD-Politikerin Ute Grebien, verschickte Bücher als Vorbereitungsmaterial. Was ebenfalls deutlich wird: Mörig zielte besonders auf junge Leute ab. In Düsseldorf organisierte er „Schüler- und Studententreffen“ für Kinder und Jugendliche ab 13 Jahren.
Auf Anfrage der taz, insbesondere zur Organisation von Propagandatreffen für Kinder, schickte Mörigs Anwalt ein fünfseitiges Schreiben, in dem er die Vorwürfe zurückweist. Der Anwalt untersagt der taz jedoch, Aussagen aus dem Schreiben zu zitieren oder zu paraphrasieren.
Familien-Clan in rechte Organisationen vertrickt
Die Bemühung besonders um rechtsextremen Nachwuchs scheint vielen aus dem Mörig-Clan ein Anliegen. Nächste Verwandte wie Angehörige des erweiterten Familienkreises Mörigs waren oder sind in rechte Organisationen verstrickt, darunter in die heute verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ), in rechte Burschenschaften oder auch in die Identitäre Bewegung (IB), die durch hippes Auftreten und moderne Kommunikationsstrategien bei jungen Leuten Anschluss sucht. Auch zum „Sturmvogel“, einem Netzwerk, das Kinder bei Fahrten und Lagern im rechtsextremen Geiste erziehen will, gibt es Verbindungen.
Der Sohn von Gernot Mörig, Arne Friedrich Mörig, war im November 2023 ebenfalls bei dem Treffen in Potsdam dabei, wo er laut Recherchen von netzpolitik.org Pläne für eine Agentur für rechte Influencer vorstellte. Die mutmaßliche Intention: gerade Jugendliche noch stärker in den Sozialen Medien anzusprechen – vor allem über Videos. Sohn Arne arbeitete für den AfD-Bundesvorstand und soll laut Recherchen von NDR, WDR und SZ direkt aus dem persönlichen Budget von Parteichefin Alice Weidel bezahlt worden sein. Die Zusammenarbeit wurde nach Bekanntwerden von Mörigs Teilnahme am Potsdamer Treffen eingestellt. Arne Friedrich Mörig antwortete nicht auf eine Anfrage der taz.
Bei Vater Gernot reicht die rechte Indoktrination junger Menschen indes noch in eine Zeit vor dem Internet zurück. Im Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) sorgte sich Gernot Mörig um die rechte Einstellung der Jugend. 1975 wurde er zunächst dessen 2. Bundesführer und leitete den Bund dann von 1977 bis 1980 als 1. Bundesführer – so geht es aus Einträgen des Vereinsregisters hervor. Mörig gibt an, von 1976 bis 1979 Bundesführer gewesen zu sein. Er erklärt, in der Zeit den „teils extremen Kräften“ im BHJ entgegengewirkt zu haben. Der BHJ organisierte unter anderem Ferienlager und Wanderungen.
Schon in den 1970ern war Gernot Mörig führend im Bund Heimattreuer Jugend dabei
Ähnlich agierte auch die neonazistische „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ), die als spätere Abspaltung aus dem rechtsextremen Flügel des BHJ hervorging. Eltern, die auf eine rechtsextreme Gesinnung Wert legten, schickten ihre Kinder auf eines der Lager. Das Freizeitprogramm umfasste den Drill zu „soldatischer Erziehung“, Geländemärsche, Fahnenappelle und „Rassenkundeschulungen“. Mitgegründet wurde der Vorläufer des Verbands, „Die Heimattreue Jugend“, Anfang der 1990er Jahre von dem heutigen Plöner AfD-Politiker Thomas Grebien. Er ist der Mann von Mörigs verstorbener Schwester Ute.
Gernot Mörig scheint mit seinem Schwager in den letzten Jahren gemeinsame Sache gemacht zu haben: Im Rahmen eines Treffens des „Düsseldorfer Forums“, zu dem auch die Zusammenkunft in Potsdam zählt, soll Mörig darauf hingewiesen haben, dass Spendengelder über das private Konto von Thomas Grebien laufen sollten.
Im Jahr 2009 wurde die „Heimattreue Deutsche Jugend“ verboten. Ein Jahr zuvor kam es im Wohnhaus der Mörigs in Düsseldorf-Niederkassel im Zuge der Ermittlungen gegen die HDJ zu einer Durchsuchung – und zwar bei Tochter Wiebke. Beschlagnahmt wurden laut einem Gerichtsbeschluss, welcher der taz vorliegt: fünf Ausgaben der HDJ-Zeitschrift Funkenflug, ein Collegeblock mit rechten Liedtexten, ein Buch „Warum wir Adolf Hitler wählten“, ein Doppelband „Ein anderer Hitler“, sechs Wandkalender der HDJ aus der Zeit zwischen 1996 bis 2006 sowie weiteres Beweismaterial.
Zielsetzung des Vereins sei die Heranbildung einer neonazistischen „Elite“, schrieb das Bundesinnenministerium 2009 zur Begründung des HDJ-Verbots. „Dies erfolgt in Form einer ideologischen Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche durch Verbreitung völkischer, rassistischer, nationalistischer und nationalsozialistischer Ansichten im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote.“
Rund zwei Jahre nach dem Verbot des Jugendverbands verschickte Gernot Mörig am 12. April 2011 eine E-Mail mit dem Betreff „Studenten- bzw. Schülertreffen“. Er lade vom 1. bis 5. Juni zu einem „privaten Treffen mit hochinteressanten Referenten“ in den Raum Düsseldorf ein. „Bei uns tagen die ca. 19 – 30-jährigen und in Lank-Latum die ca. 13 – 19-jährigen Teilnehmer“, wirbt Mörig bei den Interessierten. Lank-Latum ist ein Stadtteil des reichen Düsseldorfer Vororts Meerbusch.
Themen und Referenten des verlängerten Wochenendes: „Gentechnik“, „Kontroverseses zum Thema: AIDS-HIV“ (sic!), „Freimaurer“ und mehr. Alfred Mechtersheimer, der einst aus der Friedensbewegung und dem Umfeld der Grünen kam und sich später der rechtsextremen Szene zuwandte, solle über „Heuschrecken und Wirtschaftskriese“ (sic!) sprechen, Eva Klotz über „Südtirol“.
Klotz ist eine Politikerin der „Süd-Tiroler Freiheit“, einer Bewegung, die sich für eine Abspaltung des Gebiets von Italien einsetzt, gegen „Überfremdung“ und für einen „Vorrang für deutsche Kinder in deutschen Kindergärten und Schulen“ agitiert. Klotz’ Vater war Befürworter des „bewaffneten Aufstandes“ und wurde zwischen 1965 und 1969 in drei Antiterror-Prozessen in Mailand in Abwesenheit zu über 52 Jahren Haft verurteilt, wegen versuchten Mordes und Attentaten. Eva Klotz verehrt ihren Vater in einer Biografie als „Freiheitskämpfer für die Einheit Tirols“.
Völkische Indoktrination der Jugend
Noch ein weiteres Themenangebot plante Mörig für das Treffen von Schülern und Studenten im Sommer 2011: „Medizinisch-wissenschaftliche Gesichtspunkte zum Thema: Geburtenrückgang“. Wer frühere Ausführungen Mörigs kennt, in denen er völkisch-rassistische Ideen verbreitet, ahnt, was gemeint sein könnte. In der rechtsextremen Zeitung Nation Europa schrieb Mörig 1977 in einem Artikel über seine Jugendarbeit: „Jedes Lebewesen auf dieser Welt führt von Geburt an in mehr oder weniger harter Form einen Kampf ums Dasein (…), so braucht zum Beispiel jedes Volk Raum zum Leben, dieser Raum muss jedoch erkämpft werden. (…) Angehörige eines Volkes sind zumeist durch ein mehr oder weniger gemeinsames Generbe geprägt.“
Weiter führte er in der Zeitung aus, dass zwei Grundbegriffe seine Arbeit prägten: „Die bündische und die weltanschaulich-politische Tätigkeit.“ Beides zusammen erst sei „ein Garant dafür, dass wahre Persönlichkeiten in unseren Reihen heranwachsen“.
Politische Bünde schmiedeten die Mörigs auch mit sogenannten „Kaminrunden“, die eher für Erwachsene bestimmt waren. Weitere E-Mails aus 2011, von denen der taz Kopien vorliegen, zeigen Parallelen zu dem rechten Treffen in Potsdam zwölf Jahre später. Zu einer Zusammenkunft „im privaten Kreis“ laden Mörig und seine Frau und hoffen, dass ihr „Wohn- und Eßzimmer“ gut gefüllt sein werde. Sie bitten um Anmeldung und darum, den „Unkostenbeitrag von 500 € möglichst direkt am Abend zu entrichten“.
Die Teilnehmenden scheinen zufrieden. An einer der Runden nahm etwa die damals aktive Rapperin „Dee Ex“ teil, die mit bürgerlichem Namen Mia Herm heißt. Sie antwortete nicht auf eine Anfrage der taz. Herm wurde in jener Zeit für ihren Hip-Hop in der rechten Szene bekannt und nahm einen Song mit dem Sänger der rechtsextremen Hooligan-Band „Kategorie C“ auf. In einer E-Mail im Januar 2011 sendet sie Gernot Mörig „patriotische Grüße“ und schreibt, sie habe sich bei den Mörigs sehr wohl gefühlt und sei froh, dass sie „so viele klardenkende Menschen kennenlernen durfte“. Herm bedankt sich für das „unglaubliche“ Wochenende und „für die mir ermöglichten Einblicke in eine etwas andere Welt“.
Es ist eine Welt, von der nach und nach immer mehr ans Licht kommt.