Im Schatten des Krieges begehen Muslime in Jerusalem den Auftakt des Fastenmonats Ramadan. Die Hoffnung auf eine Feuerpause bleibt weiter unerfüllt.
JERUSALEM taz | Für gewöhnlich wäre Ahmed Nadschib in den Tagen vor dem Ramadan damit beschäftigt, in den schmalen Gassen der Altstadt von Jerusalem Festbeleuchtung aufzuhängen. Doch in diesem Jahr bleibt das arabische Viertel vor dem Tempelberg ungeschmückt. „Solange in Gaza Menschen sterben und hungern, ist niemandem nach Feiern zumute“, sagt der 20-Jährige mit den kurz rasierten Haaren. Die maßgeblich von den USA geschürte Hoffnung, bis zum Beginn des muslimischen Fastenmonats am Sonntagabend zumindest eine Feuerpause auszuhandeln, hat sich nicht erfüllt.
Auf den wenigen hundert Metern vom Damaskustor bis zum Eingang des Tempelbergs hat die israelische Grenzpolizei vier Kontrollpunkte eingerichtet. Herausgewunken werden vor allem junge Männer wie Nadschib. „Eigentlich würde ich an Ramadan jeden Tag auf den Tempelberg, aber die Polizei hat mir ein dreimonatiges Verbot erteilt. Sie sagen, ich würde Probleme machen“, sagt der junge Mann. Während des Fastenmonats werden für gewöhnlich täglich zehntausende Gläubige erwartet.
Seit dem Hamas-Überfall am 7. Oktober 2023 hat Israel das besetzte Westjordanland weitgehend abgeriegelt. Dem rechtsextremen israelischen Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir reichte das noch nicht. Er drängte in den vergangenen Wochen darauf, auch den Muslimen in Israel, die knapp ein Fünftel der Bevölkerung ausmachen, den Besuch auf dem Tempelberg zu verbieten.
Doch Ministerpräsident Benjamin Netanjahu folgte letztlich den Warnungen von Armee und Geheimdiensten, dass ein solcher Schritt unnötig Öl ins Feuer gießen würde. Nun gelten nur strengere Regeln: Zwar dürfen Muslime aus dem Westjordanland während des Ramadan nach Jerusalem, männliche Gläubige zwischen 12 und 70 Jahren sind davon jedoch ausgeschlossen.
Katar soll der Hamas gedroht haben
Die israelische Sicherheitskontrolle über die besetzte und annektierte Altstadt und die Al-Aksa-Moschee als dritthöchstes Heiligtum des Islam haben großes Eskalationspotential. Im Jahr 2000 löste der damalige Oppositionspolitiker und spätere Ministerpräsident Ariel Scharon mit einem Besuch auf dem Tempelberg den als Zweite Intifada bekannten palästinensischen Volksaufstand aus. Rund eintausend Israelis und mehr als viermal so viele Palästinenser wurden getötet.
Nicht ohne Grund nannte die von der EU als Terrororganisation eingestufte Hamas ihren Angriff im Oktober „Al-Aksa-Flut“. Hamas-Sprecher Osama Hamdan rief vergangene Woche aus dem Exil in Beirut Palästinenser dazu auf, „jeden Augenblick des Ramadan zu einer Konfrontation zu machen“. Im Westjordanland hat die Zahl der israelischen Razzien und der getöteten Palästinenser den höchsten Stand seit 20 Jahren erreicht.
In Kairo bemühen sich Vermittler aus den USA, Katar und Ägypten indes weiter um einen baldigen Waffenstillstand. Doch die Verhandlungen stocken seit Wochen. Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad warf der Hamas nun vor, auf eine Eskalation während des Ramadan zu setzen. Bereits jetzt werden die Hisbollah im Libanon, die Huthis im Jemen und weitere vom Iran unterstützte Milizen zunehmend in den Konflikt hineingezogen.
Die Hamas fordert ein Ende des Krieges und einen Abzug der israelischen Truppen. Die israelische Regierung ist nicht bereit, die Kämpfe einzustellen, und droht, während des Ramadan nach Rafah im Süden des Gazastreifens vorzurücken. Dort harren drei Viertel der rund 2,3 Millionen Bewohner des Küstenstreifens unter katastrophalen Bedingungen aus.
US-Präsident Joe Biden bezeichnete eine solche Offensive am Samstag gegenüber dem Sender MSNBC als „rote Linie“ und warf Netanjahu vor, er würde „Israel mehr schaden als helfen“. Für die US-Militärhilfen dürfte das jedoch keine Folgen haben: Biden fügte hinzu, er werde „Israel niemals alleine lassen“. Druck auf die Hamas könnte stattdessen von Katar kommen: Laut Wall Street Journal hat Doha gedroht, die Führungsriege der Hamas, einschließlich Anführer Ismail Hanija, des Landes zu verweisen, sofern bis zum Ramadan keine Einigung erzielt werde.