Ein Roman über die Rote Armee Fraktion? Bevor am vorletzten Montag aufflog, dass eine prominente Kämpferin seit Jahrzehnten unbehelligt ihr Privatleben in Berlin verbracht hat, hätte man das für ein Unternehmen halten können, das sich an historisch Abgeschlossenem abarbeitet. Nachdem aber die Fahndung nach ihren Genossen auf Hochtouren läuft, kann es vielleicht angehen, sich anlässlich dieses Buchs von Stefanie Bart auf die geistesgeschichtlichen Wurzeln eines offenbar immer noch aktuellen Phänomens zu besinnen.
Sie reichen tief hinab. Aus der hellenistischen Religiosität um 200 nach Christus stammt die “Gnosis” (griechisch: Erkenntnis): ein verzweigtes und anpassungsfähiges Geflecht religiöser Anschauungen, denen die real existierende Welt als eine Art Todesstern gilt. Weltreiche, Reichtümer, Ruhm, Macht und Majestät sind Werke des “Demiurgen”, eines Fürsten der Finsternis, der die ganze Welt beherrscht. Die ganze? Nein! Es gibt noch die wenigen Reinen und Wissenden, deren Reich nicht von dieser Welt ist. Sie bewahren und entfachen in sich den Funken der Erinnerung an den reinen Ursprung der gefallenen (“entfremdeten”) Realität, denn “es ging 7 jahre lang darum, in dieser politischen wüste, in der alles nur schein, ware, verpackung, lüge und betrug ist, den geist und die moral, die praxis und die politische orientierung des unwiderruflichen bruchs und der zerstörung des systems hereinzubringen”, wie es in einem Text der Roten Armee Fraktion vom Mai 1982 heißt. Der Gedankensprung vom 2. ins 20. Jahrhundert ist nicht so tollkühn, wie es scheint. Denn Motive der antiken Gnosis sind in vielen Formen politischer Weltablehnung seither durch die Zeit gereist, bis in unsere. Sie sind aufgetaucht bei den mittelalterlichen Katharern, in der Revolutionstheologie von 1525, im Pietismus Friedrich Christoph Oetingers und Johann Albrecht Bengels, säkularisiert bei den Jakobinern, Kommunisten, Nazis. Und nicht zuletzt eben auch in den Kassibern der Terroristen, die von 1968 bis 1998 die Bundesrepublik an den Rand eines unerklärten Bürgerkriegs geschossen und gebombt haben.