Stralsund. Ein SUV-Fahrer hat Anfang März beim Abbiegen in die Greifswalder Chaussee einen E-Bike-Fahrer übersehen. Der Mann stürzte vom Rad, kam mit schweren Rückenverletzungen ins Krankenhaus und wird lange Zeit auf Hilfe angewiesen sein. Solche Unfälle sind in der Hansestadt zum Glück nicht alltäglich, wohl aber vermeidbar.

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Während Autofahrer geschützt von Stahl umgeben bequem sitzen, tragen Radfahrer bei einem Zusammenstoß und einem Sturz oft schwere Blessuren davon, auch ihr Rad wird beschädigt. Hinzu kommt: Die Autos werden immer größer, die Fahrräder wegen des Elektro-Antriebs immer schneller.

Stralsund schneidet bei Fahrradklima-Test schlecht ab

Hält die Stralsunder Infrastruktur für Radfahrer mit dieser Entwicklung Schritt? Immerhin wird der Stadt seit Jahren im Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) bescheinigt, dass das Sicherheitsgefühl der Radfahrer schlecht ist. Im letzten Test wurde der Punkt mit der Schulnote 4,7 bewertet.

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Fahrradklimatest des ADFC

Am zweijährlichen Fahrradklimatest des ADFC kann jeder teilnehmen und die Gegebenheiten für Radfahrer in seinem Ort bewerten. Bei der jüngsten Auswertung für das Jahr 2022 lag die Gesamtnote für Stralsund bei 4,4. In der Kategorie der Städte zwischen 50 000 und 100 000 Einwohnern belegte die Hansestadt damit Platz 96 von 113 Orten. Seit 2014 steigt die Unzufriedenheit. Damals lag die Gesamtnote noch bei 3,7.

Gute Noten gibt es für die Punkte geöffnete Einbahnstraßen in Gegenrichtung und Erreichbarkeit des Stadtzentrums.

Schlechte Noten gibt es in den Punkten Fahrradmitnahme im ÖPNV, Breite der Radwege und Führung an Baustellen. Eine 4,7 gibt es für die Punkte Sicherheitsgefühl und Konflikte mit Kfz.

Vom 1. September bis zum 30. November dieses Jahres läuft der nächste Fahrradklimatest. Die Auswertung erfolgt voraussichtlich im April 2025.

Um das Sicherheitsgefühl zu verbessern, bat die Stralsunder Bürgerschaftsfraktion Linke/SPD die Stadtverwaltung, zu prüfen, ob die Radfahrstreifen rot markiert werden könnten. Ergebnis: „Eine flächendeckende Rotfärbung stellt kein wirtschaftlich angemessenes und auch kein erforderliches Mittel zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für Fahrradfahrer dar.“

Die Rotmarkierung solle nur dort zur Anwendung kommen, „wo aufgrund der Kfz-Verkehrsführung eine besondere Konfliktsituation besteht und damit eine besondere Aufmerksamkeit des Kfz-Verkehrs auf den Radverkehr erforderlich ist“.

Das sei etwa dort der Fall, wo Pkw und Co. „beim Rechtsabbiegen über einen parallel verlaufenden Schutz- oder Radfahrstreifen in eine separate Rechtsabbiegespur geführt werden“. So ist es beispielsweise schon an der neu ausgebauten Kreuzung Tribseer Damm/Carl-Heydemann-Ring der Fall. Eine Kreuzung weiter, also Heydemannring/Alte Richtenberger, wird die rote Markierung noch ergänzt.

Rote Markierungen wie auf dem Tribseer Damm sollen punktuell die Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr erhöhen.

Rote Markierungen wie auf dem Tribseer Damm sollen punktuell die Sicherheit für Radfahrer im Straßenverkehr erhöhen.

Marc Quintana Schmidt: „Richtige Radwege wären die beste Lösung“

Im Grunde heißt die Antwort: Eine große Maßnahme wäre zu teuer und würde nicht viel bringen, punktuell wäre es aber sinnvoll. Bürgerschaftsmitglied Marc Quintana Schmidt (Die Linke) ist zufrieden: „Die Antwort ist nachvollziehbar und geht über unser Anliegen hinaus. Wir werden weiterhin das Thema Sicherheit für Fahrradfahrer im Stadtverkehr kritisch begleiten.“ Ziel sei es, einen „erhöhten Komfort“ für Radfahrer zu erreichen. „Richtige Radwege wären aus unserer Sicht die beste Lösung. Gerade Eltern und Kinder fühlen sich darauf sichererer als auf Radschutzstreifen am Rande einer Fahrbahn.“

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Das sehen auch die Stralsunder Radfahrer so, mit denen die OZ für diesen Beitrag gesprochen hat. Dieter Ulthoff zum Beispiel sagt: „Ich bin täglich mit dem Rad unterwegs. Wo es geht, vermeide ich es, auf diesen Streifen zu fahren. Das ist mir zu gefährlich.“ Das Gefühl sei besonders unangenehm, wenn ein Bus dicht an ihm vorbeifahre.

Dieter Ulthoff ist täglich mit dem Fahrrad auf Stralsunds Straßen unterwegs: „Wo es geht, meide ich die Radschutzstreifen.“

Dieter Ulthoff ist täglich mit dem Fahrrad auf Stralsunds Straßen unterwegs: „Wo es geht, meide ich die Radschutzstreifen.“

Autos halten nicht immer den Abstand von 1,5 Metern ein

Ein anderer Radfahrer (76) aus der Friedrich-Naumann-Straße kritisiert, dass bei der Sanierung von Straßen nicht daran gedacht werde, einen separaten Radweg einzurichten. „Ich komme aus Cottbus. Da läuft es wesentlich besser.“ Die neu gestaltete Kreuzung vor der Arbeitsagentur mit den vielen Markierungen empfinde er als unübersichtlich. „Ich fahre immer über den Fußweg anstatt auf der Fahrbahn, um auf Nummer sicher zu gehen.“ Wer die Szenerie dort eine Weile beobachtet, wird feststellen, dass es viele andere Radfahrer genauso machen.

„Ein Radweg gehört nicht auf die Straße“, findet auch eine 59-jährige Stralsunderin, die an jener Kreuzung gerade an der Ampel wartet. Die Schutzstreifen nennt sie „richtig blöd, vor allem, wenn man den Windzug eines Lkw spürt. Die Angst fährt immer mit.“ Autofahrer, so ihre Erfahrung, würden verleitet, beim Überholen nicht die vorgeschriebenen 1,50 Meter Abstand zu halten, sondern sich lediglich an der gestrichelten Markierung zu orientieren. „Dann kann es mit den Außenspiegeln knapp werden.“

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Außerdem habe sie auf dem neu gestalteten Tribseer Damm nicht nur Angst wegen des Verkehrs zu ihrer Linken. „Rechts muss ich auch noch im Blick behalten, dass nicht vor meiner Nase eine Autotür von den parkenden Fahrzeugen aufgeht.“

ADFC fordert „Abkehr von der Auto-affinen Planung“

Zwar seien ungute Gefühle da, wirklich brenzlige Situationen hätten die drei aber nicht erlebt. Bleibt die Frage, ob Stralsund genug tut in Sachen Fahrradsicherheit. Thomas Grabe, Sprecher des ADFC Stralsund-Rügen, verweist auf eine Fahrraddemo 2019, bei der gefährliche Ecken in der Stadt angefahren wurden.

Einige „Brennpunkte“ wurden entweder behoben, etwa das Trennen des Fuß- und des Radwegs an der Sundpromenade, oder wenigstens verbessert, wie die Querung für Radfahrer an der Seestraße. Lob gibt es auch für die Umgestaltung der Bahnhofstraße zur Fahrradstraße.

Kritisch bleibe, dass Radfahrer am Frankendamm vom Radweg auf den Kreisverkehr geleitet werden. Die Situation vorm Intercity-Hotel sei weiterhin für Radfahrer und Fußgänger gleichermaßen ungünstig und auch die Sarnowstraße – komplett ohne Radwege, dafür mit Kopfsteinpflaster und in beide Richtungen fahrenden und parkenden Autos – sei für Radfahrer nicht gut gestaltet.

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Der ADFC fordert ein grundsätzliches Umdenken: „Abkehr von der Auto-affinen Planung, Neuaufteilung des öffentlichen Straßenraumes mit genügend Platz für Fußgänger und Radfahrer“, so Thomas Grabe. Sein Fazit: „Ja, die Stadt macht was. Aber es ist noch viel Luft nach oben.“

OZ



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