Berlin – “Hans-Joachim Lörr meint, dass ich in den Medien wie der letzte Depp rüberkomme – nur weil Sie nicht verhindern, dass alle über mich lachen. Ich bin doch nicht in die Politik gegangen, um jede Woche in der ‘Heute-Show’ oder der ‘Anstalt’ zu landen.” Der Verkehrsminister Felix Rohr ist nicht zufrieden mit seinem Pressesprecher und klingelt um 23.36 Uhr bei ihm durch.
Halb Berlin fragt sich, ob Wolfgang Ainetter, ehemaliger Leiter Kommunikation des früheren Verkehrsministers Andreas Scheuer (CSU), in seinem Roman wirklich nur Fiktives schreibt. Längst ist Ainetter nämlich nicht mehr Scheuers Sprachrohr, arbeitet inzwischen bei der Deutschen Bahn als Lobbyist. Und schreibt nebenbei Krimis, die ausgerechnet in einem Bundesministerium spielen.
“Geheimnise, Lügen und andere Währungen” von Wolfgang Ainetter: Entführung eines unbeliebten Mannes
In “Geheimnisse, Lügen und andere Währungen” wird jener Lörr, der auf den Minister offenkundig großen Einfluss hat, gekidnappt. Ein Polizeibeamter, der wie Ainetter aus Österreich stammt, soll die Tat aufklären. Doch dieser Lörr ist ein ziemlich unbeliebter Mann, der sich durch Berliner Lobbyisten-Buffets frisst, seine Mitarbeiter so mobbt, dass sie sogar Gesichtslähmungen bekommen, und in seinem Giftschrank allerlei Belastendes sammelt, dass sogar der Minister selbst sich vor ihm hüten muss.
Medienprofi Ainetter wird in seinem Roman vermutlich nichts dem Zufall überlassen haben. Schon im Vorwort heißt es: “Die Geschichte ist ebenso wahr wie die Lebensläufe von Abgeordneten. Die handelnden Personen existieren tatsächlich – in der Halluzination des Autors.” Aber man muss gar nicht so viel halluzinieren, um gewisse Parallelen zu erkennen.
Roland Kaiser-Tickets sind heiß begehrt
Dieses Ekelpaket Lörr will nämlich VIP-Tickets für ein Roland-Kaiser-Konzert von einem “großen Ticketanbieter”. Da muss man doch unwillkürlich an Karl-Heinz Görrissen, die frühere graue Eminenz des Verkehrsministeriums denken, wobei für den “Tagesspiegel” selbst dieser Begriff über Görrissens Macht noch untertrieben ist. Eben jener hat Klaus-Peter Schulenberg, Deutschlands wichtigsten Ticketvermarkter, um genau solche Karten für die Berliner Waldbühne gebeten.
Der Abteilungsleiter, von dem es heißt, dass er sich nicht mal von Staatssekretären etwas sagen ließ, kommt wie Lörr aus Schleswig-Holstein.
Ein echtes Vorbild?
Ob Ainetter noch eine Rechnung mit Görrissen offen hatte? Das weiß man nicht. Im Buch wird Lörr jedenfalls so beschrieben, als würde nur er die Strippen ziehen und auch bei Beförderungen und Stellen alleine entscheiden. Im Buch kickt er den Kommunikationschef Simon Streif raus.
Knapp drei Jahre blieb Ainetter bei Scheuer – laut Medienberichten, weil der Minister ihn für seine schlechte Presse verantwortlich machte. Allein darum scheint es dem Minister – im Buch – zu gehen. Und Partys: “Trotz seiner steilen Karriere war Felix Rohr ein Mann des Volkes geblieben, des Partyvolkes um genau zu sein.” Ein volltrunkener Rohr – Champagner, was sonst – fasst beim Feiern einer Kellnerin von hinten an die Brüste.
Kein Kostverächter soll dieser Rohr sein, egal ob es jetzt um Kaltgetränke oder Übernachtungen in Luxushotels geht. Wert legt der bayerische Bundesminister auch auf seine Kleidung: Über seine Eitelkeit und Tom Ford und Gucci zerreißt sich das halbe Ministerium das Maul.
Unvergessen: Andreas Scheuer wird bei Markus Lanz zerlegt
Bei der Talkshow “Lanz” redet sich Rohr um Kopf und Kragen: “Er guckt bedröppelt wie ein Schuljunge, der beim Schwindeln erwischt worden ist.” An dieser Stelle sei erwähnt, dass Andreas Scheuer sich einst bei Markus Lanz um Kopf und Kragen redete, als es um die Lkw-Maut ging.
Kann das alles Zufall sein? Klaus Mann hatte immer bestritten, dass sein “Mephisto” ein Schlüsselroman ist. So äußert sich auch Ainetter Medienberichten zufolge. Aber es ist schon eine gewisse Genüsslichkeit spürbar, wie so manch eine Figur im Roman zerlegt wird. Weil das Leben die besten Geschichten schreibt? Wer sich für Politik interessiert, wird den Roman unterhaltsam finden. Man erfährt einiges über die grauen Männer im Ministerium, die wie bei Michael Endes “Momo” wirken, aber auch über die Politiker.
Julia Klöckner die “Weinkönigin”?
Da ist eine Landwirtschaftsministerin, die ihre Mitarbeiter zum Heulen bringt, die “Weinkönigin” genannt wird. Auch wieder so ein Zufall, dass Julia Klöckner (CDU) beide Ämter innehatte.
Sprachlich und erzählerisch kann Ainetter mit Klaus Mann nicht so ganz mithalten. Schon im ersten Satz des Romans: “Ich fühlte ich so kaputt wie mein zerschlissenes oranges Ikea-Sofa und so einsam wie die Glühbirne ohne Lampenschirm in meinem Wohnzimmer.”
Was sagt Andreas Scheuer dazu?
Mitunter verzettelt sich der Autor in Austro-Details, die – für den, der’s mag – zwar unterhalten, aber es lenkt vom eigentlichen Thema ab. Manchmal pudelt Ainetter ein bisschen zu sehr auf (um im österreichischen Jargon zu bleiben), etwa indem er sein Wissen über den Berliner Mikrokosmos gar in Fußnoten packt.
Ob Andreas Scheuer das Werk seines ehemaligen Mitarbeiters gelesen hat, weiß man nicht. Für die AZ ist Scheuer nicht erreichbar. Und Karl-Heinz Görrissen? Der ist im Herbst 2021 in den Ruhestand gegangen. Gefeiert hat er in der Landesvertretung Schleswig-Holstein. Ganz ähnlich wie im Buch.