Wladimir Putin hält uns sein Stöckchen hin. Und ganz Deutschland springt brav drüber, immer wieder. Vielen ist es noch gar nicht aufgefallen, aber so läuft es derzeit. Schon seit Jahresbeginn werden Themen und Timing unserer außenpolitischen Debatten komplett vom Kreml definiert.

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Im Januar kam in Talkshows wie in Parlamenten die Frage auf, ob die Ukraine überhaupt noch zu retten sei. Warum? Putin hatte einen russischen Sieg in Awdijiwka erzwungen, unter extremen Opfern. Militärisch ergab das wenig Sinn, psychologisch aber war es, wie sich zeigte, ein mächtiger Hieb gegen Kiew und den Westen.

Der Kremlherr behielt Deutschland im Blick

Mitte Februar folgten deprimierende Debatten über die Frage, ob mit Alexej Nawalny nicht auch die Hoffnung auf eine demokratische Opposition in Russland endgültig gestorben sei. Auch bei dieser emotionalen Verfinsterung im Lager der Freunde der Freiheit schlug Russlands Regierung den Takt. Ihr gefiel es, die Nachricht vom mysteriösen Tod des inhaftierten Putin-Kritikers zu verbreiten, als dessen Ehefrau gerade bei der Münchner Sicherheitskonferenz eingetroffen war.

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Der Kreml schuf eine Phase zunehmender emotionaler Verfinsterung: Demonstranten erinnern am 1. März in Berlin vor der Botschaft Russlands an den toten Regimegegner Alexej Nawalny.

Der Kreml schuf eine Phase zunehmender emotionaler Verfinsterung: Demonstranten erinnern am 1. März in Berlin vor der Botschaft Russlands an den toten Regimegegner Alexej Nawalny.

Jetzt, Anfang März, erzeugt der Kreml mit dem Taurus-Leak die nächste Aufregungswelle. Deutlicher denn je wird Putin damit als Psychokrieger erkennbar, der sein früheres Einsatzgebiet als KGB-Offizier nie aus den Augen verlor: Deutschland.

Putin will Deutschlands politische Mitte spalten

Nichts hat Putin nach seinem Einmarsch in die Ukraine vor zwei Jahren so sehr überrascht wie die Resilienz der politischen Mitte in Deutschland. Auch Leute bei SPD und CDU/CSU, die einst von einem guten Sonderverhältnis zu Moskau geträumt hatten, boten jetzt dem Kreml die Stirn. Und ausgerechnet unter den Anhängern der einst friedensbewegten Grünen stieg der Anteil der Befürworter deutscher Waffenlieferungen auf Werte, die höher lagen als bei allen anderen Parteien.

Mit all dem will Putin sich nicht abfinden. Der Kremlherr sieht jetzt seine Chance – und zielt auf Herzen und Hirne in Deutschland. Mit dem Taurus-Streit will er Berlins politische Mitte wieder spalten und zugleich der moskaufreundlichen AfD bei den vier in diesem Jahr anstehenden Wahlen ein wenig behilflich sein.

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Beim Thema Nawalny warnt er davor, Moskau voreilig die Schuld an dessen Tod zu geben, und eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine lehnt er entschieden ab: Tino Chrupalla, Chef der AfD-Bundestagsfraktion, bekam in den vergangenen Tagen viel Beifall im russischen Staatsfernsehen.

Beim Thema Nawalny warnt er davor, Moskau voreilig die Schuld an dessen Tod zu geben, und eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine lehnt er entschieden ab: Tino Chrupalla, Chef der AfD-Bundestagsfraktion, bekam in den vergangenen Tagen viel Beifall im russischen Staatsfernsehen.

Putins Strategie liegt offen zutage. Im Sender „Russia Today“ wird die von Moskau ersehnte künftige Wirklichkeit bereits unverkennbar skizziert. Da verkünden Studiosprecher feierlich als wichtige Nachricht, Deutschlands AfD lehne eine Taurus-Lieferung an die Ukraine klipp und klar ab. Oft wird dann hinzugefügt, dass die AfD im Juni ihr Europawahlergebnis Umfragen zufolge verbessern werde und dass sie in diesem Jahr auch bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen mit Zugewinnen rechne.

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Berlin braucht eine neue Behutsamkeit

Wer in Deutschland nach dem „Luftwaffen-Leak“ Konsequenzen fordert, muss dieses komplexe strategische Gesamtbild beachten. Es geht damit los, dass es kein „Leak“ war, sondern eine russische Geheimdienstaktion. Natürlich muss über mehr Kommunikationssicherheit gesprochen werden. Aber ist es der Weisheit letzter Schluss, auf das Opfer einer solchen Aktion mit dem Finger zu zeigen und lauthals „Blamage!“ zu rufen?

Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer (li.) und Margarita Simonyan, Chefredakteurin von Russia Today.

Verschwörungstheorie vom deutschen Angriffsplan: Wer den Kreml-Spin zum Luftwaffen-Leak verbreitet

Das Abhören und Veröffentlichen einer Luftwaffen-Telefonkonferenz ist Teil von Russlands hybrider Kriegsführung. Die russischen Geheimdienste arbeiten dabei Hand in Hand mit den Staatsmedien. Und auch deutsche Medienaktivisten helfen dem Kreml. Ein Überblick.

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Jeder Politiker der Mitte muss wissen: Durch überzogene Attacken auf andere Politiker der Mitte tut er in der gegenwärtigen Lage möglicherweise dem Kreml einen Gefallen. Geboten sind jetzt in Deutschland eine neue Behutsamkeit und ein intelligentes Zusammenrücken, wie es Skandinavier und Balten längst vorexerzieren.

Allzu lange dachten die Deutschen, andere Nato-Staaten stünden an vorderster Front. Doch das stimmt nur geografisch. Es geht in diesem gigantischen Konflikt – mehr als wir es bisher wahrhaben wollten – um uns selbst. In Putins Psychokrieg ist das wirtschaftlich starke und nervlich schwache Deutschland sogar das ideale Angriffsziel.



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