Bei der von Manipulationsvorwürfen begleiteten Präsidentenwahl hat die Wahlkommission Kremlchef Wladimir Putin nach Auszählung der ersten Stimmzettel knapp 88 Prozent zugesprochen. Das teilte die Wahlleiterin Ella Pamfilowa am Sonntagabend nach Auszählung von fast einem Viertel der Stimmzettel mit. Damit legte der 71 Jahre alte Putin um mehr als zehn Prozentpunkte im Vergleich zur Wahl von 2018 zu. Es gilt als das beste ihm je zuerkannte Ergebnis. Die Wahlbeteiligung wurde mit über 74 Prozent angegeben – ebenfalls ein Rekord. Es war der höchste Wert bei einer russischen Präsidentenwahl.

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+++ Alle Entwicklungen zum Krieg gegen die Ukraine im Liveblog +++

Zuvor hatten Staatsmedien ein Rekordergebnis von mindestens 87 Prozent der Stimmen prognostiziert. Bei der von zahlreichen Protestaktionen begleiteten Abstimmung über eine fünfte Amtszeit Putins waren keine echten Oppositionskandidaten zugelassen. Die ersten aussagekräftigen Resultate soll es am Montag geben.

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Putin dürfte ein solches Ergebnis als Bestätigung seines antiwestlichen und autoritären Kurses präsentieren. Beobachter erwarten, dass er mit diesem Rückhalt, der Kritikern zufolge teils auf Repressionen und Zwang zurückzuführen ist, für die nächsten sechs Amtsjahre nicht nur außenpolitisch in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine noch einmal deutlich nachlegt.

Viele Russen befürchten zudem eine neue Mobilmachung Hunderttausender Reservisten. Auch innenpolitisch könnten die Daumenschrauben im Land noch einmal deutlich stärker angezogen werden, um den an den drei Wahltagen sichtbaren Protest von Putins Gegnern zu ersticken. Angekündigt sind zudem Steuererhöhungen, mit denen die hohen Ausgaben für den Krieg und die sozialpolitischen Vorhaben finanziert werden sollen.

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Wahlkommission meldet Rekordbeteiligung mitten im Krieg

Die angegebene Wahlbeteiligung von mehr als 70 Prozent – dem höchsten Wert jemals bei einer russischen Präsidentenwahl – soll dem Ergebnis zusätzlich Legitimität verschaffen. Die Zahl der Wahlberechtigten wurde mit 114 Millionen Menschen angegeben.

Die auf drei Tage angesetzte Abstimmung wurde auch von Putins Krieg gegen die Ukraine überschattet, den er immer wieder als Kampf gegen ein angebliches Vormachtstreben der Nato und des Westens darstellt. Das verfing bei vielen Russen.

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Der nun für weitere sechs Jahre gewählte Kremlchef dürfte das Ergebnis auch als klaren Ansporn nutzen, um der Ukraine noch mehr Gebiete zu entreißen. Putin hat angekündigt, die bisher teils besetzten ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja komplett einzunehmen. Auch Odessa im Süden droht ein russischer Besatzungsversuch.

In den okkupierten Teilen und auf der von Russland bereits 2014 annektierten Schwarzmeer-Halbinsel Krim stimmten Menschen ebenfalls bei der von Putin-Gegnern als Farce kritisierten Wahl ab. Die Ukraine und andere Länder weisen die unter Bruch des Völkerrechts organisierte Abstimmung als illegal und bedeutungslos zurück. Das Außenministerium in Kiew forderte die internationale Gemeinschaft auf, die Ergebnisse nicht anzuerkennen.

Selenskyj spricht Putin „jede Legitimität“ ab

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach Putin „jede Legitimität“ ab. „Diese Wahlfälschung hat keine Legitimität und kann keine haben“, sagte Selenskyj in seiner in Kiew verbreiteten abendlichen Videoansprache.  „Diese Figur (Putin) muss auf der Anklagebank in Den Haag landen – dafür müssen wir sorgen, jeder auf der Welt, der das Leben und den Anstand schätzt.“ Wegen des Vorwurfs der Kriegsverbrechen in der Ukraine gibt es einen Haftbefehl des Weltstrafgerichts in Den Haag gegen Putin.

Nawalnaja nimmt an Anti-Putin-Protest in Berlin teil

Bei der russischen Präsidentenwahl ist es am Wochenende im In- und Ausland zu örtlichen Protesten gegen die Herrschaft von Amtsinhaber Wladimir Putin gekommen.

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Berichte über systematischen Betrug

Unabhängige Beobachter wiesen auf systematischen Betrug hin, der hinter diesem hohen Wert für Putin stecke. So wurden seit dem ersten Wahltag am Freitag massenhaft Fälle dokumentiert, in denen etwa Angestellte staatlicher Firmen zur Stimmabgabe gedrängt wurden und teils sogar Beweisfotos von ihrem ausgefüllten Wahlschein machen mussten. Kritiker beklagten zudem, dass insbesondere das Online-Verfahren leicht manipulierbar sei. Beobachter dokumentierten auch das massenhafte Stopfen von vorab ausgefüllten Stimmzetteln in die Urnen.

Neben einem noch brutaleren Vorgehen beim Überfall auf die Ukraine erwarten Experten nach der umstrittenen Wahl vor allem eine Zunahme der Repressionen in Russland. Schon jetzt gibt es keine Versammlungsfreiheit oder freie Berichterstattung von Medien, Andersdenkenden droht Haft, wenn sie den Krieg oder den Machtapparat kritisieren. Vor allem aber ist die Opposition ausgeschaltet, weil führende Köpfe im Straflager sitzen oder ins Exil ins Ausland geflohen sind. Die Hoffnung auf politischen Wandel in Russland hatte sich zuletzt auch nach dem Tod des Kremlgegners Alexej Nawalny zerschlagen.

Politologin sagt Probleme für Putin voraus

Diese fehlenden Freiheiten in Russland und die Gleichschaltung der vom Kreml gesteuerten Medien gelten als wichtigste Grundlage dafür, dass Putin seine Macht verteidigt. Allerdings erwartet die Politologin Tatjana Stanowaja zunehmende Probleme für den Kreml, die Zügel der Macht fest in der Hand zu behalten. Putins Positionen seien unausgewogen, die Ziele des Krieges unklar; und es gebe spürbare Eingriffe in das Privatleben, schrieb Stanowaja in einer Analyse für die Denkfabrik Carnegie. „All dies wird unweigerlich Druck auf das Regime von innen erzeugen“, meinte sie. „Das bedeutet nicht, dass das Regime zusammenbricht oder dass es zu Massenprotesten kommen wird.“ Doch werde der Einfluss der Eliten wachsen und die Bedeutung Putins abnehmen.

Die von Russlands Machtapparat mit harter Hand organisierte Abstimmung begleiteten Tausende Gegner des Langzeitpräsidenten mit einer bemerkenswerten Protestwelle. Trotz Einschüchterungsversuchen durch Behörden versammelten sich am letzten Wahltag am Sonntag in vielen Städten des Landes mit den elf Zeitzonen Menschen gegen 12 Uhr Ortszeit vor ihren jeweiligen Wahllokalen zur Aktion „Mittag gegen Putin“, zu der die Opposition um den vor einem Monat im Straflager gestorbenen Nawalny aufgerufen hatte. Menschen brachten auch am Sonntag Blumen an das Moskauer Grab Nawalnys, der selbst einmal Präsident werden wollte. In Berlin sorgte Nawalnys Witwe für Aufsehen: Julia Nawalnaja beteiligte sich dort an einem Protest.

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Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.

Proteste trotz Strafandrohung

Diese stille Form des Widerstands sollte Kreml- und Kriegsgegnern in Russland selbst auf ungefährliche Weise die Möglichkeit geben, ihren Unmut über diese von Kritikern als undemokratisch eingestufte Wahl kundzutun. Bürgerrechtler berichteten dennoch über Dutzende Festnahmen.

Vor einem Wahllokal im Zentrum Moskaus am Ukrainski Boulevard war die Anspannung bei der Aktion förmlich greifbar. Die Menschen kamen, obwohl in Russland schon für kleinste Protestaktionen harte Strafen drohen. Moskaus Staatsanwaltschaft hatte ausdrücklich vor einer Teilnahme an dieser Aktion gewarnt und mit Strafen wegen „Extremismus“ gedroht. Eine 64-Jährige sagte der Deutschen Presse-Agentur: „Wir wollen unseren Protest zum Ausdruck bringen – gegen den Krieg, gegen das Regime, gegen all das.“

Auch der von der Abstimmung aus ausgeschlossene Oppositionspolitiker Boris Nadeschdin beteiligte sich an dem Protest. Oppositionelle waren bei dem Urnengang gar nicht als Kandidaten zugelassen. Putins drei Mitbewerber galten als reine Staffage, die ihn entweder direkt unterstützten oder zumindest auf Kremllinie sind.

Russische Region durch Ukraine beschossen

Auch in vielen anderen russischen Städten nahmen zahlreiche Menschen an den Aktionen teil. Der bekannte Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow sprach aus dem Exil heraus von einer „Explosion“ des Widerstands gegen Putins Weiterregieren, das der Kreml wohl schon an diesem Montag pompös auf dem Roten Platz feiern wird.

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Unterdessen wurde auch an diesem letzten Abstimmungstag noch einmal deutlich, dass in Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine nicht alles so nach Plan läuft, wie der Kreml gerne behauptet. Im Süden Russlands löste eine Drohnenattacke ein Feuer in einer Ölraffinerie aus. Die westrussische Grenzregion Belgorod wurde wie schon in den Vortagen mit Raketen beschossen. Offiziellen Angaben zufolge starb dabei eine 16-jährige Teenagerin.

RND/dpa



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