„Sonne, Strand und eine bessere Lebensqualität“. Wenn man sich durch die begeisterten Einträge in Auswanderer-Foren klickt, könnte man glatt auf den Gedanken an einen Umzug nach Portugal kommen. „Stressfreier“ sei das Leben an der Algarve und vor allem günstig: „2000 Euro im Monat hat hier noch nicht mal ein Filialleiter einer Bank“, schreibt ein Nutzer auf die Frage, ob man denn mit einem deutschen Durchschnittsgehalt gut in Portugal leben könne. Im Winter kämen „tausende Rentner aus ganz Europa hierher, weil’s denen so gut tut“. Die Versicherungen seien günstig, genauso wie die Mieten.
Deutsches Traumziel Portugal
Das wissen viele Deutsche: Seit Jahrzehnten gilt das Land auf der iberischen Halbinsel als eines der bevorzugten Ziele für Urlauber aber auch für Auswanderer. Seit Mitte der 1990er-Jahre zieht es immer mehr Auswanderer an die Algarve: Im Jahr 2021 zogen laut Statista mehr als 50.000 Deutsche nach Portugal. Doppelt so viele, wie noch fünf Jahre zuvor. Heimweh? Fehlanzeige. Denn jährlich wandern wesentlich mehr Deutsche nach Portugal aus, als von dort in ihre Heimat zurückkehren. Und das hat Gründe. Denn das Land, das in der Euro-Staatsschuldenkrise kurz vor der Pleite stand, hat sich mit ausländerfreundlichen Maßnahmen erfolgreich aus der Misere gearbeitet.
Goldene Visa und Home-Office-Gesetz
Um Investoren aus dem Ausland anzuziehen, überzeugt die Regierung Einwanderer mit niedrigen Steuersätzen: In den ersten zehn Jahren in ihrer neuen Heimat müssen sie nur 20 Prozent Abgaben zahlen.
Zusätzlich vergab die Regierung über ein Jahrzehnt lang die sogenannten „Goldene Visa“, die portugiesische und damit auch die EU-Staatsbürgerschaft an wohlhabende Personen aus Ländern wie Russland, China oder dem arabischen Raum. Die mussten dafür in Portugal lediglich mehr als 350.000 Euro in eine Immobilie investieren – ein Schnäppchen für jeden wohlhabenden Oligarchen.
Doch auch bei digitalen Nomaden, die von unterwegs aus arbeiten, ist Portugal en vogue. Vor allem Porto und Lissabon mit ihren zahlreichen Szene-Cafés und dem pulsierenden Nachtleben haben es jungen Menschen angetan. 2021 verabschiedete Lissabon dann auch noch ein attraktives Home-Office-Gesetz, das Anrufe und E-Mails des Vorgesetzten außerhalb der Arbeitszeiten verbietet – und Portugal einmal mehr als Arbeitnehmerparadies in die Schlagzeilen brachte. Seit Jahren geht die hohe Staatsverschuldung nun zurück. Eine wirtschaftliche Erfolgsgeschichte. Aber möglicherweise für die Ausländer ohne Happy End.
Portugiesen: „Es reicht“
Denn hinter der sonnigen Traumkulisse kippt die Stimmung in der Bevölkerung. Spätestens seit der vorgezogenen Parlamentswahl am Sonntag ist klar, dass ein Großteil der Portugiesen mit den Entwicklungen in ihrem Land ganz und gar nicht einverstanden sind: Die rechtsextreme „Chega“-Partei holte überraschend knapp 29,5 Prozent der Stimmen und stellt künftig 79 von 230 Abgeordneten im Parlament. Damit konnte die Partei ihren Stimmanteil im Vergleich zur Wahl vor zwei Jahren mit 18 Prozent mehr als verdoppeln.
„Chega“, das heißt auf Deutsch „Es reicht“. Und das scheinen einige Portugiesen mit Blick auf die ausländerfreundliche Politik der letzten Jahre genauso so zu sehen. Denn die vielen Zuwanderer treiben nicht nur das Bruttoinlandsprodukt, sondern auch die Immobilienpreise in die Höhe. Laut der Zeitung „Welt“ kostete der Quadratmeter in Lissabon im Dezember beispielsweise mehr als in Mailand, Madrid oder Berlin. Für die meisten Einheimischen ist Wohnraum so kaum mehr bezahlbar, der Mindestlohn liegt in Portugal unter 5 Euro. Auch die steigenden Lebenshaltungskosten machen den Portugiesen zu schaffen. Ein Bier kostet in einem Restaurant im Zentrum Lissabons bereits bis zu 7 Euro.
Wirtschaftsboom nur schöner Schein?
„Die Expats sind der Hauptgrund dafür, weshalb wir uns das Leben in unseren eigenen Städten nicht mehr leisten können“, kritisiert die Aktivistin Rita Silva, die sich mit ihrer Organisation „Habita“ für bezahlbaren Wohnraum einsetzt, im Gespräch mit der „Welt“. Während die Politik erfolgreich Ausländer angezogen habe, sei das Leben vieler Portugiesen prekärer und weniger lebenswert geworden.
Das bestätigt auch die Politikwissenschaftlerin Isabel David von der Universität Lissabon. Die guten Wirtschaftsdaten seien für viele Portugiesen mittlerweile nur noch schöner Schein, so David gegenüber der „tagesschau“. Obwohl der gesetzliche Mindestlohn zuletzt leicht erhöht worden sei, reiche dies nicht aus, um jungen Menschen eine Zukunft in Portugal zu bieten.
Mit schwerwiegenden Folgen: Bereits 40 Prozent der jungen Universitätsabsolventen verlassen jährlich das Land, um im Ausland zu arbeiten.
Auf diese Entwicklungen hat die Regierung nun reagiert: Die Vergabe der „Goldenen Visa“ wurde deutlich eingeschränkt, sowie ein Sozialpaket angekündigt, das auch gegen die hohen Mieten helfen soll. Ob das den Siegeszug der „Chega“ allerdings noch aufhalten kann, bleibt abzuwarten.