Polens Regierungschef Donald Tusk steht in der Heimat unter Druck – die Proteste der
Bauern gegen Umweltauflagen der EU reißen nicht ab und werden immer
radikaler. An diesem Samstag wollte der Regierungschef sich mit Bauernvertretern
treffen, um die Wogen zu glätten. Über Inhalte oder Ergebnisse des Treffens war zunächst nichts bekannt.

Zehntausende Bauern hatten am Mittwoch in der Warschauer Innenstadt gegen die Agrarpolitik der EU protestiert. Vor dem Parlament kam es zu Ausschreitungen und Schlägereien zwischen Protestteilnehmern und Polizisten. Es flogen Pflastersteine und Feuerwerkskörper, die Polizei setzte Tränengas ein. Die Intensität der Bauernproteste erreichte damit ein neues Ausmaß.

Schon im Februar hatten polnische Bauern einen 30-tägigen Protest mit landesweiten Demos und Blockaden ausgerufen – und sich damit in die Welle EU-weiter Bauernproteste eingereiht. Die Landwirte in Polen beklagen allerdings zusätzlich ein spezifisches Problem, das mit dem Nachbarn, der Ukraine zu tun hat. Denn um dem angegriffenen Land zu helfen, hatte die EU die Zölle und Einfuhrbeschränkungen für Agrarprodukte aus der Ukraine ausgesetzt. Ukrainisches Getreide sollte so unkompliziert auf den Weltmarkt – blieb aber teilweise in Polen und machte den einheimischen Bauern Konkurrenz. Das Thema hatte schon im September für erste Spannungen zwischen Polen und der Ukraine gesorgt. Die damalige PiS-Regierung beschloss zur Wahlkampfzeit ein Einfuhrverbot – das den protestierenden Bauern zufolge jedoch wenig Wirkung zeigte.

Die polnische Regierung steht nun vor ein Dilemma: Das Land gehört zu den größten Unterstützern der Ukraine und Polens Premierminister Donald Tusk hat mehrfach klargemacht, dass das so bleiben wird. Gleichzeitig kann er das Anliegen der Bauern nicht ignorieren – 180 Initiativen haben sich den Protesten angeschlossen, und im April stehen Kommunalwahlen an. Bislang leistete Tusk vor allem rhetorische Unterstützung. “Die polnischen Bauern dürfen nicht das Opfer dieses Kriegs sein”, sagte er im Februar. Für Samstagmorgen hat er Protestführer der Landwirte zum Gespräch eingeladen.

Unter den Protestierenden am Mittwoch glaubten die Wenigsten, dass Donald Tusk ihnen Lösungen anbieten kann – denn viele halten ihn für das Problem. Tusk sei ein “Verräter”, stand auf einem Plakat, andere forderten den “Polexit” oder beklagten “faschistische” EU-Vorschriften. Neben der Schließung der ukrainischen Grenze fordern die Bauern die Zurücknahme des Green Deals – jenes EU-Pakets, das Europa klimaneutral machen soll und dabei die Bauern in die Pflicht nehmen will. Laut den polnischen Landwirten bedeuteten die vorgesehenen Vorgaben zu Pestiziden und Flächennutzung ihren wirtschaftlichen Ruin. Von der EU würden nur die Großkonzerne profitieren, erklärte der 31-jährige Pawel am Mittwoch. Der Landwirt aus der Nähe von Opole war um fünf Uhr morgens aufgestanden, um rechtzeitig in der Warschauer Innenstadt zu sein. Auch er klagte über sinkende Erträge bei gleichbleibenden Kosten. Auf Polens Regierung setze er keine Hoffnung.  “Tusk macht nur das, was die EU will”, sagte er.

Die PiS-Partei versucht den Protest zu nutzen

“Tusk = EU = Deutschland” – diese Gleichsetzung hat die abgewählte nationalkonservative PiS-Partei stetig wiederholt, sie ist bei Gegnern der neuen polnischen Regierung tief verankert. Nun macht sich die PiS in der Opposition die Bauernproteste zu eigen, erklärte in ihrer Rhetorik die Sache der Bauern zur Sache des Landes. Der vormalige Premierminister Mateusz Morawiecki postete auf X Videos von den Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei – und machte eine Anspielung auf die Zeit des Kommunismus, in der das polnische Parteienregime den Kriegszustand ausgerufen hatte. Seit Dezember behauptet die von Jarosław Kaczyński geführte Partei, in Polen herrsche ein Unrechtsstaat, spricht beim Vorgehen Tusks gegen die Medien “von Staatsstreich” und bezeichnet wegen Machtmissbrauchs verurteilte Abgeordnete als “politische Gefangene”.

Allerdings hat auch die PiS bei den Bauern Glaubwürdigkeit verloren. Die Verabschiedung des Green Deals fiel in ihre Amtszeit und während der acht Jahre an der Macht zeigte sie kein großes Interesse an den Themen der polnischen Landwirtschaft. “Vom Zweikampf zwischen Kaczyński und Tusk haben wir genug”, sagte am Mittwoch der Opoler Landwirt Pawel – einen Satz, den man in Polen zurzeit immer wieder hört. Für ihn sei die einzige wirkliche Alternative derzeit die Konfederacja.



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