Kritiker fragen sich, was bei dem symbolischen Spatenstich für einen neuen Pharmastandort beerdigt wurde: die Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung?

Kritiker fragen sich, was bei dem symbolischen Spatenstich für einen neuen Pharmastandort beerdigt wurde: die Zahlungsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung?

Foto: imago/bobo

Hausärzte und andere niedergelassene Ärzte haben etliche Möglichkeiten, ihre Einnahmen zu verbessern: Patienten in spezielle Versorgungsprogramme einschreiben, oder diese als Chroniker deklarieren und damit eine höhere Behandlungspauschale sichern. Oder, weil man medizinisch nicht »altbacken« daherkommen will, eher neue und teurere Medikamente verschreiben oder eine ebensolche Diagnostik anordnen. Oder Medikamentenverordnungen um des lieben Friedens willen fortsetzen – das sind nur einige Stichworte aus einem Workshop vom vergangenen Wochenende. Geäußert wurde diese Kritik an ärztlicher Tätigkeit aber nicht etwa von Patienten oder einer Organisation, die diese vertritt.

Im Gegenteil, diese Punkte und einige mehr kamen von Ärzten selbst, die sich auf Einladung der pharmakritischen Organisation Mezis in Hannover zu einer Fachtagung getroffen hatten. Die Abkürzung Mezis steht für den Satz »Mein Essen zahl ich selbst«, und stellt sich gegen eine vielleicht heute etwas in die Jahre gekommene Methode der Pharmahersteller, Ärzte im Rahmen von Fortbildungen oder Konferenzen in ein gehobenes Restaurant einzuladen. Auch wenn die Zahl der Reiseeinladungen vielleicht weniger geworden ist: Die Hersteller haben ihre Marketingversuche nur verlagert – und teils haben sie es geschafft, das Gesundheitssystem grundsätzlich auf Industriebedürfnisse hin zu optimieren.

Die von den Ärztinnen und Ärzten im Workshop genannten Leistungen werden einerseits besser vergütet, andererseits von ihnen selbst nicht unbedingt als immer notwendig angesehen. Allein dadurch, dass Abrechnungsmöglichkeiten existieren, wird aber zugleich ein Anreiz gesetzt, sie auch zu nutzen, wie Manja Dannenberg ausführt. Die niedergelassene Hausärztin in Mecklenburg-Vorpommern, seit 2012 im Mezis-Vorstand, leitete den Workshop unter dem Titel »Player des Systems – welche Rolle spielen wir selbst?«. Dabei wurde herausgearbeitet, welcher Art die Beziehungen zwischen den Doctores und anderen Akteuren im Gesundheitssystem sind.

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Das Problem von Über- und Unterversorgung fängt allerdings nicht erst bei der Verordnungspraxis der Ärzte an. In einem komprimierten Vortrag stellte Jörg Schaaber, langjährig tätig bei der Buko-Pharmakampagne, die Frage danach, was Pharmahersteller auf den Markt bringen und was andererseits dort fehlt. Zu finden sind demnach Medikamente, die Gewinnerwartungen erfüllen. Zugleich fehlt zum Beispiel Forschung zu älteren Wirkstoffen. Das könnte aber sinnvoll sein, merkte man etwa zu Beginn der Corona-Pandemie, als ein neuer Erreger auftauchte. Die Schieflage in der Forschung zeigt sich auch daran, dass Krebs die größte Krankheitsgruppe ist, für die nach neuen Wirkstoffen gesucht wird. Kein Wunder, liegen doch hier die Jahrestherapiekosten pro Fall bei 100 000 Euro und darüber. Die können von den Herstellern erlöst werden, weil in wohlhabenden Gesundheitssystemen derartige Summen zuverlässig aufgebracht werden.

Picato (Wirkstoff: Ingenolmebutat) ist ein Beispiel dafür, dass Medikamente – in diesem Fall ein Gel – nicht nur keinen Nutzen haben, sondern Patienten auch schaden können. Zugelassen wurde Picato für die Behandlung von aktinischen Keratosen: Hier verhornt die Oberhaut und verdickt sich auch. Wächst eine solche Keratose in die nächste Hautschicht, entsteht ein Stachelzellkarzinom. 2019 gab es einen Warnhinweis auf ein erhöhtes Risiko für Hautkrebs – der ja eigentlich mit dem 2012 zugelassenen Mittel verhindert werden sollte. Anfang 2020 erfolgte dann der endgültige Widerruf der Zulassung. Hersteller war Leo Pharma, ein Pharmaunternehmen mit Hauptsitz in Dänemark.

Auch der Negativpreis »Goldenes Zäpfchen« wurde in diesem Jahr wieder von Mezis verliehen – für »besonders auffällige, dreiste, erschreckende, geschmacklose, vielleicht auch besonders gelungene subtile oder clevere Beispiele von Einflussnahme und Profitstreben im Gesundheitswesen«, wie es in der Laudatio heißt. Kandidaten habe es etliche gegeben, etwa das Unternehmen Glaxo Smith Kline, das mit seiner Impfwerbung gegen Meningokokken und Herpes Zoster »an jeder Bushaltestelle angstauslösende und illegale Laienwerbung auf die damit offensichtlich überforderte Bevölkerung« abfeuert. Sieger wurde aber Novo Nordisk – wegen der intensiven, weltweiten Werbekampagne für die Abnehmspritze Wegovy. Die Intensität dieser Kampagne wurde selbst dann nicht reduziert, »als weltweite Lieferengpässe für die schon zuvor bestehenden Einsatzzwecke bei Diabetes offensichtlich wurden«, kritisiert Mezis-Vorstandsmitglied Niklas Schurig in seiner Laudatio. Den Negativpreis erhält die Firma nicht zuletzt wegen der Zahlung hoher Summen an die Deutsche Adipositasgesellschaft e.V., wodurch offensichtlich dafür gesorgt wurde, dass trotz mangelnder Datenlage Vertreter dieser Fachgesellschaft das Präparat in ärztlichen Fortbildungen und in Laienmedien bereits als Behandlungsdurchbruch bewarben.

Die erwähnten Abnehmspritzen dürften hierzulande noch lange Thema bleiben. Im Rennen um Märkte und Profite hat zuletzt das US-Pharmaunternehmen Eli Lilly für Aufsehen gesorgt. In Alzey in Rheinland-Pfalz wurde Anfang April der symbolische erste Spatenstich für eine neue Fertigungsstätte gesetzt. Das Werk soll helfen, die hohe Nachfrage nach Medikamenten gegen Diabetes und starkes Übergewicht zu befriedigen. Die Investitionssumme des Herstellers beträgt 2,3 Milliarden Euro. Nicht nur Novo Nordisk ist hier im Rennen – und kann den Bedarf zurzeit nicht decken. Auch Eli Lilly ist mit den Konkurrenzprodukten Zepbound und Mounjaro gut dabei. Mit dem neuen Werk soll die Fertigung für injizierbare Medikamente und Injektonsstifte ausgebaut werden.

Die Entscheidung für die Investition in Rheinland-Pfalz löste in der Politik unübersehbare Begeisterung aus. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) engagiert sich schon länger für den Pharmastandort Deutschland. Mit entsprechender Politik soll Patienten hierzulande der Zugang zu den neuen, teuren Medikamenten gesichert werden. Der »Rest« der Gesundheitsversorgung muss aber auch finanziert werden und gerät so weiter unter Druck. Eine investorengesteuerte Medikamentenversorgung lässt für viele Patienten nichts Gutes ahnen.

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