Paris. Die kleinen, blutsaugenden Insekten erschienen unvermeidbar in Paris in jenem Herbst 2023. Bettwanzen waren im übertragenen Sinne in aller Munde, überall in den Medien und den sozialen Netzwerken, ja vor allem dort. In die Berichterstattung floss zwar stets auch der Verdacht auf eine „Hysterie“ rund um die vermeintliche Plage ein, geschaffen durch Fotos und Amateurvideos der Tierchen in Zügen, Hotelzimmern und auf Kinositzen, die ab Mitte September zirkulierten. Verlässliche Zahlen über einen nachweisbaren Anstieg von Schädlingsbefall fehlten. Bekannt war lediglich, dass zwischen 2017 und 2022 11 Prozent der französischen Haushalte betroffen waren – ähnlich wie bei den Nachbarn. Doch die Panik vor dem großen Krabbeln war da, knapp ein Jahr vor Beginn der Olympischen Spiele in Frankreichs Hauptstadt.

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Heute weiß man: Sie wurde gezielt aus Kreml-nahen Kreisen organisiert, um das Land sowie Touristinnen und Touristen zu verunsichern und seinem Image zu schaden. Es handelte sich um einen Cyber-Angriff, betonte der Europaminister Jean-Noël Barrot, zuvor im Kabinett zuständig für den digitalen Wandel: „Die Polemik der Bettwanzen wurde in den sozialen Netzwerken durch Konten künstlich ausgeweitet, die nachweislich russischer Herkunft sind.“ Zusätzlich sei eine völlig falsche Verbindung mit der Ankunft ukrainischer Flüchtlinge hergestellt worden.

Barrot zufolge hat die Zahl der Fake-News-Kampagnen durch Russland seit Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine vor zwei Jahren stark zugenommen. „Wir wissen das, weil der französische Präsident 2021 den Dienst Viginum gegründet hat mit der Mission, diese Manöver aufzudecken, die darauf abzielen, die öffentliche Meinung in Frankreich zu destabilisieren und die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen.“

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Phänomene werden künstlich aufgeblasen

Der Verdacht, dass aus Moskau gesteuerte Medien oder Akteure Einfluss auf Debatten nehmen, existiert schon lange. Bereits in Emmanuel Macrons erster Wahlkampagne 2017 verbreiteten Staatsmedien wie Sputnik und Russia Today (RT) Gerüchte über seine angebliche Homosexualität. Nach seiner Wahl sprach der Präsident die Verbreitung von Fake News bei einer Pressekonferenz am Rande eines opulenten Staatsbesuchs, den er im Mai 2017 für den russischen Präsidenten Wladimir Putin im Schloss von Versailles organisierte, direkt an. „Wenn Presseorgane niederträchtige Unwahrheiten verbreiten, handelt es sich nicht um Journalisten, sondern um Einflussmedien“, so Macron. Putin neben ihm hörte mit versteinerter Miene zu. Später schrieb RT in einer gewohnt absurden Verdrehung von Tatsachen, Macron bedrohe „gleichzeitig die Redefreiheit und den Journalismus im Allgemeinen“.

Einen weiteren Fall der digitalen Einflussnahme und psychologischen Kriegsführung gab es im vergangenen Herbst nach dem Angriff der Hamas auf Israel durch die Verbreitung von Bildern aufgesprühter Davidsterne in und um Paris. Die Täter, zwei Paare aus Moldau, konnten überführt und die Verbindung zum Kreml-nahen moldawischen Geschäftsmann Anatoli Prizenko hergestellt werden. Dieser äußerte sich in gespielter Überraschung bei einem Interview mit dem Fernsehsender BFMTV „geschockt“ darüber, dass seine „simplen Symbole“, mit denen er doch nur den Juden in Frankreich und Europa Unterstützung ausdrücken wollte, als antisemitischer Akt interpretiert würden.

Journalisten fanden heraus, dass für die tausendfache Vervielfältigung der Bilder in den sozialen Netzwerken, durch die das Phänomen künstlich aufgeblasen wurde, das russische Netzwerk Doppelgänger, auch bekannt unter dem Namen RRN („Reliable Recent News“, auf Deutsch „Zuverlässige Neue Nachrichten“), verantwortlich war.

Boykott-Kampagne gegen die Olympischen Sommerspiele

Zu den zahlreichen Beispielen gehört auch eine Boykott-Kampagne gegen die Olympischen Sommerspiele ab Juli 2023. Innerhalb von zwei Tagen wurden 1600 Nachrichten auf X veröffentlicht, die abwertende Fotos von Paris, darunter Gewaltszenen am Rande von Demonstrationen, zeigten. Sie stammten von rund 100 in Aserbaidschan ansässigen Konten. Tatsächlich herrscht viel Kritik an der Ausrichtung der Sportveranstaltung. Das wirft die Frage auf, ob diese auch aus Moskau gesteuert ist – wie so einige Debatten und Aufreger.



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