Hannover. Auf Spotify, Apple Music und anderen Streamingdiensten ist ein ungewöhnlicher Song erschienen. „Beverly Hills“ heißt er, der Artist des Tracks trägt den mysteriösen Namen Neon Phantom. Hochgeladen wurde die Dance-Nummer mit Hardstyle-Elementen am Montag, den 18. März – seither hat sie auf Spotify rund 3000 Streams und auf Youtube in verschiedenen Videos mehr als 50.000 Aufrufe erzielt.

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Die Lyrics des Songs dürften vor allem Rap-Fans bekannt vorkommen: Es sind dieselben wie in dem Song „Beverly Hills“ des Rappers Ufo361, der bereits 2018 erschienen war. Doch die Melodie, der Gesang und die Beats sind völlig andere. Man könnte sagen: Die neue Remix-Version ist – im Vergleich zum Original – ein echter Ohrwurm, der so schnell nicht mehr aus dem Kopf geht.

Das Kuriosum an dieser Neu-Interpretation: Hinter Neon Phantom steht kein aufstrebender Dance-Artist, der sich an einem Bootleg eines Rap-Klassikers versucht hat. Die Ohrwurm-Version von „Beverly Hills“ ist ein Stück, das einzig und allein mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt wurde – per Mausklick, und innerhalb weniger Sekunden. Der Upload des Stücks auf Spotify und Apple Music dürfte hochgradig illegal sein – und dennoch wird das Stück in den sozialen Medien gefeiert und vielfach geteilt. Es ist nur ein Vorgeschmack darauf, wie künstliche Intelligenz künftig den Musikmarkt aufwirbeln könnte.

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Influencer macht KI-Song bekannt

Warum die Neufassung von „Beverly Hills“ gerade im Netz ihre Runden macht, ist schnell erklärt: Der Streamer Kevin Teller alias Papaplatte hatte in einem Livestream zusammen mit seiner Community ein neues KI-Tool ausprobiert und bekannte Internet-Hits mit Hilfe von künstlicher Intelligenz neu generiert. Ein Zuschauer schickte schließlich die Neuversion des „Beverly Hills“-Songs in den Twitch-Chat – mit ungeahnten Folgen.

Nur wenige Sekunden klimpern die Synthesizer des KI-Songs, und Teller ist schon völlig aus dem Häuschen: „Alter, Holy Shit“, ruft er vor Begeisterung. Der KI-Gesang macht aus dem Rap-Song einen echten „Banger“, wie jemand in den Kommentaren anmerkt. Und als dann auch noch Bass und Kickdrum im Chorus einsetzen, ist Teller gar nicht mehr zu halten. In den Kommentaren unter mehreren Youtube- und Tiktok-Videos fragen seither dutzende Nutzerinnen und Nutzer nach dem Song. Auch unter dem Original-Track von Ufo361 gibt es mehrere Kommentare: „Die KI-Version ballert irgendwie mehr“, schreibt da jemand.

Mittlerweile ist der Song unter dem Namen Neon Phantom auch auf Spotify und Apple Music zu finden – mutmaßlich hat sie ein Mitglied der Papaplatte-Community dort über einen Online-Vertrieb hochgeladen. Erlaubt ist das nicht: Coverversionen dürfen in vielen Fällen nur mit ausdrücklicher Zustimmung des Urhebers kommerziell vertrieben werden – Ufo361 und sein Team halten die Rechte an den Lyrics. Das gilt auch für mit KI generierte Stücke.

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Ein Hit in Sekunden

Generiert wurde die Neufassung des „Beverly Hills“-Songs mit einem Tool namens „Sono.ai“, das von der Firma Anthropic entwickelt wurde. Dies funktioniert grob gesagt wie ChatGPT oder Text-zu-Bildgeneratoren, die auf KI basieren: In eine Maske tippt man einen sogenannten Prompt ein, also eine Anweisung an die KI. Beispiel: „Kreiere eine romantische Ballade mit weiblichen Vocals, die die Worte ‚Love‘ und ‚Heart‘ enthält“. Die KI spuckt dann innerhalb weniger Sekunden einen Song aus. Neben Suno gibt es auch andere Anbieter auf dem Markt, etwa Boomy AI.

Der Anbieter Suno arbeitet mit zwei verschiedenen Modellen künstlicher Intelligenz: „Bark“ ist auf Gesangsstimmen und lyrische Darbietungen trainiert, „Chirp“ wiederum auf das Komponieren von Instrumental-Tracks. Beide Modelle nutzen dieselbe Deep-Learning-Architektur und wurden mit riesigen Datensätzen an Musik gefüttert. Die KI analysiert Liedtexte, Melodiestrukturen, Rhythmen und Klänge und spuckt anhand dessen Songs aus, die in ihrer Struktur modernen Pop-, Rap-, Rock- und Dancesongs ähneln – aber mit ganz neuen Melodien und neuen Texten. Sogar Gesang kann Suno imitieren.

Songtexte muss mit Suno natürlich auch niemand mehr dichten. Bereits beim Prompt lässt sich ein Thema des Songs festlegen – die KI setzt daraus dann Lyrics zusammen, die sich sogar reimen. Wer es etwas spezifischer haben möchte, kann den Song später auch noch bearbeiten und eigene Lyrics oder Worte hinzufügen.

Popsongs mit Schwächen

All das klappt – je nach Genre – unterschiedlich gut. Im Falle der genannten Pop-Ballade merkt man schnell, dass hier keine echte Musikerin am Werk war: Der Songtext ist eher platt, die KI wirft mit einigen kitschigen Worten umher – die Reime sind aber oftmals krumm und wenig geeignet für einen echten Ohrwurm. Metaphern oder andere lyrische Finessen kennt die KI nicht, auch auf die Phonetik (also den Klang der Worte) achtet das KI-Modell nicht. Auch klingen die von der KI generierten Vocals oft sehr künstlich – als hätte man sie mit zu viel Auto-Tune versehen.

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Bei eher elektronischen Genres allerdings, die ohnehin häufig mit künstlichen Vocaleffekten arbeiten, passt das sehr gut. Auch schnellere Pop-, Rock- und Dancesongs imitiert die KI häufig sensationell gut. Hier muss man schon ganz genau hinhören, um zu erkennen, dass die Stücke von einer Maschine erstellt wurden.

Auch im Falle der neuen „Beverly Hills“-Version dürfte nur geübten Ohren auffallen, dass hier etwas nicht stimmt. Der männliche Gesang des Stücks klingt zwar technisch, passt aber gut zum Stil des Liedes. Die Synthesizer klingen sauber, Snares und Hi-Hats sitzen genau im Takt. Nur wenn Kick und Bass einsetzen, baut der Song ab: Die Kickdrum hat ungewöhnliche Artefakte und geht zudem häufig unter, der Bass ist für einen EDM-Song recht lasch und leise. Ein professioneller Produzent würde sich mit einer solchen Abmische sicher nicht zufrieden geben – Menschen auf Tiktok und Youtube ganz offensichtlich aber schon.

Ein lukratives Geschäftsmodell

Gerade für den Einsatz auf Social Media macht Suno echten Musikproduzenten damit echte Konkurrenz. Und – sofern man nicht Songtexte anderer Künstlerinnen und Künstler verwendet – ist die Veröffentlichung der Stücke hier sogar erlaubt. In den AGB des Anbieters heißt es: Wer ein Pro-oder Premium-Abo von Suno besitzt, darf die generierten Stücke sogar kommerziell nutzen und damit Einnahmen generieren – auch auf Streamingdiensten wie etwa Spotify und Apple Music. Free-User hingegen dürfen die generierten Songs nicht kommerziell verwenden.

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Unklar ist allerdings bislang, wer genau die Urheberrechte an einem generierten Stück besitzt. Suno schreibt dazu in seinen AGB: „Die Verfügbarkeit und der Umfang des Urheberrechtsschutzes für Inhalte, die (ganz oder teilweise) mithilfe künstlicher Intelligenz generiert wurden, sind ein komplexer und dynamischer Rechtsbereich, der sich schnell weiterentwickelt und von Land zu Land unterschiedlich ist.“ Der Anbieter empfiehlt in Urheberrechtsfragen einen Anwalt zu kontaktieren.

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Findige Geschäftsleute sehen in der neuen Möglichkeit, in sekundenschnelle Hits zu erstellen, längst eine lukrative Einnahmequelle. In einem Tiktok-Video behauptet ein User, er habe unzählige Stücke inklusive derer Artworks ausschließlich mit Hilfe künstlicher Intelligenz erstellt und sie auf Spotify hochgeladen. Für diese habe er dann genrespezifische Playlists erstellt, die zum Teil tausende Followerinnen und Follower sammeln konnten. Dann zeigt der User den Analyse-Bereich seines Artists-Accounts auf Spotify. Dort ist zu sehen: Innerhalb von einem Monat habe er allein 8.000 Euro mit KI-Musik erwirtschaftet. Es könnte ein Geschäftsmodell für die Zukunft sein: Spotify hatte im Herbst angekündigt, KI-Musik auf der Plattform nicht grundsätzlich verbieten zu wollen.

KI lässt sich auch kreativ nutzen

Klar ist schon jetzt: Ein solches Geschäftsmodell dürfte unter echten Musikerinnen und Musikern mindestens Diskussionen, wenn nicht langfristig sogar echten Ärger auslösen. Immerhin trainiert die künstliche Intelligenz mit Songs, die durch echte Menschen erschaffen wurden, profitiert von ihren Stilmitteln und ihrer Kreativität – nur um sie dann in neu zusammengesetzten Stücken nachzuäffen. Gleichzeitig könnten die KI-Songs in vielen Bereichen eine echte Konkurrenz für Künstlerinnen und Künstler darstellen. Nicht nur auf Spotify, sondern zum Beispiel auch bei Auftragsarbeiten – etwa für Werbemusik.

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Man kann Modellen wie Suno.ai aber auch etwas Positives abgewinnen – schließlich ließe sich eine KI auch kreativ nutzen. Ein mit Suno generierter Song könnte echten Künstlerinnen und Künstlern als Inspiration dienen. Sie könnten zum Beispiel die Ohrwurm-Melodie als Grundlage nehmen, einen neuen Text darauf schreiben, neue Beats drumherum produzieren oder Teile des KI-Stückes samplen.

Laut den Suno-AGB ist übrigens auch das erlaubt: Wer ein Pro- und Premium-Abo der KI besitzt, darf die generierten Songs auch neu aufnehmen und kommerziell vertreiben.

Das Problem mit dem Cover-Versionen

Was laut AGB und auch rechtlich ausdrücklich nicht erlaubt ist: Die Songtexte anderer Künstlerinnen und Künstler zu nehmen und ihre Songs mit Hilfe von KI neu zu generieren. Genau damit hat insbesondere die Plattform Suno allerdings inzwischen ein großes Problem – und das „Beverly Hills“-Cover ist erst der Anfang.

Einer der Top-Tracks, den man aktuell auf der Plattform anhören kann, ist das Lied „In der Weihnachtsbäckerei“ – eine Heavy-Metal-Version des alten Rolf-Zuckowski-Klassikers. Statt Kindern singt hier nun eine technische KI-Stimme zu lauten Rock-Gitarren und Schlagzeug und einer völlig neuen Melodie den Chorus. Die Strophen „Wo ist das Rezept geblieben von den Plätzchen, die wir lieben?“ werden Heavy-Metal-typisch geradezu geschrien.

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Die neue Rock-Version geht ins Ohr und macht fast ein bisschen mehr Spaß als das in die Jahre gekommene Original des Kinderliedermachers. Bis die Version die sozialen Netzwerke erobern wird, dürfte es nur eine Frage der Zeit sein. Ob Rolf Zuckowski das gefallen wird? Unklar. Dass KI-Musik die Musikbranche noch gehörig aufrütteln wird, daran dürfte es allerdings schon jetzt keine Zweifel mehr geben.



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