»Noch nie in der Geschichte wurde ein Genozid live im Fernsehen übertragen«, erklärte am Freitag Salman Abu Sitta in einem per Video zugeschalteten Vortrag auf dem in Berlin begonnenen Palästina-Kongress fest. Von Freitag bis Sonntag wollten sich laut Veranstalter*innen rund 1000 Menschen in Berlin treffen, um »die deutsche Beteiligung am Völkermord in Gaza« anzuklagen und sich international zu vernetzen. Doch gut 30 Minuten nach dem sehr verspäteten Start der Konferenz stürmte die Polizei die Bühne und verbot die Weiterführung des Kongresses. Der Abbruch wurde im Internet live gestreamt. Die Teilnehmer wurden aufgefordert, das Veranstaltungsgelände zu verlassen. Unter anderem ist in Videos zu sehen, wie auch jüdische Teilnehmer von der Polizei abgeführt werden.
Schon im Vorfeld war der Druck auf die Initiator*innen enorm. Politiker*innen von CDU bis Linkspartei warfen der Veranstaltung Antisemitismus vor, weil sie Israel des Genozids beschuldigen und Redner wie Salman Abu Sitta, einen Experten zum Thema Recht auf Rückkehr von palästinensischen Geflüchteten, einluden. Der 87-Jährige hatte im Januar einen Artikel veröffentlicht, in dem er anhand der Vertreibungsgeschichte seiner Familie Verständnis für den Überfall am 7. Oktober äußerte und leugnete, dass Palästinenser Kriegsverbrechen in Israel begangen hätten. Darin hieß es auch, dass er, wenn er jünger wäre, unter denen Hamas-Kämpfern hätte sein können, die im Oktober 2023 nach Israel eindrangen Gazastreifens durchbrachen. Damals waren mehr als 1200 Menschen in Israel ermordet und viele entführt worden.
Die »BZ« titelte »Antisemiten planen Hass-Gipfel« und die »FAZ« zog sogar Parallelen zur NS-Wannseekonferenz, auf der 1942 die sogenannte Endlösung der Judenfrage geplant worden war. Repressionen richteten sich vor allem gegen den Verein »Jüdische Stimme für Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten«, der den Kongress maßgeblich mitorganisierte. So wurde das Konto des Vereins bei der Berliner Sparkasse beschlagnahmt, auf dem Spenden für den Kongress gesammelt worden waren.
Die Anwältin des Palästina-Kongresses Nadja Samour berichtete auf einer Pressekonferenz am Sonnabend, dass gegen einzelne Teilnehmer*innen der Konferenz ein »Kontaktverbot mit der Jüdischen Stimme« von der Polizei ausgesprochen wurde. Wieland Hoban, Vorsitzender der »Jüdischen Stimme«, warf am Samstag der Polizei »Mafiamethoden« vor, da sie dem Eigentümer des Veranstaltungsortes gedroht habe, seine Existenz zu verlieren, falls er den Palästina-Kongress nicht absage. Abgesagt wurde er jedoch nicht, aber stattdessen mit der Begründung untersagt, dass sich »antisemitische, gewaltverherrlichende und den Holocaust verleugnende Redebeiträge bei der Veranstaltung wiederholen könnten”, wie »Die Zeit« eine Polizeisprecherin zitierte.
Zu solchen Aussagen ist es in den lediglich zwei Redebeiträgen bis zum erzwungenen Abbruch des Kongresses nichts gekommen. Auf der Plattform X (Twitter) begründet die Polizei das Verbot auch anders: Demnach sei der Grund gewesen, dass es gegen den Redner Salman Abu Sitta ein politisches Betätigungsverbot gebe und zu erwarten sei, dass per Video ein weiterer Redner zugeschaltet werden könnte, der sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert habe. Die Anwältin Samour kritisiert das Vorgehen der Polizei scharf. »Noch am Morgen wurde die Redner*innenliste mit der Polizei besprochen und bestätigt«, sagte sie. Dabei sei nicht mitgeteilt worden, dass für Salman Abu Sitta ein politisches Betätigungsverbot vorliege, wie die Polizei nun behauptet. Samour wies darauf hin, dass die Hürden für ein Verbot von Versammlungen im nicht-öffentlichen Raum sehr hoch seien. Die Polizei äußerte sich zunächst nicht zu den Vorwürfen.
Einem weiteren eingeladenen Redner, dem in Großbritannien lebenden Ghassan Abu Sittah, war die Einreise nach Deutschland verweigert worden. Der Mediziner und Rektor der Universität Glasgow war von deutschen Medien interviewt worden, nachdem er mit einer Delegation von Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen gewesen war. Die deutschen Behörden hätten ihn zudem nun davor gewarnt, online an der Konferenz teilzunehmen, weil er sich damit strafbar mache, wie die »Taz« berichtet.
»Während Deutschland Genozid unterstützt«, kritisiert Wieland Hoban, Vorsitzender des Vereins »Jüdische Stimme für Gerechtigkeit und Frieden im Nahen Osten«, das Vorgehen der Polizei am Samstag, »werden hier demokratischen Rechte ausgehebelt, um uns zum Schweigen zu bringen.« Doch schweigen wollen sie nicht. Gegen das Verbot wurde für Samstagnachmittag eine Demonstration vom Roten Rathaus Richtung Brandenburger Tor angekündigt. Die Demonstration soll dort um 18 Uhr enden: nur wenige Meter entfernt von einem Protestcamp auf der Reichstagswiese, wo Aktivist*innen seit Tagen gegen die »aktive Rolle Deutschlands beim anhaltenden Völkermord am palästinensischen Volk« protestieren.
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