Kiel. Zu gerne hätte dies ein ganz und gar positiver, aufbauender und mutmachender Artikel werden sollen. Doch leider grätscht die Wirklichkeit durch alle guten Vorsätze. Denn morgens um 10 Uhr ist die Welt in der oberen Holstenstraße in Kiels Innenstadt ganz und gar nicht in Ordnung. Unzählige Leerstände, schmuddelige Ecken, Graffiti und eine jahrelange Baustelle prägen das Bild. Ein Besuch.

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Es zieht wie Hechtsuppe. Der eisige Wind hat die Passanten an diesem Morgen fest im Griff. Dazu kommt der trostlose Anblick, der sich vom Holstenfleet bis hoch zum Alten Markt zieht. Es gibt schönere Orte, um unterwegs zu sein.

In der oberen Holstenstraße in Kiel herrscht Trostlosigkeit an jeder Ecke

Die wenigen Menschen haben es an diesem Morgen eilig. So als wollten sie schnell der Trostlosigkeit entkommen. Direkt hinterm Fleet steht eine Telefonsäule mit abgerissenem Hörer. Links lockte einst der Herrenausstatter Anson’s die Kunden an. Der leicht versetzte Mitarbeitereingang ist nun voller Graffiti und Aufklebern. Es riecht nach Urin.

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Die ehemaligen Schaufenster sind mit Ankündigungsplakaten für das „Kieler Ding“ zugeklebt. Geworben wird mit Flächen für Einzelhandel, Gastronomie und Coworking-Spaces. Doch der Investor steckt in finanziellen Schwierigkeiten. Wann es weitergeht, kann niemand genau sagen. Seit Juli 2017 steht das viergeschossige Gebäude leer.

Müll, Schmierereien und Baustellen prägen das Bild in der Innenstadt von Kiel

An der seitlichen Fassade, die an der Faulstraße liegt, haben Arbeiter vor Jahren ein Baugerüst aufgebaut. Gearbeitet wird hier schon lange nicht mehr. Hinter den Absperrungen liegt Müll – Schuhe, Pullover und ein abgebautes Parkverbotsschild, das ab 26.7.2021 gilt.

Zum Glück schwebt der Duft von frisch geröstetem Kaffee von der Rösterei Heyck in der Luft. Der Kieler Spezialist für Tee und Kaffee versucht, der Trostlosigkeit zu trotzen. Kleine Tische, eine gemütliche Holzbank und Teefässer vor dem Geschäft laden zum Verweilen ein. Doch wer hier sitzt, sitzt in der ersten Reihe des desolaten Kiels.

Zeichen des Niedergangs finden sich in Kiel an jeder Ecke

Weiter die Holstenstaße hoch sieht es nicht anders aus. Dunkle Schaufenster und schmuddelige Ecken zeugen von den Leerständen. Die Fassaden bröckeln. Unter einem der Vordächer klafft ein großes Loch. Hinter dem zersplitterten Holz haben sich Tauben eingenistet. Lampen sind mit Farbe beschmiert, Hinweisschilder beklebt. Kabel hängen herab. Die Zeichen des Niedergangs finden sich an jeder Ecke.

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Dabei gibt es sie hier oben noch, die tollen Geschäfte. Neben der Kaffeerösterei Heyck sind das zum Beispiel das Modehaus Appelrath & Cüpper. Auch TK Maxx, Fielmann und Woolworth halten wacker die Stellung. Genauso wie die Nautilus Apotheke oder der Asia Supermarkt. Doch wenn drumherum Trostlosigkeit herrscht, können auch diese Geschäftsinhaber nicht viel tun. Es gleicht einem Kampf gegen Windmühlenflügel.

Zwischennutzungen reichen nicht, um die Menschen in Kiels Innenstadt zu locken

Auch die Bemühungen der Stadt, mit Zwischennutzungen von „Kiez-Größen“ gegen den Leerstand anzukämpfen, wirken da wie ein Tropfen auf den heißen Stein. Es reicht nicht, um die Menschen in den oberen Teil der Innenstadt zu locken.

Einst tobte ganz am Ende der oberen Holstenstraße mit dem Kaufhaus Karstadt das blühende Leben. Nun herrscht hier Totentanz. Dabei sollte das neue Nordlicht an dieser Ecke der künftige Hoffnungsträger sein. Doch mit der Eröffnung 2012 zog eher gedrückte Stimmung ein. So richtig zünden wollte das Shoppingcenter nie.

Unzählige Leerstände im Nordlicht in Kiel

Der Elektronikmarkt Saturn verließ im August 2023 das sinkende Schiff. Vor ihm taten es bereits andere. C&A, Karstadt Sport, Reno, Ernsting’s Family – alles Geschichte. Der Investor ist trotzdem guter Hoffnung und feilt an einem neuen Konzept.

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„Es ist einfach traurig“, sagt Passant Dieter Wagner (69) vorm Nordlicht. „Was war hier früher los.“ Mindestens einmal die Woche sei der Mielkendorfer in der Stadt gewesen. Jetzt hatte er einen Arzttermin am Alten Markt und ist froh, wenn er die Stadt wieder verlassen kann. „Im Grunde müssten die Mieten gravierend runter, und es müsste mehr Parkmöglichkeiten geben“, überlegt er. Aber ob das helfen würde?

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Vorm Jacobsen-Haus, wo einst die Wohltat’sche Buchhandlung unzählige kauffreudige Kieler anlockte, spielt ein einsamer Blockflötenspieler eine traurige Melodie. Eine Ecke weiter sitzt ein Obdachloser mit leerem Blick vor einem leeren Geschäft. Vor ihm steht ein Pappbecher. Der ist genauso leer wie die Geschäfte.

KN



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