Nutzen wissenschaftlich nicht erwiesen: Ernährungswissenschaftler: Nutri-Nötigung kann zu Essstörung führen

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    In der Pflanze steckt keine Gentechnik

    Aber keine Sorge:
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    sind die

Sonntag, 26.05.2024, 20:20

Der Nutri-Score soll uns dabei helfen, gesündere Ernährungsentscheidungen zu treffen. Aber ist das wirklich so? Ernährungswissenschaftler Uwe Knop hinterfragt den Nutri-Score und dessen Beitrag zu gesünderer Ernährung. Er meint, die Nutri-Nötigung kann uns sogar schaden.



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Dieser Text stammt von einem Expert aus dem FOCUS online EXPERTS Circle. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Themenbereich und sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.

Wie kann der Nutri-Score dabei helfen, eine gesündere Ernährung zu fördern?

In der „ernährungsapostolischen“ Theorie soll der Nutri-Score durch den Aufdruck von Ampelfarben in fünf grün- bis rot-Stufen die „Auswahl der gesünderen Alternative“ ermöglichen. Das ist jedoch nur Wunschdenken. Denn die „Verampelung“ von Lebensmittelverpackungen suggeriert eine Differenzierung in „gesund und ungesund“, die es de facto nicht gibt – und das gleich in doppelter Hinsicht: Erstens bedeutet „grün“ nicht, dass diese Lebensmittel die Gesundheit besser fördern oder schützen als rot bepunktete Lebensmittel, denn dafür existiert kein wissenschaftlicher Beleg.

Zweitens ist eine generelle Einteilung in „gesunde und ungesunde Lebensmittel“ nicht möglich – da sind sich alle ernährungswissenschaftlichen Fachinstitutionen in D/A/CH einig (siehe dazu den folgenden Kasten).

7 auf einen Streich – Ernährungswissenschaftler: Keine Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel!

Focus Online-Experte Uwe Knop hat bereits 2019 die sieben großen ernährungswissenschaftlichen Fachorganisationen im deutschen Sprachraum DACH zur „Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel“ befragt. Unabhängig voneinander waren sich Ernährungsexperten unisono einig in ihrer Meinung. Lassen Sie sich überraschen von der Zusammenstellung der überaus einstimmigen Statements der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung (SGE), der Österreichischen Gesellschaft für Ernährung (ÖGE), dem deutschen Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) sowie der beiden Berufsverbände in Deutschland und Österreich, dem Verband der Oecotrophologen (VDOE) und dem Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ):

  • “Wir brauchen keine rigiden Regeln und keine Einteilung in gesunde oder ungesunde Lebensmittel. Entscheidend ist, wie viel ich wovon esse.” Harald Seitz, Leitung Referat Öffentlichkeitsarbeit, Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) (März 2019)
  • “Die generelle Einteilung in gesund und ungesund finden wir schwierig. Denn ob ein Lebensmittel letztendlich gesund oder ungesund ist, wird durch die aufgenommene Menge bestimmt.” Sonja Schäche, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Deutsches Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) (März 2019)
  • “Es gibt keine verbotenen Lebensmittel. Die Kombination der Lebensmittel im richtigen Verhältnis macht eine ausgewogene Ernährung aus.”
    Thomas Krienbühl, Fachexperte Kommunikation, Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE (März 2019)
  • “Lebensmittel sind nicht als „gesund“ oder „ungesund“ zu werten. Entscheidend für eine ausgewogene Ernährung sind die Menge, die Kombination und die Zubereitung von Lebensmitteln.” Mag. Alexandra Hofer, Geschäftsführung, Österreichische Gesellschaft für Ernährung (ÖGE) (März 2019)
  • “Eine Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel halten wir nicht für sinnvoll. Entscheidend ist, wie viel ich wovon esse.” Antje Gahl, Leitung Referat Öffentlichkeitsarbeit, Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE) (März 2019)
  • “Von ‘gesunden’ oder ‘ungesunden’ Lebensmitteln zu sprechen, greift bei der Komplexität der  Ernährung zu kurz. Populistische Empfehlungen einzelner so genannter ‘gesunder’ Lebensmittel oder gar Verbote vermeintlich ‘ungesunder’ Lebensmittel sind eher kontraproduktiv und können zu „Consumer Confusion“ führen.” Dr. Andrea Lambeck, Geschäftsführerin, BerufsVerband Oecotrophologie e. V. (VDOE) (Mai 2019)”
  • Die Beziehung zwischen Mensch und Lebensmittel ist zu komplex, um daraus eine hilfreiche Einteilung in gute und schlechte Lebensmittel ableiten zu können.” Mag. Andreas Schmölzer, 1. Vorstandsvorsitzender, Verband der Ernährungswissenschafter Österreichs (VEÖ) (Mai 2019)

Der Nutri-Score kann also nicht dabei helfen, eine gesündere Ernährung zu fördern.

Welche Neuerungen gibt es in Bezug auf die Kennzeichnung von Lebensmitteln und wie beeinflussen diese die Verbraucherentscheidungen?

Ab 2024 gelten strengere Richtwerte für Ballaststoffe, Zucker und Salz. Damit will man die Gesundheitsmoralisten „beruhigen“, die sich immer wieder beschwert haben, die aktuellen Gehalte wären zu lasch berücksichtigt. Jetzt können Hersteller einen grüneren Punkt erhalten, wenn sie mehr Ballaststoffe und weniger Zucker und Salz in ihre Lebensmittel einarbeiten. Bis auf die Tatsache, dass sich die „Hüter gesunder Ernährungsideologien“ freuen, hat das jedoch keine relevanten Auswirkungen – vor allem nicht auf die Gesundheit der Bürger. Es ist reine Augenwischerei, ein Kotau vor dem moralinsauren neopuritanischen Zeitgeist.

Über den Experten Uwe Knop

Uwe Knop, Jahrgang 1972, ist Diplom-Ernährungswissenschaftler, Buchautor, und Referent für Vorträge bei Fachverbänden, Unternehmen und auf Ärztefortbildungen. Sein Buch “
Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben
” ist im Springer-Verlag erschienen.

Warum gibt es Kritik am Nutri-Score und warum wird behauptet, dass es keinen Nutzennachweis gibt?

Es gibt zwei wesentliche Kritikebenen:

1. Die Einteilung in gesunde und ungesunde Lebensmittel ist weder wissenschaftlich vertretbar noch empfehlenswert – auch wenn immer wieder betont wird, auch offiziell, der Nutri-Score könne das nicht – er soll aber unterschwellig genau das suggerieren und das tut er auch. Die Menschen glauben, „gesunde“ Produkte wären grün, „ungesunde“ rot.

2. Der Nutri-Score führt dazu, dass der Verbraucher für weniger Lebensmittelqualität mehr Geld bezahlen wird. Denn solide Inhaltsstoffe, wie Energie- und Geschmacksträger (Zucker, Fett und Salz) werden durch „gesunde“, gehaltlose Füllstoffe ersetzt, um in Richtung „grüner Punkt“ zu kommen. Außerdem leidet darunter der Geschmack. Kurzum: Für die avisierte Einteilung in ein Punktesystem fehlt jegliche wissenschaftliche Grundlage. Diese Werte basieren nicht auf (Kausal-)Evidenz, sondern auf der Freigeistigkeit findiger Forscher, die sie al Gusto eminenzbasiert festgelegt haben.

Einen Nutzennachweis gibt es nicht – und eine wissenschaftliche Evaluation (“Wirksamkeits-Analyse”) wird es auch niemals geben, um die gesundheitlich relevanten Effekte zu bewerten (wie Auswirkungen auf Herzinfarkte, Schlaganfall, Krebs, Lebenszeit). Warum? Diese Analysen sind praktisch nicht durchführbar.

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Kann der Nutri-Score bei der Gewichtsreduktion helfen?

Nein, da zählen andere Parameter. Wer nachhaltig abnehmen möchte, der muss seinen ganz individuellen Weg gehen – und zwar lebenslang. Das bedeutet, die langfristige Ernährungsumstellung passt perfekt sowohl zur eigenen Persönlichkeit als auch zum Stoffwechsel und Lebensstil. Nur wer diese individuelle Lösung des Abnehmens mit Willen, Freude und Leidenschaft konsequent umsetzt, wird nicht nur Kilos verlieren, sondern das neue erschlankte Wunschgewicht auch dauerhaft halten können.

Die Zeiten allgemeiner „One-fits-all“-Konzepte und fester Diätpläne hingegen sind vorbei. Schauen Sie sich dazu auch das zweiteilige FAQ-Videointerview an – hier bekommen Sie die wichtigsten Antworten auf relevante Fragen zum erfolgreichen Abnehmen und schlank bleiben:

Ernährungswissenschaftler erklärt den Schlüssel zum Wunschgewicht (Teil 1)

Abnehmen: Diplom-Ökotrophologe Uwe Knop verrät den Schlüssel zum Erfolg (Teil 2)

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“Erfolgreich abnehmen und schlank bleiben” von Uwe Knop

Kann der Nutri-Score auch negative Effekte haben?

Durchaus denkbar in Zeiten wie diesen, wo permanent Angst vor „ungesunder Ernährung“ geschürt und diese täglich aufs Neue befeuert wird. Der Nutri-Score kann z. B. ernährungssensiblen und gesundheitshörigen Verbrauchern Angst machen. Es wird mit Sicherheit jede Menge Menschen geben, die nichts kaufen, das rote Punkte hat – einfach aus Furcht davor, sich „ungesunde“ Lebensmittel einzuverleiben.

Der Nutri-Score könnte also zu einer neuen Form der Essstörung führen: Diese „Scorektiker“ sind das Ergebnis, wenn moderate Orthorektiker „ontop“ eine ausgeprägte Rotpunktaversion entwickeln. In toto ist im Sinne der Verbraucher nur zu hoffen, dass sich viele Unternehmen nicht an die (noch freiwillige) Nutri-Nötigung halten, klare Kante zeigen und ihre Lebensmittel weiterhin nur „frei von“ anbieten – frei von frei erfundenen Ampelpunkten ohne jeglichen Nutzen für die Gesundheit der Menschen.

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