Gefragt von Sandra Maischberger, ob Hendrik Wüst nicht der Mann wäre, den die Union aufstellen müsste, damit sie Wahlen gewinnt, antwortete der Kölner Kabarettist Jürgen Becker mit einem knappen, aber bestimmtem „Ja!“. Tatsächlich war der CDU-Politiker in der aktuellen Ausgabe des ARD-Talks am Dienstag dann auch so etwas wie der Stargast des Abends. Umgänglich und nahbar durfte er sogleich auch von einem Herzchen berichten, das jemand Unbekanntes in seine Regierungsbank geritzt und über das er die letzten Tage öffentlichkeitswirksam gerätselt hatte.

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AfD ist „Nazi-Partei“

Ernst wurde es allerdings beim Thema AfD. „Wer gibt in Wahrheit den Ton an?! Höcke und seine Spießgesellen entscheiden“, echauffierte sich der nordrhein-westfälische Landesvater und erinnerte sich dabei mit Abscheu an eine Rede des rechtsextremen Politikers, in der dieser davon sprach, dass behinderte Kinder aus öffentlichen Schulen entfernt werden müssten: „Da ist es mir kalt den Rücken runtergelaufen. Wer denkt wie ein Nazi, wer spricht wie ein Nazi, warum soll ich den nicht auch so nennen?!“ Der NRW-Ministerpräsident forderte vehement die Konfrontation auf demokratischer Ebene: „Man muss diese Leute stellen!“ Ein Verbot der AfD komme für ihn aber nicht in Frage: „Sie vermeiden ja ganz bewusst, ihr wahres Gesicht zu zeigen. Trotzdem bricht es immer wieder raus.“

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Nicht wirklich konkret wurde Wüst bei seinen Forderungen nach Obergrenzen für Flüchtlinge und Drittstaatenabkommen – alles Lösungsansätze, die von der Bundesregierung noch nicht richtig angegangen worden seien. Gefragt, in welchem Zeitraum etwa ein Vertrag mit einem Staat außerhalb der Europäischen Union geschlossen werden könnte, um Asylanträge von Migranten direkt dort zu prüfen, musste der CDU-Mann einräumen, dass so etwas langwierig sei, sich über „ein, zwei Jahre“ erstrecken könne.

Obergrenzen für Flüchtlinge

Bereits zuvor hatte „Zeit“-Journalistin Yasmine M‘Barek mit Blick auf die Forderung nach Obergrenzen für Asylsuchende kritisiert: „Das ist eine Scheindebatte.“ Denn das Recht auf Asyl sowie die Ursachen der Migration würden ausgeblendet. Unterstützung für ihre Einschätzung erhielt sie dabei von Kabarettist Becker, der davor warnte zu glauben, Migration per „Knopfdruck“ abschalten zu können: „So ist das aber nicht“, denn „immer mehr Menschen auf der Welt müssen umziehen.“

Das wollte der Chefredakteur von „Table.Media“, Michael Bröcker, allerdings nicht gelten lassen: „Manche Straßen, da gibts keine Wohnungen mehr“, sprach er die Überlastung von Kommunen durch Flüchtlingsströme an und unterstrich damit die Mahnung Wüsts: „Noch so ein Jahr on top, immer noch mehr Menschen obendrauf, wird uns an die Grenzen dessen bringen, was überhaupt noch geht.“ Sowieso gab sich der Ministerpräsident mit seinen Statements gleichermaßen staatstragend wie ausgleichend. Seine „stramm konservative“ Haltung in der Jugend als Akt der „Rebellion gegen linke Lehrer“ habe er inzwischen abgelegt: „Ich fühle mich in der Mitte ganz wohl.“ Oder: „Polarisierer gibt es genug.“

CDU-Chef Friedrich Merz (l) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

CDU-Chef Friedrich Merz (l) und NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst.

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Wüst oder Merz?

Obwohl alle Umfragen inzwischen bestätigen, dass der 48-Jährige beliebter ist als CDU-Chef Friedrich Merz, zweifelte Bröker gestern Abend daran, dass Wüst dieses Jahr zum Kanzlerkandidaten gekürt wird: „Die Parteilogik ist oft anders als das, was Demoskopen sagen.“

Ob er damit richtig liegt, bleibt abzuwarten. Den Hinweis Maischbergers „Mir gegenüber sitzt ein potenzieller Kanzler“, wies der Angesprochene jedenfalls nicht von sich.

Auch Howard Carpendale zeigte sich beeindruckt: „Wüst ist ein Lichtblick.“ Der 78-jährige Schlagersänger gab in der Talkshow übrigens sein Debüt als USA-Spezialist („Amerika ist ein sehr marodes Land“), da er dort 15 Jahre gelebt hatte und einmal Donald Trump begegnet war. Viel Neues hatte er allerdings nicht zu berichten.

Becker wurde schließlich angesichts der vielfältigen nationalen und internationalen Herausforderungen selbstkritisch: „Wir Kabarettisten müssen uns von der Attitüde verabschieden, eigentlich gegen die Gesellschaft zu sein, wir müssen sie verteidigen.“ Und mit dieser Aussage hat er wohl nicht nur seinen eigenen Berufsstand gemeint.



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