Der britische Premierminister Rishi Sunak kündigt trotz großen Rückstands in den Umfragen überraschend Unterhauswahlen für den 4. Juli an.
LONDON taz | Chaos und Gerüchte in den sozialen Medien waren die ersten Anzeichen, dass der gestrige Mittwoch kein gewöhnlicher Tag sein werde. Außenminister David Cameron wurde von einem Besuch in Albanien zurückgerufen, um am Nachmittag einer Kabinettssitzung beizuwohnen.
Kurz nach 17 Uhr trat Premierminister Rishi Sunak dann vor die Tür seines Amtssitzes 10 Downing Street und sprach mitten im Regen über seine Errungenschaften in den letzten vier Jahren. Er habe mit seinem Kurzarbeitsprogramm in der Pandemie Millionen Arbeitsplätze erhalten. Nach Covid sei Putins Einmarsch in die Ukraine gekommen und damit steigende Energiekosten. Sunaks Aufgabe sei die Wiederherstellung wirtschaftlicher Stabilität gewesen.
Da tropften schon Regentropfen an Sunaks Anzug herunter. Am Morgen hatte Finanzminister Jeremy Hunt erklärt, dass die britische Inflationsrate nun bei nur noch 2,3 Prozent liege. „Unsere Wirtschaft wächst nun schneller als prophezeit und hat Deutschland, Frankreich und die USA überholt“, sagte Sunak. Das bedeute fallende Preise. Nun müssten sich die Brit:innen fragen, wem sie Glauben schenken wollten. Deshalb habe er König Charles gebeten, eine Wahl am 4. Juli zu gewähren.
Sunak erklärte, diese Wahl finde in einer Weltlage statt, die so gefährlich sei wie keine seit dem Ende des Kalten Krieges. Er nannte Putins Russland, China und die Einwanderung, die von feindlich gesinnten Staaten zur Waffe gemacht worden sei. Er sei stolz darauf, die Inflation gesenkt, Steuern für arbeitende Menschen reduziert und die Renten erhöht zu haben. Neben dem Unternehmenswachstumspotenzial des Brexit zählte er auch Investitionen in das Gesundheitssystem, Errungenschaften bei den Lesefähigkeiten von Kindern und die Steigerung der Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf.
Weitere Themen waren Investitionen in lokale Verkehrsverbindungen statt der sündhaft teuren Hochgeschwindigkeitszüge sowie sinkende Einwandererzahlen und das Stoppen der Ankunft von Boat People durch das Partnerschaftsabkommen mit Ruanda. Die Labourpartei habe im Unterschied zu ihm keinen Plan. Labourchef Keir Starmer hätte oft seinen Plan geändert, doch ihm, Sunak, könne man vertrauen.
Wovon Sunak nicht spricht
Dass er der fünfte Tory-Premier seit 2010 und der dritte seit 2019 ist, erwähnte er nicht, genauso wenig wie die Kehrtwenden unter konservativer Führung oder das Chaos, in das seine Vorgängerin das Land stürzte. Sunak geht nur mit seinem Namen in diese Wahl.
Es ist Sunak gegen Starmer, und damit heißt es einen Rückstand in den Umfragen von gut 20 Prozentpunkten bis zum Wahltag aufzuholen. Als Sunak wieder in seinen Amtssitz zurückkehrte, war sein Anzug vollkommen durchnässt. Vom Regen in die Traufe, doch hofft Sunak offenbar auf eitel Sonnenschein. Seine Wahlankündigung war eine Überraschung. Nahezu alle Beobachter hatten geglaubt, dass er damit bis Oktober oder November warten werde.