Erst gingen sie von 1,3 Prozent aus. Dann waren es im Herbst nur noch 0,7 Prozent. Und jetzt ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, kurz Wirtschaftsweise genannt, bei nur noch 0,2 Prozent angelangt. So schwach dürfte unsere Wirtschaft in diesem Jahr wachsen, wie aus der neuen Frühjahrsprognose des Gremiums hervorgeht.
Anders ausgedrückt: Deutschlands Wachstumsaussichten sind massiv auf ein Sechstel der vorigen Frühjahrsprognose geschrumpft.
Im Bericht der Wirtschaftsweisen heißt es wörtlich: „Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der deutschen Volkswirtschaft im vergangenen Jahr preisbereinigt um 0,2 Prozent zurückgegangen ist, erwartet der Sachverständigenrat für dieses Jahr nur ein geringes BIP-Wachstum von 0,2 Prozent.“
Damit ist der Rat beim Wachstum nun so pessimistisch wie zuvor beispielsweise der Internationale Währungsfonds (IWF), der ebenfalls mit 0,2 Prozent Wachstum rechnet. Die Gründe dafür sieht das fünfköpfige Gremium vor allem auf der Nachfrageseite.
Darum senkt der Rat seine Prognose
„Die konjunkturelle Entwicklung wird seit Herbst 2023 zunehmend durch die schwache gesamtwirtschaftliche Nachfrage gebremst“, heißt es in dem 180 Seiten langen Papier. Den Wirtschaftsweisen zufolge seien die Haushalte – trotz Reallohnzuwächsen – weiter vorsichtig mit ihrem Geld. So sei die Sparquote mit 11,4 Prozent weiterhin höher als vor der Pandemie. Auf der anderen Seite habe sich die Auftragslage bei Industrie und Bau weiter eingetrübt.
Auch der Staat treibe die Nachfrage nicht, ganz im Gegenteil. Oder in den Worten der Ökonomen: „Die Fiskalpolitik dürfte im Prognosehorizont restriktiv wirken.“ Geschuldet sei dies den auslaufenden Maßnahmen der Corona– und Energiepreiskrise sowie den „Haushaltskonsolidierungsbemühungen“ – also der jüngsten Sparanstrengungen der Bundesregierung.
Ähnliche Probleme sprach vor kurzem bereits eine IWF-Analyse an. Darin plädierten die Volkswirte für mehr staatliche Investitionen und eine weniger strikte Schuldenbremse: „Die Schuldenbremse könnte um rund ein Prozent des BIPs gelockert werden, und Deutschlands Schulden würden dennoch, als Anteil am BIP, sinken.“
Daneben sprechen die Volkswirte auch „angebotsseitige Engpässe“ an – etwa bei den Arbeitskräften. „Neben den hohen Krankenständen beziehungsweise sinkenden Arbeitsstunden dürfte das Horten von Arbeitskräften aufgrund der Arbeitskräfteengpässe in zunehmendem Maß eine Rolle spielen. Dies behindert die Reallokation und kann die Arbeitsproduktivität senken.“
Übersetzt heißt das: Es sind mehr Angestellte in Firmen in Lohn und Brot, die anderswo nützlicher sein könnten, weil die Arbeitgeber befürchten, zu einem späteren Zeitpunkt kein geeignetes Personal mehr zu finden – was auch an der Demografie liegt. Daher sinkt die Produktivität, weil Arbeitskräfte an den falschen Stellen eingesetzt werden.
Das erwarten die Wirtschaftsweisen bei den Preisen
Immerhin: Die Teuerung dürfte im Jahresverlauf weiter nachlassen, so die Prognose des Sachverständigenrats. 2024 dürfte die Inflation bei 2,4 Prozent liegen, nach mehr als doppelt so hohen 5,9 Prozent im vergangenen Jahr. Noch im Herbst hatten die Wirtschaftsweisen eine Teuerungsrate von 2,6 Prozent vorhergesagt, im vergangenen Frühjahr sogar von 3,0 Prozent.
Das mag nach marginalen Unterschieden klingen. Allerdings bleibt dabei zu bedenken, dass Preise nur selten wieder unter ein einmal erreichtes Niveau fallen. Je weniger die Preise also klettern, umso besser für den Verbraucher.
Allerdings könnte die Teuerung schneller fallen, wie aus dem Papier hervorgeht. Dort schreiben die Ökonomen nämlich: „Der erhöhte heimische Preisdruck infolge gestiegener Arbeitskosten verhindert allerdings eine schnellere Normalisierung der Inflationsrate.“
So sehen die weiteren Prognosen aus
Nach dem voraussichtlich blutleeren Wachstum 2024 dürfte es im Folgejahr besser werden. Für 2025 erwarten die Wirtschaftsweisen, dass „Investitionen das Wachstum stützen und die deutsche Volkswirtschaft um 0,9 Prozent wachsen dürfte“. Die Inflation soll indes weiter auf 2,1 Prozent fallen.
Bei der Arbeitslosenquote sehen die Volkswirte im kommenden Jahr einen leichten Rückgang auf 5,6 Prozent, nach voraussichtlich 5,8 Prozent in diesem Jahr und 5,7 Prozent im vergangenen Jahr. Das Lohnwachstum dürfte sich indes deutlich verlangsamen. Die Entgelte stiegen im vergangenen Jahr um 6,3 Prozent und dürften auch im laufenden Jahr nochmal kräftig um 5,1 Prozent steigen. 2025 werde sich das Lohnwachstum auf 3,7 Prozent verlangsamen.
Was das für Deutschland bedeutet
Die Frühjahrsprognose der Wirtschaftsweisen unterstreicht die zahllosen Warnungen der vergangenen Monate – Deutschlands Wirtschaft siecht vor sich hin. Eine Mischung aus zögerlichen Konsumenten, trüben Industrieaussichten, einem verknöcherten Arbeitsmarkt und einer Regierung, der finanziell die Hände gebunden sind, würgt das Wachstum ab.
Deutschland bleibt damit abgeschlagen. Für den Euroraum rechnen die Wirtschaftsweisen mit einem Wachstum von 0,8 respektive 1,5 Prozent für 2024 und 2025 – und zwar ohne, dass dadurch die Preise wieder angeheizt werden. Denn die Teuerung dürfte im gleichen Zeitraum bei 2,4 beziehungsweise 2,1 Prozent liegen, also genau so hoch wie in Deutschland.
Die Globalkonjunktur dürfte mit 2,6 beziehungsweise 2,7 Prozent in diesen zwei Jahren sogar um ein Vielfaches schneller wachsen als unsere Wirtschaft, allerdings auch eine höhere Inflation von 4,5 respektive 3,4 Prozent aufweisen.
Eine ebenfalls schlechte Nachricht für Deutschland: Schlimmstenfalls verzögert sich eine echte Erholung sogar nochmals, mahnt das Expertgremium. „Der andauernde Krieg in der Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten stellen erhebliche Risikofaktoren für die Weltwirtschaft dar. Neben der Gefahr, dass die Energiepreise erneut steigen, ist die weitere geld- und fiskalpolitische Ausrichtung unsicher.“
Womöglich, merken die Wirtschaftsweisen an, könnte sich der Rückgang der Teuerung im Euroraum so weit verlangsamen, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinssenkungen sogar verschiebt. Gleichzeitig – und das zeigt sich besonders in Deutschland – könnten auch 2025 Haushaltskonsolidierungen nötig sein.
„In beiden Fällen dürfte sich die wirtschaftliche Erholung erneut verzögern, nicht zuletzt, da ein weiterer Anstieg der wirtschaftlichen Unsicherheit das Investitionsklima zusätzlich belasten dürfte“, schreiben die Volkswirte.
Kurzum: Es sieht weiterhin nicht gut aus für das Wachstum in der Bundesrepublik. Zwar dürfen Verbraucher auf eine deutlicher sinkende Inflation hoffen. Die übrigen Aussichten bleiben trüb. Insbesondere im Hinblick auf die jüngsten Stellenabbau-Programme einiger Konzerne, vor allem in der Industrie, bleibt zu befürchten, dass manche Unternehmen sich angesichts der trüben Aussichten „gesundschrumpfen“ wollen.