Surreale Songtexte mit Humor: Die Münsteraner Band „Messer“ zeigt sich janusköpfig und hält auf ihrem neuen Album „Kratermusik“ alles in der Schwebe.
War es nun eine Explosion oder doch eher eine Implosion, die das Loch in die Erde gerissen hat? Angesichts der soghaften Anmutung von „Kratermusik“, dem fünften Album der Münsteraner Band Messer, darf man auf Letzteres schließen. Aber eigentlich ist das auch zweitrangig, denn nun ist da eben dieser Krater, diese gähnende und doch gefährliche Leerstelle, die umkreist und vermessen werden will.
Das tun Messer auf eine Weise, die janusköpfig daherkommt und dabei die Dinge schön in der Schwebe hält. Auch wenn Sänger Henrik Otremba in „Am Ende einer groszen Verwirrung“, dem Finale des Albums, behauptet, die Erde längst hinter sich gelassen zu haben. Nonchalant stellt er fest: „Ich vermisse sie als Planeten / Manchmal glaub’ ich / Es wäre besser / Hätte ich sie nie betreten“.
Zusammengefunden hat die vierköpfige Band im Jahr 2010 im westfälischen Münster, damals noch in anderer Besetzung. Zwei Jahre später erschien ihr vielbeachtetes Debüt „Im Schwindel“, passend zum Titel klang es nach einem Fiebertraum. Seither erschienen vier weitere Alben und man muss es durchaus erstaunlich finden, dass es diese Band noch gibt.
Otremba wohnt seit einigen Jahren in Berlin, den Schlagzeuger Philipp Wulf zog es bereits beim zweiten Album Richtung Hamburg, Bassist Pogo McCartney lebt weiterhin in Münster und der dazugestoßenene Gitarrist Milek ganz in dessen Nähe, in Rheine.
Topcheckerhaftige Umtriebigkeit
Trotz Otrembas topcheckerhafter Umtriebigkeit – neben seinem dritten Roman, „Benito“, brachte er 2022 auch noch ein Debütsoloalbum namens „Riskantes Manöver“ heraus; des Weiteren ist er (malender) bildender Künstler, hat einen Lehrauftrag für Poetik an der Uni Münster und arbeitet journalistisch – ist die Band alles andere als eine One-Man-Show.
Nach etwas rumpeligen, konfliktträchtigen Jahren, die vielleicht auch ein Grund für eine gewisse Verquastheit und vorübergehende Überfrachtung der Musik sind, scheint sich das Quartett auf eine funktionierende Arbeitsteilung eingeschwungen zu haben: Otremba schreibt die surrealen Songtexte, in denen mehr Humor und weniger Pathos als früher steckt; die anderen sind fürs Musikalische zuständig. Abgemischt hat die Klang gewordene Bekifftheit Soundtüftler Pogo McCartney, zusammen mit Alexander von Hoersten, der fürs Mastering zuständig war.
Trotz strenger Aufgabenteilung klingt das Resultat eng verwoben, nach Austausch auf Augenhöhe. Die Grenzen zwischen Text und Musik schmelzen auf geradezu organische Weise dahin, manchmal buchstäblich, etwa wenn der Gesang im trippigen, ausufernden „Kerzenrauchers letzte Nacht“ zunächst zum Flüstern wird und sich dann völlig in halligen Soundsphären auflöst.
Groove und Postpunk
Ob ihrer anfangs scharfkantig-schroffen Anmutung wurden Messer oft dem eckigen Genre Postpunk zugeschlagen. Obwohl „Postpunk“ ein weites Feld ist, beschreibt selbst dieses unscharfe Etikett beim besten Willen nicht mehr den aktuellen Messer-Sound, trotz schnalzend-zackiger New-Wave-Momente und hechelnder Beats, etwa im Song „Eaten Alive“. Dafür groovt es einfach zu ungebrochen.
Manchmal fühlt man sich gar an die guten Songs von The Police erinnert, wenn Messer erstaunlicherweise ziemlich funky klingen. Einflüsse aus Funk, Dub und den späten 1980er Jahren sorgen ob ihrer Vertrautheit für eine Zugänglichkeit des Sounds.
Und doch amalgamieren Messer ihren Mix zu etwas Eigenwilligem und ziemlich Doppelbödigem: Kryptische und doch gegenwartssatte Songtexte, die bei aller Verrätselheit Assoziationsräume aufmachen; festgeklettet in einem moosig gemütlichen Offbeat-Bett. Sogar jazzig-warme Bläser sind zu hören – gespielt übrigens von den Eltern des Schlagzeugers Philipp Wulf, die an gleich drei Titeln beteiligt sind.
Als Band scheinen Messer mehr als ein „Boys Together“-Club zu sein – was ja meist nur in bestimmten Lebensphasen funktioniert. Ja, sie sind sogar an- und miteinander gewachsen: Nähe und Distanz funktionieren bei Messer aktuell ziemlich gut.