Madrid. Gelegentlich besitzt die portugiesische Politik eine Eleganz, die man andernorts vermisst. Am Dienstagabend lobte der gerade aus dem Amt geschiedene António Costa, ein Sozialist, seinen Nachfolger, den neugewählten und kurz zuvor vereidigten bürgerlichen Regierungschef: „Ich denke, die Rede war sehr gut, sehr klar und kohärent mit dem, was Luís Montenegro im Wahlkampf verteidigt hat. Wie Sie vielleicht vermuten, ist es nicht mein Programm, aber es ist sein Programm, das Programm, für das die Portugiesen gestimmt haben, und ich kann ihm nur alles Gute wünschen.“

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Der Gelobte, Luís Montenegro, hatte die vergangenen Wochen nicht viel geredet. Sein bürgerlich-konservatives Parteienbündnis Aliança Democrática hatte die vorgezogenen Parlamentswahlen am 10. März mit denkbar knappem Vorsprung vor den bisher regierenden Sozialisten gewonnen: 28,83 Prozent gegen 27,98 Prozent. Den Sozialisten fielen 78 der insgesamt 230 Sitze im portugiesischen Parlament zu und dem Montenegro-Bündnis 80. Das sind nicht viele, aber in Ermangelung tragfähiger Alternativen bestimmte Republikpräsident Marcelo Rebelo de Sousa den 51-jährigen Montenegro zum Regierungschef. Am Dienstagabend wurde seine neue Regierung mit 17 Ministern feierlich im Lissaboner Ajuda-Palast vereidigt, und Montenegro hielt zu diesem Anlass endlich eine längere Rede. Eine ziemlich selbstbewusste.

Portugals Reguierungschef muss sich für jedes Gesetz eine neue Mehrheit suchen

„Diese Regierung ist nicht auf Abruf hier“, sagte er. „Sie ist hier, um die viereinhalb Jahre der Legislaturperiode zu regieren.“ Aus heutiger Sicht ist das ziemlich zweifelhaft. Montenegro wird sich für jede Gesetzesinitiative neue Mehrheiten zusammensuchen müssen, und so elegant die portugiesische Politik manchmal sein kann, werden auch hier keine Geschenke gemacht. Doch Montenegro klang am Dienstagabend so, als wenn er genau das erwarte.

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Schließlich haben die Sozialisten bereits angekündigt, dass sie Montenegros Regierungsprogramm, das er in der kommenden Woche dem Parlament vorstellen wird, nicht mit ihren Nein-Stimmen zu Fall bringen wollen. Die Bürgerlichen sollen erstmal eine Chance erhalten. Woraus Montenegro den Schluss zieht: „Das Regierungsprogramm im Parlament nicht abzulehnen, bedeutet nicht nur, den Beginn der Regierungsarbeit zuzulassen. Es bedeutet, dass es bis zum Ende der Legislaturperiode oder zumindest bis zur Verabschiedung eines Misstrauensantrags umgesetzt werden kann.“

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Die parlamentarische Realität ist eine andere. Die Opposition kann die Regierung auch einfach hängen lassen – bis es dem Republikpräsidenten zu viel wird und er die nächsten Neuwahlen ansetzt, womit er mindestens sechs Monate ab dem letzten Wahltermin warten müsste. Wie schwierig die Mehrheitsbeschaffung ist, erlebte Montenegro schon vergangene Woche, als er seinen Kandidaten für das Amt des Parlamentspräsidenten erst nach mehreren Wahlgängen durchbekam. Dafür mussten ihm die Sozialisten unter die Arme greifen, die sich im Gegenzug versprechen ließen, nach zwei Jahren ihrerseits den Parlamentspräsidenten oder -präsidentin zu stellen. Wenn denn die Legislaturperiode so lange dauern sollte.

Keine Zusammenarbeit mit den Rechtspopulisten

Dieses erste sozialistische Entgegenkommen und das zweite – keine Nein-Stimmen gegen Montenegros Regierungsprogramm – ließen sich als Vorboten eines Bündnisses von Sozialisten und Bürgerlichen lesen, einer Art Großer Koalition. So unwahrscheinlich ein solches Bündnis der traditionellen Antagonisten ist, wäre es doch die einzige Möglichkeit für eine stabile Legislaturperiode, wie sie sich Montenegro vorstellt. Die Alternative – eine Zusammenarbeit mit den 50 Abgeordneten der rechtspopulistischen Partei Chega – hat der neue Regierungschef vor den Wahlen ausgeschlossen, und er hat nach den Wahlen nicht umgedacht. Montenegro versprach am Dienstag eine Regierung der „Bescheidenheit, des patriotischen Geistes und der Dialogfähigkeit“. Besonders letztere wird er im Übermaß brauchen.



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