Es gibt nicht viele Philosophen, die das Licht ihrer schriftstellerischen Begabung so sehr unter den Scheffel gestellt haben wie Immanuel Kant. Sein funkelnder Witz, seine helle, unendlich feine Ironie – nichts hat er verschwendet, mit allem hat er gehaushaltet. Er setzte nicht auf rhetorische Überwältigung, sondern auf die kognitive Lust an der Erkenntnis, also auf jene tiefe Befriedigung, die sich einstellt, sobald man einen seiner sperrigen Gedanken verstanden hat – sobald er einem “einleuchtet”.

Heute allerdings wird dieses anstrengende Vergnügen von einem Gefühl überschattet, das sich immer dann einstellt, wenn eine philosophische Hoffnung getrogen hat: von Melancholie. Man denke nur an Kants Gedanken über die Natur. So verzweigt und ausufernd sie auch sind, verbreiten sie doch einen zutiefst menschenfreundlichen, beinahe metaphysischen Glanz. Die Natur hat für Kant nichts Feindseliges oder Unheimliches, sie ist keine rachsüchtige, von der Erbsünde verdorbene Gewalt. Die “große Künstlerin Natur” meint es gut mit den Menschen. Sie will, dass die Gattung den “Gängelwagen des Instinkts” verlässt, dass sie vom Schlechten zum Besseren voranschreitet und sich von der Tierheit allmählich bis zur höchsten Stufe entwickelt. Im “Spiele der menschlichen Freiheit”, glaubte Kant, verfolgt die Natur einen geheimen Plan. Sie steht der Menschheit solidarisch zur Seite und hilft ihr, das Ziel der Geschichte zu erreichen, ihren “Endzweck”: den Frieden der Völker in einer föderalen Weltrepublik.



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