Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hört auf. Endlich, wird er
vielleicht selbst sagen. Bald ein Jahrzehnt hatte er den obersten Posten
des Militärbündnisses inne, zweimal wurde er darum
gebeten, im Amt zu bleiben. Er selbst hatte es schon längst abgeben
wollen, um Chef
der norwegischen Zentralbank zu werden. Seine Amtszeit endet nun
offiziell zum
1. Oktober 2024. Wer seine Nachfolge antreten wird, ist noch offen.
Einige
Namen werden gehandelt. Wer sind sie – und wie stehen ihre Chancen?

Mark Rutte: Der Favorit

Mark Rutte gilt als Favorit. © [M] ZEIT ONLINE Foto: S. Gatilova/​Reuters

Zahlreiche Staats- und Regierungschefs haben ihre
Unterstützung
schon öffentlich bekundet – für den niederländischen Ministerpräsidenten
Mark Rutte. Er ist nach Viktor Orbán der am längsten amtierende Regierungschef
des Bündnisses, leitet die Regierungsgeschäfte der Niederlande aber nur noch,
bis der Rechtspopulist Geert Wilders eine neue Regierung gebildet hat. Rutte hatte im vergangenen Jahr seinen Rücktritt eingereicht, nachdem seine Koalition am Streit über die Migrationspolitik zerbrochen war. Bei den darauffolgenden
vorzeitigen Neuwahlen im November siegte Wilders und versucht seitdem, eine
Koalition aufzustellen.

Unterstützung bekommt Rutte von vier wichtigen Nato-Staaten:
den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich. US-Präsident Joe Biden
ließ mitteilen, Rutte habe “ein tiefes Verständnis für die Bedeutung des
Bündnisses”, sei eine natürliche Führungspersönlichkeit und ein guter
Kommunikator. Seine Führung würde dem Bündnis guttun.

Ähnliches war aus Großbritannien zu hören. Rutte genieße in der gesamten Nato ein hohes Ansehen und werde dafür sorgen, “dass
das Bündnis stark und bereit zur Verteidigung und Abschreckung bleibt”,
sagte ein britischer Regierungssprecher. Und auch der deutsche Kanzler Olaf
Scholz sprach sich für eine Kandidatur Ruttes aus: Der Niederländer habe immense Erfahrung,
große sicherheitspolitische Expertise und ausgeprägtes diplomatisches Geschick, teilte Regierungssprecher Steffen Hebestreit mit.
All das mache ihn zu einem herausragenden Kandidaten.

Insgesamt soll Rutte die informelle Unterstützung von etwa 20
Nato-Mitgliedern haben. Doch auch Widerstand kündigte sich bereits an: Ungarn sprach
sich gegen eine Kandidatur Ruttes aus. Man könne die Wahl eines Mannes zum
Nato-Generalsekretär nicht unterstützen, der Ungarn in die Knie zwingen wollte,
sagte der ungarische Außenminister Péter Szijjártó. Dabei bezog er sich auf Aussagen
Ruttes aus dem Jahr 2021. Rutte sagte damals, Ungarn habe in der EU nichts mehr
zu suchen, nachdem das Land ein umstrittenes LGBT-Gesetz (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender) verabschiedet hatte.

Vor einem Jahr hatte Rutte es selbst noch ausgeschlossen, Nato-Generalsekretär
zu werden. Die Kehrtwende kam dann kurz vor den Neuwahlen. Im Oktober sagte er
in niederländischen Medien: Es handele sich um eine “sehr interessante” Aufgabe,
für die er – sollte sie sich ihm bieten – offen sei.

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Kaja Kallas: Die erste Frau

Kaja Kallas könnte die erste Nato-Generalsekretärin werden. Mehr als einmal hat Estlands Ministerpräsidentin
bereits signalisiert, dass sie den Job haben will. Doch einige Nato-Mitglieder sehen ihre Kandidatur kritisch.

Kaja Kallas wäre die erste Frau an der Spitze der Nato. © [M] ZEIT ONLINE Foto: John Thys/​AFP/​Getty Images

Estland teilt sich eine 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Ihr Land wird in diesem Jahr 3,2 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) in das Militär
investieren, deutlich mehr als viele Nato-Partner. Kallas steht für ein starkes
Europa ein – eines, das sich auch ohne Hilfe der USA verteidigen könnte,
sollte etwa Donald Trump wiedergewählt werden. Schon vor dem russischen Einmarsch
in die Ukraine hatte Kallas die deutsche Regierung gewarnt, sich nicht von
russischem Öl und Gas abhängig zu machen. Keiner hörte auf sie. 

Kallas ist direkt und klar im Ton, sie fordert, der Ukraine weiter
Waffen zu liefern – auch deutsche Taurus-Marschflugkörper, außerdem sollen dauerhaft Nato-Truppen
an der Ostflanke stationiert werden. Das oberste Ziel sei nicht Frieden, sagte
sie, sondern, dass sich das, was Russland mit der Ukraine gemacht hat, nicht
wiederhole.  

Kallas selbst sagte zu der Personalie in einem US-Interview im
November: “Es sollte jemand aus einem Land sein, das zwei Prozent seines BIP
für Verteidigung ausgibt. Und es wäre schön, wenn es eine Frau wäre.” Und scherzte
dann: Also sei es nur logisch, wenn es Mark Rutte würde.

Wie viele Esten, hat auch ihre Familie traumatische Erinnerungen an die Zeit der Sowjetunion. Ihre Großmutter und ihre Urgroßmutter wurden nach Sibirien verschleppt. Manche Nato-Staaten halten Kallas an der Spitze der Nato auch deshalb für ein Risiko. Zu konfrontativ wäre sie mit dem großen Nachbarn, befürchten sie.

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Krišjānis Kariņš: Der selbst ernannte Konsensbildende

Krišjānis Kariņš wirbt mit einem “klaren Verständnis der russischen Bedrohung” für sich. © [M] ZEIT ONLINE Foto: B. v. Jutrczenka/​dpa

Kallas ist nicht die einzige Kandidatin aus den baltischen Staaten: Auch
Lettlands Außenminister
Krišjānis Kariņš hat seinen Namen in den Topf geworfen.
Bis August vergangenen Jahres war er noch Ministerpräsident des Landes, im November teilte er dann mit, er sei bereit, den Posten zu übernehmen. Er verfüge über ein “klares Verständnis der russischen Bedrohung, eine
starke Haltung gegenüber der Ukraine und eine nachgewiesene Erfolgsbilanz in
der Bildung von internationalem Konsens”, sagte er.

Auch Kariņš ist der Meinung, der Chefposten sollte an ein Land gehen, das mindestens das Zwei-Prozent-Ziel der Nato bei den
Verteidigungsausgaben einhält. Nach seinen Angaben hat Lettland 2023 2,4 Prozent
des BIP für die Verteidigung ausgeben, 2024 sollen es bis zu drei Prozent
werden. Die Zwei-Prozent-Marke hat das Land schon seit 2018
jährlich überschritten – anders als die Niederlande. Sie soll in diesem Jahr
erstmals die von der Nato vorgegebene Quote erfüllen.

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Klaus Johannis: Der Spätzünder

Klaus Johannis kam spät ins Rennen – und will mehr Verantwortung übernehmen. © [M] ZEIT ONLINE Foto: F. Florian/​AFP/​Getty Images

Nur einen Tag nachdem die vier mächtigen Nato-Staaten USA,
Großbritannien, Deutschland und Frankreich sich im Februar alle hinter Rutte gestellt
hatten, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg, dass Rumänien plane, den
Präsidenten Klaus Johannis als Kandidaten vorzuschlagen. Seine Amtszeit als Staatschef
endet im Herbst, ein drittes Mal darf er nicht für den Posten kandidieren. Eine
offizielle Bestätigung der Kandidatur folgte jedoch erst Wochen später in einer Fernsehansprache Mitte März.

“Ich denke, es ist an der Zeit, dass Rumänien eine noch größere Verantwortung
übernimmt, es ist ein legitimes Bestreben eines Staates, der radikale
Veränderung durchlaufen hat”, sagte Johannis in der Ansprache. Sein Land
habe bewiesen, eine “Säule der Stabilität und der Sicherheit in der Region” zu
sein. Die Ukraine unterstütze es “bedingungslos”. Außerdem gebe Rumänien bereits 2,5
Prozent des BIP für die Verteidigung aus.

An der Spitze des Militärbündnisses ist Rumänien
bereits vertreten – der ehemalige rumänische Außenminister Mircea Geoană ist
stellvertretender Nato-Generalsekretär.

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Wie geht es nun weiter?

Die USA hatten sich eine frühe Entscheidung gewünscht – noch
“im ersten Quartal” sollte der Auswahlprozess abgeschlossen werden, forderte
die Nato-Botschafterin des Landes im Februar. Das erklärt den amerikanischen Vorstoß,
sich hinter Rutte zu stellen. Doch der Nato-Generalsekretär oder die
Nato-Generalsekretärin muss im Konsensverfahren gewählt werden, es müssen also
alle 32 Mitglieder zustimmen.

Spätestens im Juli soll die Nachfolge Stoltenbergs
feststehen, dann kommen die Mitglieder zum Jubiläumsgipfel in Washington
zusammen, denn die Nato feiert ihr 75-jähriges Bestehen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters.

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