Abgasskandal vor Gericht: Motoren-Professor kritisiert „utopische Gesetzgebung“ zum Dieselmotor

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Der Dieselskandal beschäftigt immer noch die Gerichte. Es droht sogar die Stilllegung von Millionen Fahrzeugen. Führenden Motor-Experten ist jetzt der Kragen geplatzt. Sie kritisieren Autobauer und Behörden – aber auch ihrer Meinung nach weltfremde Gerichte.

Noch immer beschäftigt der Dieselskandal deutsche Gerichte. Theoretisch droht sogar die Stilllegung von Millionen älterer Diesel-PKW . Experten, die die Prozesse vor Gericht verfolgen, beklagen eine ihrer Ansicht nach weltfremde und zum Teil wissenschaftlich hanebüchene Beurteilung der Abgasgesetzgebung. Professor Thomas Koch vom KIT in Karlsruhe, einer von Deutschlands führenden Experten für Dieselmotoren- und Abgastechnik, spricht im Interview mit FOCUS online über die Fehler der Autobauer, das Schweigen von Behörden und die Bedeutung von Abgasnormen in der Fahrzeugentwicklung.

FOCUS online: Die wissenschaftliche Gesellschaft für Kraftfahrzeug- und Motorentechnik mit Vertretern zahlreicher Hochschulen hat mit 38 Professoren eine aktuelle Stellungnahme im Zusammenhang mit laufenden Rechtsverfahren von Dieselfahrzeugen publiziert. Können Sie die Kernaussagen zusammenfassen?

Professor Thomas Koch: Zunächst gibt es eine große Verärgerung seitens der Hochschullehrer über den heimlichen Einsatz einer Zykluserkennung mitsamt Kennfeldumschaltung und Grenzwertverletzung, wie sie 2015 bekannt wurde. Diese und weitere Softwarefunktionen haben wir bereits in einem ersten Positionspapier 2017 deutlich kritisiert. Aus diesem Grund haben wir auch die Überarbeitung der Fahrzeuge und die deutliche Emissionsverbesserung begrüßt.

Gleichzeitig haben Kollegen schon weit vor 2015 für den Zeitraum der Abgasnorm EURO 5 (2008-2014) und für die erste EURO 6 Generation (2014-2017) auf den Unterschied zwischen Emissionen im Labor und im realen Fahrbetrieb hingewiesen – und hier bedarf es einer umfassenden und sachlich korrekten Analyse der verschiedenen Abläufe der Vergangenheit.

Es ist doch erst im Zuge des Volkswagenskandals 2015 bekannt geworden, dass die Dieselfahrzeuge im realen Fahrbetrieb erhöhte NOx-Emissionen aufweisen.

Professor Thomas Koch: Das ist mitnichten der Fall. Die EURO 5 Gesetzgebung in Form der EU-Verordnung 715/2007 wurde im Februar 2007 vorgestellt. Es war schon während der Entwicklung der EURO5 Gesetzgebung vor 2007, sodann unmittelbar nach der Fertigstellung, mit Vermessen der ersten EURO 5 Fahrzeuge und danach, deutlich vor 2015 umfassend dokumentiert und den Umwelt- und Genehmigungsbehörden sowie allgemein bekannt, dass die Fahrzeuge in der Realität höhere Emissionen aufweisen als auf dem Prüfstand, insbesondere bei niedrigeren Außentemperaturen. Für letzteres wurde posthum das Kunstwort „Thermofenster“ definiert.

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EU-Kommission wusste über Probleme Bescheid

Die EU-Kommission selbst hat im Jahr 2008 darauf hingewiesen, dass die Fahrzeuge vor allem bei niedrigeren Außentemperaturen erhöhte NOx-Emissionen aufweisen müssen. Die EU-Kommission hat deshalb die Notwendigkeit eines künftig zu entwickelnden, erhöhten NOx-Grenzwertes bei niedrigen Außentemperaturen explizit thematisiert, sowie ein diesbezügliches Abwarten und Beobachten der Lage schriftlich verkündet. Sie hat indes für die EURO 5 Dieselfahrzeuge gerade keinen Grenzwert bei niedrigen Temperaturen geschaffen. Allein für Ottomotoren waren über 10-fach erhöhte CO- und HC-Emissionen ausdrücklich bei niedrigen Temperaturen vorgesehen!

Bei der komplizierteren Dieseltechnologie konnte jedoch niemand genau sagen, wo die Grenzen bei niedrigen Temperaturen liegen, was heute die Gerichte rund 15 Jahre später berücksichtigen müssen. Diese Aufgabe hätte nach meinem Verständnis damals auch die Legislative lösen müssen und konnte es ebenfalls nicht. Als Ergebnis hat man gerade beim EURO 5 Diesel bei niedrigen Außentemperaturen einfach gar keine präzisen Angaben gemacht, weil das nicht möglich war. Das kann man kritisieren. Man darf es aber nicht im Nachhinein ausblenden und missachten.

Diesel-Skandal: Die wahren Hintergründe

Der Abgas-Skandal ist der größte Skandal der deutschen Automobilgeschichte. Er kostete Volkswagen und auch andere Konzerne Milliarden und offenbarte vor allem im VW-Konzern dramatische Fehlentwicklungen. Doch der Skandal wird auch politisch benutzt, um Ziele wie Fahrverbote durchzudrücken. Wie kam es überhaupt zum Diesel-Drama? Was steckt eigentlich hinter der “Deutschen Umwelthilfe”? Und warum gibt es ausschließlich in Deutschland Diesel-Fahrverbote für teils nicht einmal vier Jahre alte Autos, die mit lokalen Überschreitungen von Messwerten begründet werden? FOCUS Online blickt seit 2015 hinter die Kulissen.

Ist es nicht vollkommen klar, dass die Automobilindustrie die offensichtlichen Gesetzeslücken für sich genutzt hat?

Professor Thomas Koch: Teilweise ja. Eine Seite der Medaille ist bekannt und resultierte vor allem aus dem veralteten NEFZ-Zyklus. Die gesetzlichen Grauzonen wurden damals überstrapaziert, knapp oberhalb der maximalen Geschwindigkeit von 120 km/h war oftmals keine NOx-Maßnahme mehr ausreichend aktiv, es erfolgte eine Entwicklung, die teilweise zu maßgeschneidert auf den NEFZ angepasst war und im Realfahrbetrieb keine noch bessere NOx-Reduktion ermöglichte. Das waren alles bestens bekannte Effekte. Die wichtigen Softwareupdates, die ein ganzes Jahrzehnt an Erfahrungen und technischen Zusatzerkenntnissen beinhalten, ermöglichten gegen 2019 eine deutliche Verbesserung.

„Teilweise nicht nachvollziehbare Gerichtsurteile“

Es gibt aber eine zweite Seite der Medaille, die seit 2015 nicht thematisiert wird, eben die umfassende Kenntnis von Technologiegrenzen seitens der Legislative gerade bei niedrigen Außentemperaturen und bei anspruchsvollen Fahrprofilen. Heute wird dies verschwiegen.

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Bei allem Respekt vor der Arbeit der Gerichte existieren teilweise nicht nachvollziehbare Gerichtsurteile. Diese Urteile wiederum missachten in Teilen die Notwendigkeit, dass für eine Emissionsgesetzgebung immer eine genaue Definition der Messtechnik, der Fahrzeugrandbedingungen und des Fahrprofiles vorliegen muss. Pauschale Aussagen wie „Einhaltung von 180 mg/km“ sind wertlos ohne genaue Definition aller Umstände. Bei der sehr guten 2016er EURO 6dtemp Gesetzgebung war das Verhalten bei niedrigen Temperaturen, nach vielen Jahren der Gesetzesausarbeitung, präzise bis -2°C mit Kältezuschlag inklusive Messtoleranz definiert, so dass bei einem Grenzwert von 80 mg/km erhöhte Realemissionen von 269 mg/km erlaubt sind. Dies bedurfte einer Technologierevolution in Form einer Serieneinführung komplett neuer Abgasnachbehandlungssysteme um 2016. Aber jetzt müssen 2009er Fahrzeuge auf einmal besser sein als die modernen Anforderungen 8 Jahre später! Das ist utopisch.

Als Ingenieur und Hochschullehrer kritisiere ich, dass die Gesetzgebung regelmäßig erst finalisiert wurde, nachdem 70-80% des Fahrzeuges bereits fertig entwickelt waren. Eine wichtige definitive Kenntnis der exakten Grenzwerte bedarf nachgelagert nochmals einer mehrjährigen Absicherung aller Bauteile und des Gesamtsystems. Die trotzdem vorliegende hohe Produktreife zum Serienstart ist meiner Ansicht nach ein Ergebnis hoher Ingenieurskunst gewesen.

Hätte die Industrie nicht bei EURO 5 einfach SCR – Abgasnachbehandlungssysteme einbauen können?

Professor Thomas Koch: Allererste Systeme mit einer zusätzlichen NOx-Abgasnachbehandlung (SCR) sind unmittelbar vor EURO 5 in den USA in einer kleineren Serie eingeführt worden, typischerweise für eine einzige Karosserie-, Leistungs-, Getriebe- und Antriebsvariante. Die ersten LKW mit SCR und Partikelfilter DPF kamen in den USA 2010 mit EPA10 und in Europa 2012 mit EURO 6. Die SCR+DPF Technologie – Stickoxid-Reduktion mit Adblue plus Partikelfilter- wurde für PKW nach 2010 in Europa eingeführt, oftmals als EURO 6 Vorerfüllung während der EURO 5-Gültigkeitsdauer. Niemand wusste, ob die SCR-Technologie vom Markt akzeptiert wird. Adblue-Verfügbarkeit, reduzierte Zuladung, Technologiegrenzen bei niedrigen Außentemperaturen und im Kurzstreckenbetrieb, Kundenakzeptanz etc. waren bekannte Fragezeichen.

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Ohne angepasste Abgasrückführung drohen Motorschäden

Eine gesamte, flottenweite Ausdehnung dieser Technologie auf PKW war 2009 mit EURO 5 technisch nicht möglich, da wichtige Erfahrungen aus einer Großserie noch gar nicht vorlagen und viele Fahrzeuge für die neue SCR-Technologie gar nicht den Bauraum hatten. Die Abgasnachbehandlung durch SCR-Technologie ändert im Übrigen nichts daran, dass die Abgasrückführung bei niedrigen Temperaturen angepasst werden muss, weil es sonst zu Motorschäden kommt. Mittlere Realemissionen von 200-300 mg/km und niedriger sind mit der ersten SCR Generation gut darstellbar und bedeuten eine deutliche Verbesserung im Vergleich mit EURO 5. Es ist eine Frage der Perspektive, die nach 2015 komplett neu justiert wurde. Ohne NO-Reduktionsmaßnahmen liegen die Fahrzeuge übrigens oberhalb von 1500 mg/km!

Gerade diese EURO 5 Fahrzeuge sind besonders im Fokus der Gerichtsverfahren. Gab es gerade bei den EURO 5 Fahrzeugen weitere Emissionskomponenten, die kritisch waren?

Professor Thomas Koch: Partikelmasse, -anzahl, Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffe wurden bereits mit EURO 5 Dieselfahrzeugen auf niedrigstem Niveau eingehalten. Nur die NO-Emissionen verblieben beim Dieselmotor noch als größere Herausforderung.

Aber die ersten SCR-Fahrzeuge als EURO 6 Ausführung waren doch kein Ruhmesblatt.

Professor Thomas Koch: Die Kritik von mir an der Industrie betrifft gerade die ersten EURO 6 Fahrzeuge. Der Verbau eines Hifi-Verstärkers und das Vorhalten des Platzbedarfes hatte größeren Stellenwert als ein ausreichend großer Adblue-Tank. Über der Laufzeit wurde teilweise die Adbluedosierung reduziert, um die Werkstattintervalle einzuhalten. Spätestens mit der EURO 6d temp Gesetzgebung, vorgestellt in 2016, ist dies zum Glück Vergangenheitsbewältigung, jedoch eine ärgerliche. Daher begrüßen wir die freiwilligen und angeordneten Softwareupdates, die auch die älteren EURO 6 SCR Fahrzeuge auf ein eindrückliches Emissionsniveau korrigierten.

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Was bedeuten denn aktuelle Gerichtsurteile des Verwaltungsgerichtes Schleswig-Holstein konkret?

Professor Thomas Koch: Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom Feb. 2023 hätte man ab 2009 überhaupt gar kein Dieselfahrzeug mehr zulassen dürfen, da die Emissionsforderungen des VG Schleswig sogar strenger als die der 2016 vorgestellten Emissionsnorm EURO 6d temp sind. Das ist absurd. Es ging ja damals um die CO2-Spitzenposition der EU-Fahrzeugregulierung; diese wäre also damals ohne Diesel verloren gewesen. Hätte man um 2007 bei der EURO 5 Gesetzentstehung zum Beispiel bei 0°C Außentemperatur einen Grenzwert von circa 600 mg/km vorgeschrieben, wäre das mit dem damaligen Wissen extrem sportlich gewesen.

CO2-Flottenziele vs. Stickoxid-Reduktion

Das wäre dann umgekehrt ein offenkundiges Eingeständnis dafür gewesen, dass die wichtige Dieseltechnologie, die Europa die niedrigsten CO2-Flottenziele ermöglichte, an dieser Stelle noch Grenzen hatte. Aber weil die CO2-Reduktion wichtig war, hatte man solche Vorgaben, die technisch nicht einzuhalten gewesen wären, nicht gesetzt. Dabei haben Politik und Industrie nicht vorhergesehen, dass ein ziemlich unbedeutender NOx-Sachverhalt 15 Jahre später hunderte Gerichte beschäftigen wird. Unbedeutend ist er, weil heute an einer vielbefahrenen Straße wie dem Stuttgarter Neckartor 10 m von der Straße entfernt oder im vierten Stock der NOx-Verkehrsbeitrag sogar kleiner ist als die Messtoleranz der NO2-Messsysteme!

Auch das Kraftfahrbundesamt wurde teilweise intensiv angezählt?

Professor Thomas Koch: Sicher wäre manch mahnender Zeigefinger des KBA schon vor 2015 hilfreich gewesen. Die Behörde hat in Flensburg nach 2015 enormes Wissen aufgebaut, was ich begrüße. Gleichwohl ist es befremdlich, dass heute auf einmal gefordert wird, das KBA hätte die Fahrzeuge damals generell nicht zulassen dürfen. Das KBA hat die EURO 5 Gesetzgebung so angewandt, wie sie geschaffen wurde, ist aber heute konfrontiert mit einer utopischen Gesetzesauslegung, die heutige Anforderungen und Erkenntnisse auf die damalige Technologie projiziert und natürlich auch ganz praktisch mit den technischen Grenzen der EURO 5 Technologie. Das KBA wusste und weiß aufgrund der technischen Expertise, dass es Technologiegrenzen gibt, weshalb die NOx-Emissionsreduzierung nicht beliebig möglich war und im Sinne des Verbrauchers eine Absicherung erfolgen musste.

Aber die Verbraucherschutzorganisationen klagen doch gerade auch, zum Beispiel gegen das Thermofenster?

Professor Thomas Koch: Das haben viele Kollegen bis heute nicht verstanden. Bei der etablierten gekühlten Hochdruck-Abgasrückführung als ausgereifte Referenztechnologie für EURO 5 dienen die „Thermofenster“ dem Verbraucherschutz. Wäre das AGR-Ventil immer Temperatur-unabhängig geöffnet, resultiert typischerweise ein plötzliches und durch Wartung nicht zu beseitigendes Steckenbleiben des Ventils und in der Folge, typischerweise innerhalb eines Bruchteils einer Tankfüllung, resultieren ein Motoraussetzer, ein Fahrzeugliegenbleiben, ein gravierender Partikelfilterschaden oder sogar ein Fahrzeugbrand. Diese wichtige Vermeidung dient doch gerade dem Schutz des Verbrauchers und wurde umfassend abgesichert. Auch eine SCR-Lösung bedingt zwangsläufig Thermofenster, gerade beim AGR-Ventil. Diese Thermofenster wurden durch Entwicklungsfortschritte über die Jahre immer kleiner, aber chemisch, physikalische Gesetze haben nun einmal Gültigkeit. Darauf weisen die Kollegen nachdrücklich hin.

Ein Argument für die Klagen ist der Schutz der Gesundheit vor erhöhter NOx-Schadstoffbelastung in der Kälte.

Professor Thomas Koch: Hier haben wir verschiedene repräsentative Umweltmessstationen in der Stellungnahme aufgeführt. Es gab und gibt bei niedrigen Temperaturen, auch aufgrund einer Vielzahl meteorologischer Effekte, keinerlei NOx-Auffälligkeiten. Typischerweise ist die NO Immission, also die NOx-Konzentration in der Stadtluft, im Winter am niedrigsten.

Das Interview führte Jens Meiners





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