In Indien herrscht die BJP. Und weil der Rückhalt in der Bevölkerung schwindet, setzt Modi auf undemokratische Repressionen. Anders ist es in Irland.
In den vergangenen zehn Tagen konnte ich erleben, wie Menschen auf unterschiedliche Weise ihre demokratischen Rechte wahrnehmen – einmal in Indien, wo ich geboren wurde, und zum anderen in Irland, wo ich heute wohne. In Indien wird seit dem 19. April und noch bis zum 1. Juni ein neues Parlament gewählt.
Das geschieht in brütender Hitze. Die Sommer werden immer heißer: Niemand mehr ist überrascht, wenn das Thermometer auf 38 Grad und höher klettert. Meine Mutter berichtet mir, dass bei ihr in Mumbai, der größten Metropolregion des Landes, alte Bäume neuen Straßen weichen müssen, auf denen immer mehr Autos fahren, oder dass immer mehr Gebäude entstehen, deren Glasfassaden die Hitze geradezu aufsaugen. Massen einfacher Arbeiter müssen sich gleichzeitig in immer weniger öffentliche Busse quetschen.
In der Wahlkampagne nimmt religiöse Rhetorik einen immer breiteren Raum ein. Aber die Bevölkerung in Indien ist des Geredes überdrüssig. Immer mutiger spricht sie davon, dass die derzeitige BJP-Regierung die Leute täuscht und betrügt. Das hat Premierminister Narendra Modi, der für eine dritte Amtszeit kandidiert, in Angst versetzt. Und wer Angst hat, greift zu brutalen Machtmitteln. Da werden dann andere Kandidaten, die die Vorherrschaft der BJP brechen wollen, daran gehindert, anzutreten. Shyam Rangeela etwa, der sich mit politischer Satire einen Namen gemacht hat, durfte nicht einmal seine Kandidatur in Varanasi anmelden. Varanasi ist eine für Hindus heilige Stadt und zufällig auch der Wahlkreis, den Premier Modi im Parlament vertritt. Die indische Wahlkommission wies Rangeelas Antrag ab und ließ ihn nicht einmal in das Gebäude hinein.
Rangeela ist kein Einzelfall: In anderen Städten wurden Kandidaten bedroht. Viele sahen sich gezwungen, ihre Bewerbung zurückzuziehen, so dass nur noch die Kandidaten der BJP übrig blieben. Diese Einschüchterungen beweisen, dass die BJP Angst vor einer Niederlage hat. Der Kaiser hat keine Kleider an, und die 1,4 Milliarden Inder und Inderinnen sind sich dessen bewusst. Deshalb greift Modi zu solchen Terror-Praktiken bei der Parlamentswahl.
Trinity
Wahlen sind, wie auch Proteste, wesentliche Elemente der Demokratie. In Irland setzten sich die Studierenden am Trinity College in Dublin vergangene Woche demokratisch durch. Sie hatten gegen die Geschäftsbeziehungen ihrer Universität zu israelischen Unternehmen protestiert und ein Protestcamp errichtet. Nach fünf Nächten und langen Verhandlungen verzichtete die Universitätsleitung auf den Einsatz von Polizei, stimmte der Forderung zu und wird diese Geschäftsbeziehungen auflösen.
Irland ist das Geburtsland des Boykotts. 1880 wollten irische Bauern dem Gutsverwalter Charles Cunningham Boycott den Pachtzins nicht bezahlen, weil er ihnen gegenüber gewalttätig geworden sei. 1984 weigerten sich junge Kassiererinnen in einem Kaufhaus in Dublin erstmals, Früchte aus Südafrika zu verkaufen – aus Protest gegen die Apartheid.
Im irischen Fernsehen wurde der Mediziner Gabor Maté interviewt, ein Spezialist für Traumata und Abhängigkeit. Seine jüdische Familie entkam in seinem Geburtsjahr 1944 in Ungarn nur knapp der Deportation. Er sagte, politisch gehöre er nicht zu denen, die eindeutige Positionen vertreten, aber er wolle von der Wahrheit reden, die die Bilder aus Gaza zeigen: unter Trümmern begrabene Kinder oder Mütter mit den leblosen Körpern ihrer Jüngsten.
Am Trinity College haben Studierende ihre Wahrheit dargelegt und die Universität hörte ihnen zu. In Indien versucht Modi, die Wahrheit zu unterdrücken, aber alle schauen hin.
Aus dem Englischen von Stefan Schaaf