Gregory Peck als Kapitän Ahab sollte man einen Abend lang vergessen, denn die Erinnerung an “Moby Dick” aus dem Kino oder vom Fernsehen ist in der Inszenierung von Stefan Pucher eher hinderlich für das Verständnis. Der Regisseur, der gerne große Literatur für die Bühne zubereitet, macht nicht nur alles anders als John Huston vor 68 Jahren, sondern macht sich auch lustig über den Filmklassiker.

Der US-Multimediakünstler Chris Kondek zaubert zwar das ganz große Kino in das sehr große Theater, aber der einstellungsgenaue Nachbau einer hochdramatischen Walfang-Sequenz ist eine Parodie auf die Actionbilder, die Hollywood während der 1950er-Jahre lieferte.

Barbara Horvath als Kapitän Ahab.
Barbara Horvath als Kapitän Ahab.
© Birgit Hupfeld
Barbara Horvath als Kapitän Ahab.

von Birgit Hupfeld

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Den tiefsten Eingriff jedoch machte Pucher bei der Besetzung des Kapitäns. Zwar hat man sich im Schauspiel an Gendercross längst gewöhnen müssen und im einen oder anderen Fall sogar Mehrwert daraus bezogen, aber was Barbara Horváth spielt, ist das Gegenteil jeglicher Erwartungen an diese Rolle.

Eine moderne Führungskraft

Der gefürchtete Seebär sieht aus wie eine Frau mittleren Alters in einem trauerdunklem Hippie-Look und unter einer spätpubertären Frisur in Qietschorange (Kostüme: Annabelle Witt). Sie hört sich oft auch so an. Anders als der vom Hass auf den weißen Wal besessene Kapitän im Kino, der als verbissener Despot seine Mannschaft drangsaliert und schließlich in einen völlig sinnlosen Tod treibt, ist Ahab im Resi eine Führungskraft, die mit dem Personal motivierend und sogar ein bisschen jovial um.

"Moby Dick" im Residenztheater
“Moby Dick” im Residenztheater
© Birgit Hupfeld
“Moby Dick” im Residenztheater

von Birgit Hupfeld

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Sogar das spektakuläre Finale beim Kampf zwischen Mensch und Tier passiert fast beiläufig. Am Abenteuerroman auf hoher See ist Pucher nicht sonderlich interessiert, und dennoch bleibt er dicht am Roman von Herman Melville. Lieber ist er unterwegs auf den vielen Nebenpfaden Melvilles, der heute wegen der breiten Palette unterschiedlicher Themen und Erzählformen als ein Wegbereiter der modernen Literatur gefeiert wird, was Publikum und Kritik zum Erscheinen des Werks in der Mitte des 19. Jahrhunderts eher verstörte.

Mit zwei Beinen

Man erfährt Manches vom Handwerk des Seefahrers. Gleich am Beginn unterrichten Max Mayer und Simon Zagermann in der “Knotenschule” vor dem Eisernen Vorhang den perfekten Palstek, der an Bord “als Festmacher verwendet” wird. Schwerstarbeit hingegen ist die Verarbeitung des Fangs und Nicola Kirsch erkläutert das Schlachten eines Pottwals. Schon das Trennen des Kopfs vom Rumpf ist Maßarbeit, denn so ein Tier hat keinen Hals.

"Moby Dick" im Residenztheater
“Moby Dick” im Residenztheater
© Birgit Hupfeld
“Moby Dick” im Residenztheater

von Birgit Hupfeld

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Linda Blümchen erzählt den Vorgang anschaulich: “Da spritzt das Blut, da tropfts, da regnets Fett und Blut vom Mast herab”. Beim Walfang ging es vor allem um das Fett, das als energiereicher Vorgänger des Öls ein begehrter, weil profitabler Rohstoff war. Den Investoren der Walfangsegler ist Ahabs Routen durch die Weltmeere suspekt, denn er riskiert den Verlust an reicher Beute, um nach dem weißen Wal zu fahnden, der ihm ein Bein kostete und fliehen konnte.

Viele lange Monologe

Auf die Prothese verzichtete Pucher allerdings. Der fanatisierte Kapitän hinkt unversehrt über das Deck und grübelt über Philosophisches und Spirituelles oder über die alttestamentarische Gestalt des Jonas, der in einem Wal überlebte. Überraschenderweise kann er auch über sich selbst nachdenken und kommt zum beunruhigenden Schluss, dass Ahab vor allem vor Ahab auf der Hut sein sollte.

"Moby Dick" im Residenztheater
“Moby Dick” im Residenztheater
© Birgit Hupfeld
“Moby Dick” im Residenztheater

von Birgit Hupfeld

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Das grandiose und sehr wandelbar mit Takelage und wogenden Segeln eindrucksvoll Schiffahrt alter Schule assoziierende Bühnenbild von Barbara Ehnes ist Schauplatz vieler und oft langer Monologe. Diese Revue szenischer Literaturrezitationen geht auf Kosten einer Spannung, die sich aus dem Wahn eines komplex strukturierten Anführers ergeben könnte sowie seiner charakterlich wie ethnisch bunten Mannschaft, die als geschlossene Gesellschaft über Jahre hinweg auf dem Wasser lebt.

Trotzdem hat sich das Premierenpublikum enthusiastisch gezeigt. Die Tragödie über den Wahn des Walfängers bleibt zwar nur ein Grundrauschen, aber das Menetekel vom Ende einer Menschheit, die sich nicht als Teil der Natur begreift, ist deutlich lesbar.

Residenztheater, heute, 26. April, 8., 12., 18. Mai, 19.30 Uhr, sonntags, 18.30 Uhr, Karten online und unter Telefon 21851940





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