Es war abzusehen: Martin Hikel und Nicola Böcker-Giannini haben sich beim SPD-Mitgliederentscheid für den Landesvorsitz durchgesetzt. Das Kandidatenduo erhielt 58,5 Prozent der Stimmen. Auf das linke Kandidatenpaar Kian Niroomand und Jana Bertels entfielen 41,5 Prozent der Stimmen. Wie im ersten Wahlgang blieb die Wahlbeteiligung unter den 18 000 Berliner SPD-Mitgliedern überschaubar: Gerade mal 52,5 Prozent der Genossen gaben ihre Stimme ab.
Hikel, Bezirksbürgermeister in Neukölln, und Böcker-Giannini, ehemalige Staatssekretärin, hatten bereits im ersten Wahlgang des Mitgliederentscheids die absolute Mehrheit nur knapp verpasst. Überraschend kommt ihr Sieg daher nicht. Beide gelten als Vertreter des rechten Parteiflügels. Im Vorfeld der Wahl übten sie Kritik an dem, was sie die »Kostenlos-Stadt« nennen. Gemeint ist damit die Gebührenfreiheit für Kitas und Horte, die 2018 unter Rot-Rot-Grün eingeführt wurde. »Wir wollen das Prinzip Umverteilung in den Mittelpunkt stellen, nicht Gießkanne«, sagte Hikel während des parteiinternen Wahlkampfs gegenüber dem »Tagesspiegel«. Böcker-Giannini verwies zudem auf Qualitätsverluste bei der Betreuung, die sie in einen Zusammenhang mit der Gebührenfreiheit stellte.
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Kritisch äußerten sich beide auch zu Wohnungsankäufen durch landeseigene Wohnungsgesellschaften und zu dem 29-Euro-Ticket. Letzteres ist das Herzensprojekt der scheidenden SPD-Landesvorsitzenden Franziska Giffey, als deren politische Ziehkinder Hikel und Böcker-Giannini eigentlich gelten. Alle drei haben ihre politische Heimat im Neuköllner Kreisverband. Als am Samstag das Ergebnis der Mitgliederbefragung verkündet wurde, wirkte das Verhältnis angespannt. »Wir werden das 29-Euro-Ticket nicht sofort abschaffen, sondern kritisch begleiten, wie es angenommen wird«, sagte Hikel. Giffey, die in diesem Moment eigentlich als Moderatorin fungierte, reagierte sichtbar pikiert. »Es wurden bereits 100 000 Tickets verkauft«, hielt sie dagegen.
Vom linken SPD-Flügel gab es am Wochenende zu dem Wahlergebnis gemischte Reaktionen. Die Wahlverlierer Niroomand und Bertels zeigten sich versöhnlich: »Wir werden das Gewinner-Duo mit aller Kraft dabei unterstützen, unsere SPD wieder so aufzustellen, dass wir 2026 die stärkste politische Kraft werden«, kommentierten beide die Abstimmung in einer Pressemitteilung. Deutlich kritischer äußerten sich die Juso-Landesvorsitzenden Kari Lenke und Svenja Diedrich. »Die Mehrheit der Genoss*innen, die abgestimmt haben, hat sich gegen einen linken Neustart und für einen CDU-nahen Kurs entschieden«, schreiben sie in einem Pressestatement. Das Wahlergebnis nehme man »mit Bedauern« zur Kenntnis.
Für die Berliner SPD dürften sich die Wogen trotz dieser Richtungsentscheidung nicht unmittelbar glätten. Zunächst steht der Landesparteitag am kommenden Samstag an, bei dem Hikel und Böcker-Giannini offiziell gewählt werden sollen. Unter dem Mittelbau lokaler SPD-Funktionäre haben beide nur wenig Rückhalt. Dass die Delegierten die Sieger des Mitgliederentscheids nicht mittragen, ist unwahrscheinlich. Spannend bleibt aber, mit welchem Ergebnis die Parteirechten gewählt werden. Schon Franziska Giffey und Raed Saleh erhielten nur knapp 60 Prozent der Stimmen, als sie 2022 erneut für den Landesvorsitz kandidierten.
Entscheidend wird wohl auch sein, welche anderen Vorstandsmitglieder den beiden Vorsitzenden zur Seite gestellt werden. Der linke Flügel könnte versuchen, Hikel und Böcker-Giannini mit linken Stellvertretern einzuhegen. Man brauche nun ein gemeinsames Angebot, das von allen Parteiflügeln getragen werde, gab sich Hikel am Samstag versöhnlich. »Dieses Wahlergebnis muss sich bei allen Entscheidungen widerspiegeln, sowohl bei personellen als auch inhaltlichen«, schob er allerdings hinterher.
Eine Richtungsentscheidnug wird wohl schon vor dem Landesparteitag fallen. Der bisherige SPD-Fraktions- und Landeschef Raed Saleh, der mit einer eigenen Kandidatur beim Mitgliederentscheid krachend scheiterte, will sich am Dienstag als Fraktionsvorsitzender bestätigen lassen. Die Wahl war eigentlich erst für Juni vorgesehen, aber Saleh ließ den Termin vorziehen und ist bislang der einzige Kandidat für das mächtige Amt. Das handstreichartige Vorgehen zog viel Kritik auf sich. »Das ist genau der Stil, den viele Parteimitglieder nicht mehr wollen«, kommentierte der unterlegene Kian Niroomand. Hikel mahnte an, dass die Fraktion die Entscheidung bewusst abwägen solle, »angesichts dessen, was heute entschieden worden ist«.
Auch an anderer Stelle könnte das Wahlergebnis die innerparteilichen Konflikte über bloße Links-Rechts-Streitigkeiten hinaus verkomplizieren. Böcker-Giannini war bis zum vergangenen Oktober Sportstaatssekretärin, als Senatorin Iris Spranger (SPD) sie überraschend im Streit um die Finanzierung der Fußball-Europameisterschaft entließ. Bis heute sollen beide keine Worte mehr austauschen. Spranger gilt als Wortführerin der rechten Sozialdemokraten im Senat.
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