Brüssel. „Wir können jetzt nichts mehr abgeben“, sagt die tschechische Verteidigungsministerin Jana Cernochova. „Leider befinden wir uns jetzt im dritten Jahr des Krieges und es ist völlig logisch, dass die Vorräte nicht unbegrenzt sind und irgendwann aufgebraucht sein werden“, sagt sie im Gespräch mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Leere Waffenarsenale und lange Produktionszeiten der Rüstungsindustrie stellen in diesen Monaten fast alle EU-Mitgliedsstaaten vor Herausforderungen bei der Unterstützung der Ukraine und der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Das soll bald ein Ende haben. Am Dienstag wollen EU-Industriekommissar Thierry Breton und Chefdiplomat Josep Borrell die lange erwartete Strategie für die Verteidigungsindustrie der Europäischen Union vorstellen. Sie sieht umfangreiche Investitionen in die Rüstungsindustrie und strengere Vorgaben für Anschaffungen in den europäischen Armeen vor. Es handelt sich dabei auch um eine Vorbereitung der EU auf eine mögliche zweite Amtszeit von Donald Trump als Präsident der Vereinigten Staaten.

Bisher kaufen europäische Staaten Rüstungsgüter vor allem in den USA

„Die Kapazitäten unserer Verteidigungsindustrie müssen innerhalb der nächsten fünf Jahre massiv hochgefahren werden“, sagte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kürzlich in Straßburg. „Europa muss mehr Geld in die Hand nehmen und es besser ausgeben, europäisch ausgeben.“ Eine Milliarde Euro sind nach Angaben von EU-Diplomaten für den Ausbau der Produktionskapazitäten vorgesehen, ein Teil davon soll über Kredite bereitgestellt werden. Zudem sieht die Strategie vor, dass EU-Staaten bis 2035 die Hälfte ihrer Waffenkäufe bei europäischen Rüstungskonzernen vornehmen. Bisher kaufen die Mitgliedsstaaten Waffen für ihr Militär vor allem außerhalb Europas ein. Mehr als 60 Prozent der Rüstungsaufträge zwischen Februar 2022 und Juni 2023 gingen an die USA. Auch große Teile des Sondervermögens für die Bundeswehr gehen in die USA.

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Mit der europäischen Verteidigungsstrategie will die Kommission die Rüstungsindustrie in der EU stärken und wettbewerbsfähiger gegenüber US-Konzernen machen. Durch die Einnahmen sollen europäischen Unternehmen mehr Mittel für Investitionen in Forschung und Innovation zur Verfügung stehen. Letztlich geht es darum, die Abhängigkeit der EU-Staaten von den US-Herstellern zu reduzieren.

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Nato: Abgrenzung von den USA ist der falsche Weg

In der Nato ist man äußerst skeptisch gegenüber der „Europe first“-Strategie. Eine Abgrenzung von den USA sei der falsche Weg, heißt es im Brüsseler Hauptquartier. Schließlich seien Waffensysteme aus den USA oder Südkorea oft qualitativ besser oder zumindest besser verfügbar. Dass Europa in die eigene Verteidigungsfähigkeit investiere, hält man bei der Nato aber für den richtigen Weg.

Auch in der Tschechischen Republik wird derzeit über die Verteilung von Rüstungsaufträgen nachgedacht. 24 amerikanische Kampfflugzeuge vom Typ F-35 hat die Armee bereits gekauft, dazu 246 Schützenpanzer aus Großbritannien und 14 Leopard-Kampfpanzer aus Deutschland. Über weitere 77 Leoparden verhandelt Tschechien noch mit Deutschland. Das Verteidigungsministerium überlegt nun, bei welchem Konzern gepanzerte Fahrzeuge, Transporthubschrauber und leichte Angriffsfahrzeuge bestellt werden sollen. Die neue EU-Strategie könnte dazu führen, dass der Großteil der Aufträge an europäische Konzerne geht.

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„Auslöschung der Zivilisation“: Putin warnt Westen vor Gefahr eines Nuklearkonflikts

Putin warnt den Westen vor dem Einsatz von Truppen in der Ukraine und droht für diesen Fall mit einem Atomkrieg.

Die Zusammenarbeit soll effektiver werden

Die mangelnde Koordination zwischen den EU-Staaten führt im Rüstungsbereich immer wieder zu Problemen. „Manchmal produzieren zwei oder drei von uns dasselbe, während uns andere Dinge fehlen“, sagte der spanische Außenminister José Manuel Albares kürzlich im RND-Interview. „Außerdem gibt es keine Interoperabilität zwischen den verschiedenen Waffensystemen, was die Zusammenarbeit erschwert.“

Ähnlich wie bereits beim Kauf von Covid-19-Impfstoffen plant die EU-Kommission der gemeinsamen Beschaffung im Verteidigungsbereich Vorrang einzuräumen. Als Anreiz könnte es eine Befreiung von der Mehrwertsteuer für gemeinsame Rüstungskäufe geben. Durch gemeinsame Verhandlungen könnten die Länder nicht nur günstigere Preise aushandeln, sondern mit einheitlichen Waffensystemen auch effektiver zusammenarbeiten. Bereits 2007 hatten sich die EU-Staaten das Ziel gesetzt, 35 Prozent ihrer Einkäufe gemeinsam zu tätigen. Dieses Ziel wurde jedoch immer sehr deutlich verfehlt.

„Die Unterstützung erfolgt vielleicht langsamer, als die Ukraine es sich wünscht, aber sie funktioniert“

Der russische Angriff auf die Ukraine hatte die militärischen und industriellen Schwächen der Europäer offengelegt. „Es scheint manchmal, dass wir selbst nach zwei Jahren Krieg nicht in der Lage sind, das schnell genug zu liefern, was die Ukraine gerade braucht“, kritisierte Spaniens Außenminister Albares. Die EU-Kommission will nun prüfen, wie die Verteidigungsindustrie mehr Planungssicherheit und eine stabile Auftragslage bekommen kann. Im Gespräch sind unter anderem garantierte Abnahmevereinbarungen. Die Industrie soll künftig schneller ihre Produktionskapazitäten hochfahren können und Lagerbestände vorhalten.

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Seit den Munitionsengpässen in der Ukraine steht der Ausbau der europäischen Munitionsproduktion im Fokus. Die EU-Kommission will die Kapazitäten noch einmal erhöhen: Bis Ende 2025 sollen Rüstungskonzerne in der EU mehr als zwei Millionen Granaten pro Jahr produzieren. Das ist doppelt so viel wie bis Ende dieses Jahres angestrebt wird.

Mit der Zeit soll auch die Ukraine in die Rüstungsstrategie einbezogen werden. Die tschechische Verteidigungsministerin Cernochova bekräftigt, dass der Westen die Ukraine weiterhin unterstütze, auch wenn die Vorräte zur Neige gingen. „Die Unterstützung erfolgt vielleicht langsamer, als die Ukraine es sich wünscht, aber sie funktioniert“, sagt sie im RND-Interview.



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