Rom. „Wir haben uns vor zwei Jahren hier gesehen, und es war eine schöne Nacht gewesen – aber die heutige ist noch schöner. Wir werden diese Woche als stärkste Regierung zum G-7-Gipfel fahren“, erklärte eine strahlende Giorgia Meloni am späten Sonntagabend im Römer Wahlkampf-Hauptquartier ihrer Partei Fratelli d‘Italia. Die Regierungschefin spielte damit auf zwei Dinge an: Erstens auf ihren Wahlsieg bei den Parlamentswahlen im Herbst 2022, die sie mit 26 Prozent der Stimmen gewonnen hatte. Bei den Europawahlen konnten sich die „Brüder Italiens“ nun auf knapp 29 Prozent steigern. Meloni ist damit – und das ist die zweite Anspielung – europaweit die einzige Regierungschefin, die aus den Europawahlen vom Wochenende gestärkt hervorgegangen ist.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

+++ Alle News zur Europawahl 2024 im Liveblog +++

Leicht steigern gegenüber dem Resultat der Parlamentswahlen konnten sich auch Melonis Koalitionspartner: Die Lega von Infrastrukturminister Matteo Salvini, die am äußersten rechten Rand politisiert und mit einem homophoben General und Mussolini-Fan als Spitzenkandidaten in die Europawahl gestiegen ist, kam auf 9 Prozent, die einstige Berlusconi-Partei Forza Italia, die nun von Außenminister Antonio Tajani geführt wird, erzielte knapp 10 Prozent. Die Parteien der Regierungskoalition kamen somit auf insgesamt 48 Prozent der Stimmen, während die Oppositionsparteien auf 49 Prozent kamen. „Man kann nicht sagen, dass die Nation Giorgia Meloni zu Füßen liegt. Sie ist, in einem gespaltenen Land, nur Chefin der stärksten Partei“, kommentierte gestern der bürgerliche „Corriere della Sera“.

Europa-Radar

Was in Brüssel passiert und Europa bewegt: Unser RND-Korrespondent liefert EU-Insights und Hintergründe – immer donnerstags.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Vorsprung auf PD schmilzt

In der Summe haben die beiden italienischen Rechtsparteien Fratelli d‘Italia und Lega gegenüber der Europawahl 2019 Stimmenanteile eingebüßt, weil die Lega von damals 34,3 Prozent auf 9 Prozent abgestürzt ist. Die Zugewinne der Meloni-Partei vermochten dies nicht zu kompensieren.

Der Abstand der postfaschistischen Fratelli d‘Italia zur größten Oppositionspartei, dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), ist außerdem kleiner geworden – und das ist die große Überraschung der Europawahlen in Italien. Unter der 39-jährigen Parteichefin Elly Schlein, die seit etwas mehr als einem Jahr im Amt ist, hat sich der PD im Vergleich zu den Parlamentswahlen von 2022 von 19 auf 24 Prozent gesteigert. Schlein, die am Sonntagabend mit einer Gitarre in der Hand im PD-Hauptquartier erschienen ist, erklärte, dass sie zur Parteichefin gewählt worden sei, um den Sozialdemokraten wieder ein linkeres Profil zu geben. „Auf diesem Weg werden wir nun weitergehen: Wir sind die Partei in Italien, die am meisten zugelegt hat“, betonte die Oppositionsführerin, die oft auch als „Anti-Meloni“ bezeichnet wird.

Statue einer Justizia mit aufgeschnittenem Kopf und einem zu sehenden rosa Gehirn

Italiens Richter und Staatsanwälte sollen zum Psychotest

Im Rahmen ihrer Justizreform will die Rechtsregierung von Giorgia Meloni psycholo­gische Eignungstests für angehende Richter und Staatsanwälte einführen. Die betroffenen Berufsgruppen gehen auf die Barrikaden und fürchten um die Unabhängigkeit der Justiz.

Wohin steuert Meloni auf EU-Ebene?

Einen von kaum jemandem erwarteten Exploit schaffte außerdem die linksgrüne Alleanza Verdi-Sinistra, die auf über 6 Prozent der Stimmen kam und damit locker die in Italien geltende Wahlhürde von 4 Prozent schaffte. Die Linksgrünen, die in Italien bis vor kurzem ein Schattendasein fristeten, waren bisher im Europaparlament nicht vertreten und sind somit die Einzigen, die nun voraussichtlich die arg gebeutelte grüne Fraktion stärken werden. Zum Überraschungserfolg der Alleanza hat zweifellos beigetragen, dass sie mit Ilaria Salis als Spitzenkandidatin angetreten waren: Die Linksaktivistin war vor über einem Jahr in Budapest während einer Gegendemonstration zu einem Neonazi-Treffen verhaftet worden. Im Gerichtsaal war sie dann im Frühling wie ein Tier in Ketten und Fußfesseln vorgeführt worden, was landesweit Empörung und eine Solidaritätswelle ausgelöst hatte.

Weiterlesen nach der Anzeige

Weiterlesen nach der Anzeige

Interessant wird nun sein, mit wem die gestärkte Giorgia Meloni, Chefin der Fraktion der rechtslastigen europäischen Konservativen und Reformer (EKR) im Europaparlament, auf EU-Ebene zusammenarbeiten wird. Meloni wird seit Wochen sowohl von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die um ihre Wiederwahl kämpft, als auch von Marine Le Pen umgarnt. Die französische Wahlsiegerin, Anführerin der in weiten Teilen rechtsextremen europäischen Fraktion der Identitären und Demokraten (ID), hat Meloni vorgeschlagen, die EKR mit der ID zusammenzulegen.

Die italienische Regierungschefin hat sich zu diesem Vorschlag bisher nicht geäußert und im Wahlkampf lediglich gesagt, sie wolle „das italienische Modell nach Europa exportieren und die Linke nach Hause schicken“. Das heißt: Sie strebt auch auf europäischer Ebene eine Koalition wie in Rom an, wo alle Parteien rechts der Mitte zusammenarbeiten. Dies dürfte aber selbst nach dem klaren Rechtsrutsch im Europaparlament weiterhin schwierig bleiben, weil die größte Fraktion, die EVP, bisher jede Zusammenarbeit mit der ultrarechten ID ausgeschlossen hat. Hinzu kommt, dass Meloni, die ohne Wenn und Aber an der Seite der Ukraine steht, mit der Putin-Nähe Le Pens (und ihres Vizepremiers Salvini, dessen Lega ebenfalls der ID angehört) große Mühe bekundet. Es würde in Rom niemanden überraschen, wenn Meloni ihrer Freundin von der Leyen unter die Arme greifen würde, wenn es für diese bei der Wiederwahl ins Kommissionspräsidium knapp werden sollte.



Source link www.ostsee-zeitung.de