Paris. Emmanuel Macron kämpft, die Zähne fest zusammengebissen, der Blick hart, eine Ader am Bizeps aufs Äußerste angespannt. Entschlossen, viril, energiegeladen – das ist das Bild, das Frankreichs Präsident abgeben will, indem er Fotos von sich beim Boxen veröffentlichen ließ. Seit Mittwochabend zirkulieren sie in den sozialen Medien und an Reaktionen mangelt es nicht. Manche sind belustigt, andere irritiert: Macht Macron jetzt einen auf Wladimir Putin, der sich ebenfalls in jüngeren Jahren mit Boxhandschuhen oder mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd ablichten ließ und damit auf Bilder von sich als Verkörperung des muskelbepackten Machos setzte?

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Philippe Moreau-Chevrolet, Experte für politische Kommunikation, vermutet, dass Macron ein direktes Signal an Russlands Präsidenten aussenden wollte, so als stünden sich beide als Gegner in einem Ring gegenüber. „Man hat zwei Anführer, die sich jeweils bereit für die Schlacht präsentieren.“ Gerade jetzt geriet zudem ein Video in Umlauf, das den 46-Jährigen bei einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj am 24. Februar 2022, als die russischen Angriffe begannen, zeigte. Macron setzte darin eine tief besorgte Miene auf, sprach wenig, hörte zu. Selenskyj bat eindringlich um Macrons Hilfe, auf Putin einzuwirken, zeigte sich offen für Gespräche.

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Dass Frankreich bereit sei, die Ukraine und mit ihr die Sicherheit und Stabilität Europas bis aufs Letzte zu verteidigen, das hat der Präsident in den letzten Wochen mehrmals betont. Der Politiker, der sich Anfang 2022 vor und auch nach Beginn des Kriegs noch als Vermittler positionieren wollte und vor einer „Demütigung“ des Herrschers im Kreml warnte, hat seitdem die Position radikal gewechselt. Die Zeichen stehen auf Angriff, zumindest verbal – oder gar darüber hinaus? Ende Februar schloss Macron erstmals die Entsendung von Bodentruppen in die Ukraine nicht aus. Trotz der ablehnenden Reaktionen vieler Verbündeter und der französischen Opposition blieb er dabei. „Vielleicht wird es zu einem bestimmten Zeitpunkt – ich hoffe es nicht und werde nicht die Initiative ergreifen – nötig sein, Operationen vor Ort zu haben, um sich den russischen Kräften zu widersetzen“, sagte er vor einer Woche auf dem Rückweg von einem Treffen in Berlin mit Bundeskanzler Olaf Scholz und dem polnischen Premierminister Donald Tusk gegenüber der Zeitung „Le Parisien“.

Berlin für die Finanzen, Paris fürs Militär?

Die Partner seien komplementär: Berlin habe mehr finanziellen Spielraum, Paris könne militärisch „Dinge tun, die Deutschland nicht machen kann“. Macron spielte damit nicht nur auf die Tatsache an, dass Frankreich als Atommacht über mehr Abschreckungspotenzial verfügt. Sondern auch auf seine politische Freiheit, als Oberbefehlshaber des Militärs schnell und ohne notwendige Zustimmung des Parlaments Soldateneinsätze anzuordnen.

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Was aber kann Frankreichs Berufsarmee konkret, sollte es wirklich zu einer kriegerischen Auseinandersetzung kommen? Mit 205.000 Soldaten ist sie derzeit die größte in Europa. Allerdings ließ die Erklärung von Scholz vor zwei Jahren, dass Deutschland in Europa bald über die größte konventionelle Armee im Rahmen der Nato verfügen werde, in Paris aufhorchen. Macron, der seit seinem Amtsantritt das Militärbudget kontinuierlich anhob, kündigte im Vergleich zur vorhergegangenen Periode eine Erhöhung um rund 40 Prozent – insgesamt 413 Milliarden Euro – für die Zeit von 2024 bis 2030 an.

Experte spricht von „Bonsai-Armee“

Experten zufolge hat auch Paris in den vergangenen Jahrzehnten zu wenig in sein Militär investiert. Das deutet der auf Verteidigung spezialisierte Journalist Jean-Dominique Merchet bereits im Titel eines Buches zum Thema an. „Sind wir bereit für den Krieg? Die Illusion der französischen Macht“, lautet es. Er spricht von einer „Bonsai-Armee“: „Wir haben Satelliten, Atom-U-Boote, Flugzeugträger, Spezialkräfte, Panzer… wir haben absolut alles, wie die amerikanische Armee. Außer dass wir nicht die USA sind und alles in kleiner verfügbar ist.“ Experten zufolge könnte das französische Heer im Ernstfall nur 25.000 Leute einsetzen, um eine Frontlinie von gerade einmal 83 Kilometern zu halten.

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In den vergangenen Jahren war Paris laut Merchant nur in sogenannten asymmetrischen Kriegen engagiert, wo es den Gegnern technologisch deutlich überlegen war, etwa beim Kampf gegen Islamisten in der Sahelzone. Doch auf einen Fall wie das „Aufeinandertreffen zweier riesiger Armeen in der Ukraine“ sei das Land nicht vorbereitet. Das gelte auch für die Rüstungs- und Artillerieproduktion. In einem Bericht vom Februar 2023 warnte der Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung, für einen intensiven Einsatz fehle es der französischen Armee an genügend Munition.

Frankreichs Rüstungsindustrie wächst

Allerdings wird aufgeholt. Frankreich verfügt über eine starke Rüstungsindustrie, die seit zwei Jahren ein großes Auftragsplus verzeichnet. Die Produktionsgeschwindigkeit wurde gesteigert, beispielsweise dauert die Herstellung der fahrbaren Caesar-Haubitze nur noch 15 statt zuvor 30 Monate. 2022 konnte Frankreich pro Monat 1000 Granaten liefern, nun sind es dreimal so viele. Doch von einer Umstellung auf „Kriegswirtschaft“, die Macron forderte, kann laut Merchet längst nicht die Rede sein.

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Demgegenüber signalisierte Generalstabschef Pierre Schill nun in der Zeitung „Le Monde“ die umfassende Bereitschaft Frankreichs, sich oder Verbündete vor Angriffen zu schützen und seine Interessen auch militärisch zu verteidigen. Binnen 30 Tagen könne es eine Division von rund 20.000 Leuten in einer Koalition einsetzen. „Wir sind nicht mehr nur bei der Analyse der Konflikte, die uns umgeben“, so Schill. Die Bodenarmee „sei bereit“. Schill klang dabei so bestimmt wie sein Chef, Präsident Macron. Es gelte jetzt, nicht „feige“ zu sein, sagte dieser vor kurzem bei einer Rede in Prag. Wer immer noch nicht von seiner Entschlossenheit überzeugt ist, werfe einen Blick auf seine jüngsten Boxerfotos.





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