Teheran

Begleitet von Boykottaufrufen haben im Iran die Wahlen für das Parlament und den Expertenrat begonnen. Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei eröffnete in einer Hochsicherheitszone die Wahlen mit seiner Stimmabgabe. “Die Augen der Menschen und Politiker in der Welt sind auf den Iran gerichtet”, sagte Chamenei vor Journalisten. “Sowohl Freunde als auch Feinde”, fügte er hinzu. Seit Wochen bereits hatte die Staatsspitze die Nation eindringlich dazu aufgerufen, wählen zu gehen.

In der Hauptstadt Teheran war schon in den vergangenen Wochen wenig Wahlstimmung zu erkennen. Viele Menschen sind nach gescheiterten Reformversuchen der vergangenen Jahrzehnte desillusioniert und planten, der Abstimmung fernzubleiben. Das Lager der Reformpolitiker ist extrem geschwächt. Vor allem konservative Kräfte ringen in der Folge um die Macht. Es sind die ersten Wahlen nach den von Frauen angeführten Protesten im Herbst 2022. Bekannte Aktivisten, unter ihnen die inhaftierte Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi, riefen zum Boykott auf.

Rund 61 Millionen Wählerinnen und Wähler sind in der Islamischen Republik aufgerufen, außer dem Parlament (Madschles) auch den sogenannten Expertenrat, ein einflussreiches Gremium islamischer Gelehrter, zu wählen. Mit ersten Ergebnissen wird am Wochenende gerechnet. 

Politisches System zwischen Theokratie und Republik

Das politische System der Islamischen Republik vereint seit der Revolution von 1979 theokratische und republikanische Elemente. Die 290 Sitze des Parlaments, fünf davon reserviert für religiöse Minderheiten, werden alle vier Jahre vom Volk gewählt. Der sogenannte Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, entscheidet dabei über die ideologische Eignung der Politiker. In der Folge können die Bürger meist nur aus einem Kreis systemtreuer Kandidaten auswählen. Der Wächterrat schloss beispielsweise 5000 Bewerber aus. Dennoch kandidiert eine Rekordzahl von 15 000 Iranerinnen und Iranern.

Kandidatinnen und Kandidaten gehen nicht mit Parteien ins Rennen, sondern organisieren sich über Listen. In Teheran etwa werden 30 Sitze für die Nationalversammlung gewählt, entsprechend stellen die Bündnisse jeweils 30 Kandidaten vor. In der Hauptstadt konkurrieren ein halbes Dutzend konservative Gruppen um die Vorherrschaft. Wenige Tage vor der Wahl deutete sich ein erbitterter Machtkampf zwischen dem amtierenden Parlamentspräsidenten Mohammed Bagher Ghalibaf und erzkonservativen Lagern an. Die aktuelle Legislaturperiode endet am 26. Mai.

Der Staatsspitze dürften die Wahlen nicht gleichgültig sein, wie jüngste Äußerungen von Spitzenpolitikern und auch Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei zeugen. Sie riefen die Nation eindringlich dazu auf, an den Abstimmungen teilzunehmen. Bei der vergangenen Parlamentswahl im Jahr 2020 lag die Wahlbeteiligung offiziell bei knapp über 40 Prozent, dem niedrigsten Wert in der Geschichte der Islamischen Republik. Viele Menschen im Iran interessiert folglich, wie niedrig die Wahlbeteiligung dieses Mal sein wird. 

Wahl des Expertenrats rückt ins Zentrum der Aufmerksamkeit

Neben dem Parlament wird auch der Expertenrat direkt vom Volk gewählt. Dem auf acht Jahre gewählten Gremium gehören 88 schiitische Geistliche an, die im Todesfall die Nachfolge des Religionsführers bestimmen. Chamenei gilt als mächtigster Mann im Iran, im April wird das Staatsoberhaupt bereits 85 Jahre alt. Nur 144 Kandidaten sind für den Rat zugelassen. Begründet wurde die geringe Zahl mit strengen theologischen Auflagen. Für Kritik sorgte vor den Wahlen die Disqualifikation des moderaten Ex-Präsidenten Hassan Ruhani, der bereits seit mehr als 20 Jahren Mitglied des Expertenrats ist.

Das Parlament ist Irans gesetzgebende Institution. Die eigentliche Macht konzentriert sich aber auf die Staatsführung mit Religionsführer Chamenei an der Spitze. Auch der Präsident wird alle vier Jahre vom Volk als Regierungschef gewählt und ernennt die Minister. Daneben hat auch der Sicherheitsrat weitreichende Befugnisse. Irans Elitestreitmacht, die Revolutionswächter (IRGC), haben in den vergangenen Jahrzehnten ihren Einfluss auf allen Ebenen ausgebaut und sind zu einem Wirtschaftsimperium aufgestiegen.


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