Frankreich macht es vor: Kurz nach Bekanntwerden des desaströsen Ergebnisses seiner Partei verkündet der französische Präsident Emmanuel Macron die Auflösung der Nationalversammlung: Bereits in wenigen Wochen werden die Franzosen ein neues Parlament wählen.

Und Deutschland? Auch hier kann man das Wahlergebnis mit Fug und Recht als ein Abwatschen der Ampelkoalitionäre interpretieren. Oder wie Caren Miosga in ihrem Sonntagstalk bilanziert: „Das ist das schlechteste Ergebnis, das eine deutsche Kanzlerpartei je in Europa eingefahren hat.“

Wer trägt die Verantwortung für die Ampel-Kakophonie?

Bei „Caren Miosga“ sitzt an diesem Abend SPD-General Kevin Kühnert, ungewohnt kleinlaut sieht er aus. Der Forderung nach einer Vertrauensfrage, wie sie etwa Kühnerts CDU-Pendant Carsten Linnemann gestellt hat, erteilt er dennoch eine klare Absage: „Dafür sehe ich keinen Anlass.“

Kühnert sagt all das, was man eben so sagt als Wahlverlierer: „Wir haben wirklich etwas aufzuarbeiten.“ Und das womöglich sogar ohne Beziehungsstress in der Ampel. „Wir haben es uns abtrainiert in der SPD, dem jeweiligen Nebenmann die Verantwortung zuzuschieben“, behauptet Kühnert: „Wir gewinnen zusammen und wir verlieren zusammen.“

Schon einen Satz später erwähnt er allerdings, dass die meisten Wähler nicht der SPD in der Ampel die Verantwortung „für manche Kakophonie zuschreiben“, sondern der Koalition an sich und damit auch der FDP und den Grünen. „Das gibt uns zu denken.“ Ein ehrenwerter Versuch, den eigenen Chef aus der Schusslinie zu schieben.

Trittin: Ampel regiert noch bis 2025 – gerade wegen dieser Wahl

„Friedenskanzler, Abschiebekanzler, Rentenkanzler“: Jens Spahn, Vize-Vorsitzender der Bundestagsfraktion von CDU und CSU, zählt auf, in welchen Rollen sich Olaf Scholz in diesem EU-Wahlkampf versucht hat – und das ohne Erfolg: „Der Kanzler hat zu seinem Volk die Verbindung irreparabel verloren.“ Frust, Wut, Verunsicherung, Enttäuschung nennt Spahn als die Basisemotionen für die Top-Ergebnisse der AfD vor allem im Osten Deutschlands.

Dennoch deutet bislang wenig daraufhin, dass die Ampelkoalition mit Scholz an der Spitze den französischen Weg wählen könnte – im Gegenteil: „Ich gehe davon aus, dass die Ampel gerade nach diesem Wahlergebnis bis 2025 regieren wird“, glaubt der Alt-Grüne Jürgen Trittin.

Das Desaster habe eine „eher beruhigende Wirkung auf den inneren Zusammenhalt“ der Ampel. Oder anders ausgedrückt: „Die Neigung bei allen dreien, aus Angst vor dem Tod Selbstmord zu begehen, ist nicht so groß“, schätzt Trittin und schmunzelt. Miosgas Interpretation: „Da ist vielleicht der Wunsch der Vater des Gedankens.“

Und Scholz? Macht das, was er seit seiner Wahl zum Bundeskanzler am liebsten macht und vielleicht sogar am besten kann: nichts. Journalistin Melanie Amann berichtet von einer Kollegin, die bei Scholz nachfragte, ob er das Wahlergebnis kommentieren wolle. Seine kurze Antwort: „Nö.“





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