Lübeck. Es ist Mittagszeit. Am sonst so belebten Hansering tummeln sich um 13 Uhr nur wenige Passanten. Schließlich hat die Drogerie mit Poststelle Weinert gerade geschlossen, ebenso wie der Tabak- und Lottoladen gegenüber. Dennoch vergehen kaum fünf Minuten, bis der erste „Schatzsucher“ mit einem Stoffbeutel am Bücherschrank auftaucht. Wenig später gesellt sich ein weiterer Bücherfreund hinzu.

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Rentner Michael Groth kommt vom Einkaufen. „Das liegt auf dem Weg, dann suche ich regelmäßig nach Büchern über Katzen oder den Garten – denn ich habe beides“, sagt er. Ach ja, und da er sich selbst versorgen müsse, seien auch Kochbücher unter den Schnäppchen – wie an diesem Tag. Was ihn ärgert: „Hier werden immer mal wieder Bücher zerfleddert. Bücher bedeuten Wissen“, empört sich der 65-Jährige, „die kaputt zu machen, ist mies.“

Michael Groth (65) ist im Bücherschrank am Hansering fündig geworden: Er hat einen Kleingarten und kocht – das perfekte Buch für ihn.

Michael Groth (65) ist im Bücherschrank am Hansering fündig geworden: Er hat einen Kleingarten und kocht – das perfekte Buch für ihn.

Nicht nur die Bücher, auch die Schränke selbst werden immer wieder kaputt gemacht. Gerade erst hat Drogerie-Chefin Sigrid Weinert mal wieder eine abgerissene Klappe des Bücherschranks erneuern lassen – für 160 Euro. Vandalismus kommt immer wieder vor, ebenso wie am Bücherschrank am Carlebachpark im Hochschulstadtteil. Da stand der öffentliche Bücherschrank vor zwei Jahren sogar auf der Kippe.

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Doch Sigrid Weinert hat kürzlich beobachtet, was ein neuer Trend zu sein scheint: „Es gibt Leute, die an den Bücherschrank gehen, aufs Handy gucken und die Bücher, die sich über Internetportale gut verkaufen lassen, mitnehmen, um sie zu verticken.“ Und das sei ja wohl wirklich nicht der Sinn der Bücherschränke.

Stempel schützt vor Missbrauch am Bücherschrank

„Eine Variante, die schon vor Jahren aufflog“, sagt Buchhändler Olaf Adler. Er räumt ab und an den Bücherschrank Pelzerstraße/Ecke Wakenitzufer in seinem Wohnviertel mit auf oder bestückt ihn. Betreut wird der Schrank von zwei Damen aus dem Quartier. Dort hat man einen weg gefunden, den Bücherverkauf zu verhindern: „Es gibt einen Stempel.“ Auf dem stehe, dass das jeweilige Buch dem öffentlichen Bücherschrank gehöre. Adler: „Damit lassen sich die Bücher auf einschlägigen Portalen kaum noch verkaufen.“

Nutzt den Bücherschrank an der Ecke Kronsforder Allee / St.-Jürgen-Ring selbst häufig: Grundstückseigentümer Detlev Stolzenberg.

Nutzt den Bücherschrank an der Ecke Kronsforder Allee / St.-Jürgen-Ring selbst häufig: Grundstückseigentümer Detlev Stolzenberg.

Dass Bücher, die eigentlich zum Tausch gedacht sind, bisweilen zu Geld gemacht werden, findet Detlev Stolzenberg „nicht schlimm oder verwerflich“. Ihm gehört das Grundstück an der Ecke St.-Jürgen-Ring / Kronsforder Allee, auf dem sich am ehemaligen Kiosk die „Kultur Kiste“ befindet. Das gezielte Suchen nach Büchern zum Verkauf habe er zwar noch nicht beobachtet, „aber einige kommen mit Bananenkisten hierher, um sich einzudecken, und manche suchen gezielt nach wertvollen Büchern“.

Reger Austausch rund um die Schränke mit Lesestoff

Der Bücherschrank im Carlebachpark hat die Vandalismuskrise überlebt. Die Kita „Drachennest III“ des Awo-Familienzentrums betreut den Bücherschrank, zudem kümmere sich ein Vater um den Schrank. „Er hat Klappen angebracht, seitdem läuft es gut“, sagt Gesa Scharf von der Kita. Es sei zu vermuten, dass einige die Bücher auch verkaufen wollten. „Aber solange sich das in Grenzen hält, finde ich das nicht schlimm.“

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An jenem Bücherschrank treffen gegen 14 Uhr Anwohnerin Marit Alke und Judith Müller von der Campus Buchhandlung Störtebeker aufeinander und tauschen sich rege über die Bücher aus. „Einige scannen die Bücher“, sagt Müller. Aber dennoch ist sie mit Marit Alke einig, dass der Bücherschrank vor allem eine tolle Einrichtung ist, an der stets neuer Lesestoff auftaucht. Wie an den anderen, insgesamt rund 20 öffentlichen Bücherschränken in Lübeck. Kaum gesagt, da kommen eine ältere Dame und ihr Enkel mit den Fahrrädern und einer Tasche voller Bücher zum Schrank und ordnen sie ein. Darunter sind viele Kinderbücher. Einige finden schon Minuten später einen neuen Leser. Es herrscht hohe Fluktuation, ein Kreislauf des Lesestoffs.

LN



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