Kanzler Scholz’ Nein zum Taurus wird durch die durchgestochenen Informationen bestätigt. Die CDU dürfte ihre Attacken jetzt herunterfahren.

Ein Luft-Boden-Marschflugkörper Taurus ist in einem Showroom beim europäischen Rüstungsunternehmen MBDA zu sehen.

Die Tücke liegt im Detail: Nahaufnahme des Marschflugkörpers Taurus Foto: Matthias Balk/picture alliance

BERLIN taz | Es steht nicht gut um die bundesdeutsche Sicherheit. Erst hörte Russland eine Besprechung von Bundeswehroffizieren ab. Dann drangen klandestine Informationen über den Marschflugkörper Taurus aus dem Verteidigungsausschuss des Bundestages. Der Generalinspekteur der Bundeswehr Carsten Breuer hatte dem Ausschuss technische Details der Waffe erläutert. Breuers Kernaussage: Wenn Deutschland größere Mengen voll einsatzfähiger Taurus an die Ukraine liefert, ist die Bundeswehr womöglich nur noch bedingt abwehrbereit.

Taurus-Marschflugkörper können zielgenau zum Beispiel feindliche Abschussbasen zerstören. Das Internetportal T-Online hatte recht detaillierte Informationen über die Waffe publik gemacht.

Agnes Strack-Zimmermann, Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, hat Anzeige wegen Geheimnisverrat gestellt, eine minder schwere Form von Landesverrat. Dieses Delikt können 105 Personen begangen haben – so viele haben aus Parlament, Regierung und Landesvertretungen an der Sitzung des Verteidigungausschusses teilgenommen.

Die Wahrscheinlichkeit, unter mehr als neun Fußballmannschaften die undichte Stelle zu finden, gilt als übersichtlich. Die FDP-Politikerin Strack-Zimmermann hatte bereits einmal Anzeige wegen Geheimnisverrat gestellt, ohne Ergebnis: 2022 waren via Verteidigungsausschuss Infos des BND über russische Funksprüche in die Öffentlichkeit gelangt.

Grüne und FDP sehen Scholz’ Kurs skeptisch

Ein Effekt der jüngsten Affäre ist, dass der Vorfall das Nein von Kanzler Olaf Scholz zu den Taurus-Lieferungen an Kyjiw nun in einem für Scholz günstigerem Licht erscheinen lässt. CDU-Politiker wie Norbert Röttgen hatten Scholz attestiert, „sich den Drohgebärden Putins zu beugen, um mit der selbst geschürten Kriegsangst Wählerstimmen zu gewinnen“.

Auch Abgeordnete von Grünen und FDP sehen Scholz’ Kurs skeptisch. Der Kanzler hatte anfangs betont, die Marschflugkörper würden Deutschland zu eng in den Krieg verstricken, weil das Waffensystem von deutschen Soldaten programmiert werden müsste. Im Bundestag hatte Scholz in der letzten Woche gesagt: „Das ist eine Grenze, die ich als Kanzler nicht überschreiten will.“

Taurus hat eine Reichweite von 500 Kilometern, könnte auch Moskau von ukrainischem Gebiet aus treffen und ist nur schwer abfangbar. Kritiker hatten der SPD, die in dieser Frage hinter dem Kanzler steht, vorgeworfen, sie verweigere der Ukraine ein nötiges Waffensystem, aus grundlosem Misstrauen, dass Kiew dieses missbrauchen könne.

Union kann Ampel nicht spalten

Der Versuch der Union, die Ampel in der Taurus-Frage zu spalten, hatte im Bundestag allerdings nur geringe Effekte. Nur zwei liberale Abgeordnete stimmten vergangene Woche für einen Antrag der Opposition im Bundestg, der Taurus-Lieferungen an die Ukraine fordert. Zudem legt die Verteidigungsausschuss-Affäre nun nahe, dass der Kanzler sich auch um die Verteidigungsfähigkeit der Republik sorgt. Das entspricht ganz Scholz’ Selbstbild des besonnenen Strategen, der sich nicht von überhitzten Debatten um einzelne Waffensysteme treiben lässt. Die Bundeswehr besitzt 600 Taurus, allerdings sind nur 150 einsatzbereit.

In der Union gibt es nun offenbar Überlegungen, ob man die Offensivtaktik in Sachen Taurus – die Ampel spalten, Scholz attackieren – in dieser Heftigkeit weiterverfolgen will. Umfragen legen nahe, dass zwei Drittel der WählerInnen gegen die Lieferungen sind. Besonders unschön ist für die Union, dass auch eine knappe Mehrheit der eigenen Anhängerschaft sich gegen diesen Waffenexport wendet. Die Union wird ihr Ja zum Taurus nicht kippen, aber möglicherweise Frequenz und Heftigkeit der Angriffe auf den Kanzler mit Blick auf die Europawahl reduzieren.

Jenseits der Taurus-Debatte tut sich etwas in Sachen Unterstützung für die Ukraine. Die Nato-Länder kaufen auf dem Globus Waffen ein. Dagegen hatte sich der französische Präsident Emmanuel Macron lange gewehrt, der lieber Aufträge für die französische Rüstungsindustrie gesehen hätte. Aber nicht alle Staaten, die Waffen verkaufen, wollen das an die große Glocke hängen – wegen potenziellen Ärgers mit Russland. Auch diese Käufe werden zum Teil, deutsche Lernfähigkeit vorausgesetzt, geheim bleiben.



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