Diese Kunstausstellung in Friedrichshafen nähert sich humorvoll dem Thema Blockchain. Das Publikum muss sich durchschlagen wie durch einen Dschungel.

Eine goldene Maske, der Raubkunst aus Benin nachgebildet, im Zentrum. Links und rechts zwei Personen mit weißen Masken

Restitution per NFT: „Mnemonic (SA ‘EY’ AMA: To Commemorate)“ von Looty, 2023,   Videostill Foto: LOOTY

Der Bitcoin ist sicher. So hat es zumindest das Portal „Bitcoin Uptime“ errechnet: 99,9887091422 Prozent der gesamten Zeit war das Netzwerk der virtuellen Währung erreichbar. Doch was heißt schon sicher? Sobald man die Kriterien ändert, um die zwischenzeitlich massiv abgestürzte Digitalwährung zu bewerten, geraten sicher geglaubte Annahmen rasch ins Wanken.

„Kryptomania. Die Verheißungen der Blockchain“ im Zeppelin Museum Friedrichshafen nähert sich dem viel diskutierten wie kaum durchdrungenen Thema künstlerisch, technisch und gesellschaftlich an. Aufgebaut ähnlich einem Dschungel, durch den sich das Publikum mehr assoziativ denn chronologisch durchschlägt. So greift die Ausstellungsarchitektur auch formal eine der im Titel anklingenden Verheißungen auf: Alles dezentral. Zwar gibt es Kapitel, die Themen und Aspekte bündeln. Doch überschneiden sich diese im Vorbeilaufen, grätschen Aspekte des einen Schwerpunkts in die Videoarbeit des anderen und vice versa.

Ein walisischer Schafbauer berichtet, sein Geld heute vor allem mit dem Mining, also dem „Schürfen“ virtueller Währungen zu verdienen. Auf dem Hometrainer nebenan lässt sich ein Missverständnis hierzu schnell ausräumen – es gibt keine virtuelle ohne physische Welt. Alles Gold, das digital generiert wird, benötigt derzeit Unmengen an realer Energie. Für Bitcoin, Ethereum oder Doge­coin müsste man wohl Jahre strampeln.

Widersprüche aus Heilsversprechen und Horrorvisionen

Dem utopischen Potenzial stehen handfeste Hürden im Weg. „Selbst der durchschnittliche Krypto-Mensch weiß nicht im Detail, wie Blockchain funktioniert“, sagte der Gaming-Star und Politkommentator Steven Kenneth Bonnell II einmal, „Ich sehe nicht, wie wir hier mehr Vertrauen haben können und nicht weniger.“ Vertrauen scheint das Kernproblem zu sein, auch in Friedrichshafen. Unbestechlich ausformuliert von Besucherinnen und Besuchern auf großen Mitmach­tafeln: Wem oder was vertraust du? „Niemand!“ Oder: „Meiner Freundin Anne.“ Diese Gleichzeitigkeit widersprüchlicher Aspekte zeichnet die Ausstellung aus.

Dabei bildet die Möglichkeit, Informationen fälschungssicher und für immer nachvollziehbar zu speichern, eine wichtige Eigenschaft der Blockchain-Technologie. Eine vorsichtige Utopie gegen Fake News – ob die jene erreicht, die ohnehin nicht mehr an der realen Welt interessiert sind, steht auf einem anderen Blatt. Wer an Elon Musk denkt oder an autokratische Staaten weltweit, möchte derzeit eher nicht auf die demokratisierenden Potenziale einer virtuellen Technologie allein hoffen. Aber die Verheißungen, das zeigt diese Ausstellung, rufen laut.

Die Widersprüche aus Heilsversprechen und Horrorvisionen muss die Kunst nicht auflösen. Besonders pointiert hier in Form des „Non-Fungible-Comic“ von Julia Schneider aka docjsnyder und Noëlle Kröger, die einige ihrer giftgrünen und schwarzen Grafiken großformatig präsentieren. Darin überlegen sie in poppig vereinfachten Text-Bild-Kombinationen, wie und ob Non Fungible Tokens (NFTs), also die digitalen Unikatkunstwerke, tatsächlich die Verwertungszyklen zugunsten von Künstlerinnen und Künstlern umgestalten könnten: „Des Kaisers neue Kleider oder der Ausdruck einer digitalen Revolution?“

Zeitkarten der MuseumsaufseherInnen werden zu NFTs

Einer Art Hacking-Strategie für den analogen Raum bedient sich Looty. Das Kunstkollektiv spürt Raubkunst in britischen Museen auf – darunter die zum allgemein bekannten Unrechtssymbol gewordenen Benin-Bronzen –, scannt sie durchs Vitrinenglas ab und lässt die Bilder anschließend ins Ursprungsland respektive dessen Nachfolgestaat restitutieren – auch in Form von NFTs.

Lässt sich dem Hype noch eine ironische Überhöhung abtrotzen?

Unmittelbar partizipieren kann man an „SHIFT“ von Géraldine Honauer. Die Schweizer Künstlerin macht gestempelte Zeitkarten der MuseumsaufseherInnen zu virtuellen NFTs, die während der Ausstellungsdauer kostenfrei erworben werden können. Bei späterem Wiederverkauf fließt ein Teil der Erlöse als Tantiemen an die Beteiligten.

Lässt sich dem Hype um virtuelle Währungen und NFTs noch eine ironische Überhöhung abtrotzen? Florian Meisenberg wirft seinen Schnuckicoin ins Rennen: Eine Installation als spekulative Anordnung des Künstlers in von Galeristen unabhängiger Autarkie. Die blonde Blockfrisur auf dem krakeligen Selbstporträt lässt Meisenberg unzweifelhaft erkennen, links und rechts pflastern Eukaryot-ähnliche NFTs das Bild.

Auf dem Boden davor ein schwarzer Trichter. Wirft man Geldmünzen hinein, sind die bald darauf weg – verschwunden in der Black Box. Doch das Hineinwerfen erzeugt einen hörbaren Ton und hernach Energie, die zur Generierung der künstlereigenen Währung herangezogen werden soll. Für eine Handvoll Taler entsteht so ein völlig frei drehender, zumindest künstlerisch wertvoller Schnuckicoin.



Source link www.taz.de