Berlin. Die Reaktionen sind scharf, die Enttäuschung ist groß: Die Ankündigung der Ampelkoalition, das Klimaschutzgesetz nun tatsächlich umzubauen, stößt bei Klimaaktivisten und Umweltverbänden auf einhellige Kritik. Der Bund für Umwelt und Naturschutz sprach von einem „Schlag gegen die Klimaschutzarchitektur in Deutschland“: „Statt Verbindlichkeit und Zuständigkeit gibt es jetzt geteilte Verantwortungslosigkeit.“

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Die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch sieht in der Reform einen „fatalen“ politischen Rückschritt: „Die Bundesregierung will sich damit selbst einen Freibrief erteilen, in dieser Legislaturperiode keine Klimaschutzmaßnahmen mehr verabschieden zu müssen.“ Und die Klimaaktivisten Fridays for Future schimpfen, die Koalition plane, das „Klimaschutzgesetz umfassend zu entkernen“.

Verkehrsminister Wissing behauptet, Tempolimit reiche nicht für Emissionseinsparungen

Scharfe Kritik gab es von Seiten der Grünen und Greenpeace an Bundesverkehrsministers Volker Wissings Forderung zu Wochenend-Fahrverboten.

„Mit dieser Veränderung gibt es in dieser kompletten Legislaturperiode keinerlei Verpflichtungen mehr, in Sachen Klima zu handeln“, sagte Fridays-Aktivistin Luisa Neubauer dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Reform sei eine realitätsferne Absage an verbindlichen und schnellen Klimaschutz, der auch dann kommen müsse, „wenn es einem Minister gerade nicht in den Kram passt“, so Neubauer. „Man kann sich sicher sein, dass die Ampel nun wortreiche Argumente für diese feige Einigung findet – das ändert aber nichts daran, dass die Ampel damit ein desaströses Zeichen in eine Welt schickt, die schon heute in Flammen steht.“

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Nur 55 Tage vor der EU-Wahl sei es auch ein dramatisches Zeichen an alle Partnerländer, denen Deutschland damit eine Ausrede für das endlose Aufschieben von unliebsamen Klimaentscheidungen liefert, sagte sie dem RND.

Das Beachtliche an der Einigung der Ampel war, dass sie just verkündet wurde, als Wissing gerade aufs Neue unter Druck geriet. Noch am Montagmorgen hatte der unabhängige Expertenrat für Klimafragen dem Verkehrsminister bescheinigt, dass in seinem Bereich bereits zum dritten Mal in Folge weder ausreichend Treibhausgase eingespart wurden, noch seine angekündigten Maßnahmen zur Verminderung ausreichen.

Während es in Deutschland 2023 insgesamt den stärksten Rückgang von klimaschädlichen Treibhausgasemissionen seit 1990 gegeben hatte – vor allem durch Einsparungen in der Energiewirtschaft, der Industrie und im Gebäudesektor – verfehlte der Verkehr erneut seine Vorgaben, so der Expertenrat, womit Wissing rechtlich zu einem Sofortprogramm verpflichtet sei.

Expertenrat: Stärkste CO₂-Senkung seit 1990

Das hatte Wissing zuletzt beständig verweigert – unter Verweis auf das neue Klimaschutzgesetz, das das Kabinett bereits voriges Jahr beschlossen hatte. Doch im Bundestag hatten die Grünen die Aufweichung beharrlich blockiert, sodass Wissings Tatenlosigkeit formal ein Rechtsbruch blieb.

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Doch nachdem er Ende voriger Woche den Ton verschärft und erklärt hatte, seine Sektorziele seien nur durch radikale Maßnahmen wie Fahrverbote zu schaffen, gaben die Grünen ihren Widerstand nun auf: Im Paket mit neuen Staatshilfen für die deutsche Solarenergie stimmten sie der Aufweichung zu. Künftig fallen nur dann Sofortmaßnahmen an, wenn die gesamte Bundesregierung ihre Klimazwischenziele verfehlt, mit denen bis 2030 mindestens 65 Prozent weniger CO₂ ausgestoßen werden soll als 1990.

Christoph Meyer, Landesvorsitzender der Berliner FDP.

Christoph Meyer, Landesvorsitzender der Berliner FDP.

Damit wird die bisherige Regelung abgeschafft, dass es verbindliche Klimaschutzziele für einzelne Sektoren wie den Energie-, den Verkehrs- oder den Gebäudebereich gibt und dass die zuständigen Bundesminister gesetzlich verpflichtet sind, bei deren Verfehlen Sofortmaßnahmen einzuleiten.

„Fahrverbote sind mit der Einigung endgültig vom Tisch“, erklärte Wissing nun eilig. Und FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sekundierte: „Im Angesicht von Fahrverboten für Menschen und Betriebe haben sich die Grünen besonnen und ihre Blockade aufgegeben“, sagte Meyer dem RND. Immerhin habe das Bundeskabinett die Einigung zur Reform des Klimaschutzgesetzes „weg von der CDU-Planwirtschaft hin zur sektorübergreifenden Gesamtrechnung“ bereits vor einem Jahr beschlossen, betonte er. „Jetzt können wir endlich den Klimaschutz reformieren und marktwirtschaftlich ausrichten.“

Zu ihrer Verteidigung verwiesen die Grünen darauf, dass die Reform die Bundesregierung immerhin „erstmals bindet, konkrete Klimaschutzmaßnahmen auch für die Zeit 2030 bis 2040 aufzustellen“, zudem erneuere es „die Verbindlichkeit jedes Sektors und wird CO₂-Einsparung intelligenter messen“, wie Fraktionsvize Julia Verlinden betonte. „Mit Blick auf das wesentlich strengere Klimaziel 2040 muss besonders im Bereich Verkehr mehr passieren.“

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Mit Blick auf Wissings vermeintliche Drohung der vorigen Woche erklärte sie zugleich: „Fahrverbote, wie von Verkehrsminister Wissing angedroht, waren nie nötig und sind es auch in Zukunft nicht. Besonders im Bereich Verkehr muss aber mehr passieren, damit alle Bürgerinnen und Bürger klimafreundlich mobil sein können.“ Dafür trage der zuständige Minister auch im Rahmen des neuen Gesetzes „eine besondere rechtliche und politische Verantwortung“.

Carola Rackete: Schuldenbremse erschwert Klimaschutz

Wissings Kritiker hegen dagegen keine Hoffnung mehr auf Besserung. „Volker Wissing hat über zwei Jahre lang bewiesen, dass er kein Interesse daran hat, die Klimaziele im Verkehr einzuhalten“, sagte Luisa Neubauer dem RND. Kein Sektor habe ohne Not so brachial die Klimaziele verfehlt wie sein Verkehrssektor, so die Aktivistin und Publizistin.

„Wem der Schutz der Bevölkerung vor der Klimakrise so egal ist, wer jahrelang meint, deutsches Recht brechen zu können, ohne für die Konsequenzen gerade zu stehen – der sollte als Verkehrsminister zurücktreten.“ Es sei bitter, dass die Ampel stattdessen plane, „sich der Arbeitsverweigerung von Volker Wissing unterzuordnen“, so Neubauer.

Carola Rackete ist EU-Spitzenkandidatin der Linkspartei.

Carola Rackete ist EU-Spitzenkandidatin der Linkspartei.

So sieht es auch Carola Rackete, die Spitzenkandidatin der Linkspartei für die Europawahl. „Wissing blockiert aus ideologischen Gründen selbst kleine Maßnahmen wie ein Tempolimit“, sagte sie dem RND – und forderte Bundeskanzler Olaf Scholz ebenfalls zur Entlassung des Verkehrsministers auf. „Im nächsten Schritt muss die Ampel endlich die Schuldenbremse abschaffen, denn der Expertenrat warnt davor, dass der Sparhaushalt der Bundesregierung den Klimaschutz weiter erschwert“, fügte die Linke hinzu.

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Selbst, dass der Expertenrat insgesamt eine erfolgreiche CO₂-Reduktion vermeldet hatte, sei in Wahrheit ein „Desaster“, so Rackete: „Laut dem Sachverständigenrat für Klimafragen hat Deutschland seine Klimaziele 2023 nur erreicht, weil der Winter zu warm war und energieintensive Produktionen ungeplant heruntergefahren wurden.“

Hinzu komme, dass die deutschen Klimaziele ohnehin zu niedrig angesetzt seien, „um einen fairen Beitrag zur Eindämmung der Klimakrise zu leisten“, sagte sie dem RND – und kritisierte ebenfalls die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes: „Im Verkehrssektor werden die Klimaziele klar verfehlt“, betonte sie. „Diese verheerende Bilanz will die Ampel künftig verschleiern, indem sie die Sektorziele abschaffen will.“



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