Indische Behörden schüchterten Protestwillige ein, indem sie sie kriminalisieren, sagen Aktivist:innen. Dabei gebe es viele Gründe, zu demonstrieren.

Personen demonstrierten mit Plakaten, im Vordergrund läuft eine Frau mit einem Megaphon

Protestmarsch während des Global Climate Strike als Teil der Fridays for Future Bewegung in Neu-Delhi im März 2023 Foto: Mayank Makhija/NUR Photo/imago

MUMBAI taz | Unter jungen In­de­r:in­nen in den Metropolen wurden Umweltproteste mit dem Aufkommen der globalen Fridays-for-Future-Bewegung populär. Eine bekannte Stimme ist Disha Ravi. Die Mitbegründerin von Fridays for Future (FFF) in Indien wurde vor drei Jahren international bekannt, als sie im Zusammenhang mit Protesten von Land­wir­t:in­nen am Rande der Hauptstadt Delhi wegen des Verdachts auf Aufruhr verhaftet wurde.

Ravi war an einer Anleitung beteiligt, wie indische Bauern, die monatelang gegen neue Agrargesetze protestierten, in den sozialen Medien unterstützt werden könnten. Zwar kam die Klimaschützerin bald wieder gegen Kaution frei, doch die Verhaftung habe der Popularität von FFF geschadet, sagen manche.

Eltern von engagierten Jugendlichen waren besorgt und hielten ihre Kinder an, sich von der Öffentlichkeit fernzuhalten und abweichende Botschaften auf Social-Media-Plattformen abzuschwächen.

Die Bauernproteste in den Jahren 2020 und 2021 sind ebenso heikle Themen wie die Rohstoffförderung, insbesondere von fossilen Energieträgern. So geriet im vergangenen Jahr der Umweltanwalt Ritwick Dutta ins Visier der Behörden, dessen Organisation Legal Initiative For Forest and Environment (Life) 2021 den sogenannten Alternativen Nobelpreis erhalten hatte.

Der Vorwurf gegen Dutta: Verstoß gegen das Foreign Contribution Regulation Act, ein Gesetz, das den Fluss ausländischer Spendengelder regelt. Life und die in den USA ansässige Nichtregierungsorganisation Earth Justice sollen versucht haben, mit ausländischen Geldern Kohleprojekte in Indien zu stoppen. Dutta hatte sich in der Vergangenheit zudem kritisch zu Änderungen bei der Umweltverträglichkeitsprüfung geäußert. Ziel der Ermittlungen sei es, Angst zu schüren, nicht nur bei denen, die protestieren, sondern auch bei denen, die vielleicht erst aktiv werden wollen, sagt Dutta.

Reformen zugunsten des Bergbaus

Kri­ti­ke­r:in­nen haben darauf hingewiesen, dass Indiens Umweltvorschriften unter Premierminister Narendra Modi von der hindunationalistischen Regierungspartei BJP häufiger geschliffen wurden. Nach Angaben des Magazins Down To Earth wurden in den letzten fünf Jahren 110 Änderungen vorgenommen. Auffällig ist, dass der Abbau von Mineralien wie Eisen, Mangan, Bauxit oder Kalkstein erweitert wurde. Be­ob­ach­te­r:in­nen wie die NGO Global Witness merken an, dass Gruppen, die im Bereich Kohlebergbau, Raffinerien, Landnutzung oder Infrastruktur tätig sind, besonders gefährdet seien.

Laut dem Bericht „Decade of Defiance“, der zehn Jahre Berichterstattung über Land- und Umweltschutz weltweit beleuchtet, wurden 2021 etwa 200 Um­welt­ak­ti­vis­t:in­nen getötet, ein Großteil in Lateinamerika, aber auch 14 Personen in Indien. Sie kamen beispielsweise im Zusammenhang mit Protesten und Räumungen ums Leben.

Unter den Getöteten sind Angehörige von Stammesgemeinschaften sowie der Jesui­tenpriester Stan Swamy, der indigene Adivasi unterstützte. Die Au­to­r:in­nen von „Decade of Defiance“ mahnten daher: „Viele Verteidiger, darunter indigene Frauen, die Gerechtigkeit suchen, werden aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit inhaftiert und als Terroristen abgestempelt.“ Die indische Regierung hingegen erklärt, dass es keine selektiven Maßnahmen gegen Ak­ti­vis­t:in­nen gebe und Behörden bei Gesetzesverstößen eingreifen würden.



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