Während internationale Truppen die Millionenstadt Goma schützen, erobern die M23-Rebellen andere Gebiete. Kongos Armee setzt ihnen nichts entgegen.
KAMPALA taz | Vom Kivusee zum Edwardsee erstreckt sich inzwischen das Gebiet, das die Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März) im Osten der Demokratischen Republik Kongo kontrolliert. Fast ohne Widerstand sind die M23-Kämpfer in den vergangenen Tagen durch die menschenleere Savannenlandschaft des Virunga-Nationalparks hinter den Vulkanen nördlich der Millionenstadt Goma durchmarschiert, wo sonst Löwen Antilopen jagen.
Diese unbewohnte und geschützte Tiefebene erstreckt sich wie eine natürliche Grenze zwischen dem bewaldeten und hügeligen Verwaltungsbezirk Rutshuru, wo die M23 an der Grenze zu Ruanda und Uganda ihre Hauptquartiere haben, und den dicht besiedelten Bergen hinter Kanyabayonga weiter nördlich. Quer durch dieses Gebiet führt eine der wichtigsten Handelsstraßen Ostkongos.
Diese Gegend in der Tiefebene des Nationalparks, die nun von den Tutsi-geführten M23-Rebellen eingenommen wurde, galt bislang als Versteck für die ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Sie verfeuern dort die Bäume des Nationalparks zu Holzkohle und nehmen damit enorm viel Geld ein. In der FDLR-Führungsriege tummeln sich noch immer zahlreiche Täter des Völkermords in Ruanda 1994, die damals nach Kongo flüchteten und dort die FDLR gründeten.
Der Vorstoß in dieses FDLR-Kerngebiet gehört zur Strategie, bestätigt die M23 gegenüber der taz. Es zirkulieren sogar Gerüchte, FDLR-Präsident Victor Byiringiro, mittlerweile über 70 Jahre alt, sei in den vergangenen Tagen auf der Flucht gestorben. Die M23 verneint gegenüber der taz, ihn ausgeschaltet zu haben.
Armee spricht von einem „strategischen“ Rückzug
Aus Kreisen der kongolesischen Armee heißt es wiederum, man habe einen „strategischen“ Rückzug angetreten, weil Stellungen in der heißen Tiefebene des Nationalparks nicht zu verteidigen sind. Dort gibt es keinen Tropfen Wasser und keine Fluchtmöglichkeiten. So konnten die M23-Kämpfer rund 40 Kilometer bis in das Fischerdorf Vitshumbi am Südufer des Edwardsees einfach durchmaschieren, ohne einen einzigen Schuss abzugeben.
Denn auch die UN-Blauhelme sind nach dem Rückzug von Kongos Armee nicht eingeschritten. Ein Video, das auf den sozialen Medien viral ging, zeigt eine Handvoll UN-Blauhelme in ihrer Basis im Ort Rwindi, die sich hinter ihren Sandsäcken wegducken, während Hunderte Rebellen in einer langen Kolonne vorbeistolzieren.
Den Rebellen ist es gelungen, bis an den Fuß des Berghangs vorzustoßen, auf dem das dicht besiedelte Gebiet weiter nördlich um Kanyabayonga liegt, sowie weiter westlich eine ganze Reihe von Kleinstädten wie Mweso, Nyanzale und Kibirizi einzunehmen.
Für Kongos Regierung ist dies ein harter Schlag. Seit Februar kontrolliert die Armee nur noch die Provinzhauptstadt Goma und das unmittelbare Umland bis zur Kleinstadt Sake weiter westlich; ringsum herrscht die M23 und hat Goma praktisch umzingelt. Die Kampfmoral der Armee sei am Boden, melden Quellen aus Militärkreisen.
Die Militärführung in Kongos ferner Hauptstadt Kinshasa, wo seit den Wahlen vom Dezember 2023 immer noch keine neue Regierung gebildet werden konnte, hat in den vergangenen Monaten sämtliche verfügbaren Kräfte und finanzielle Ressourcen mobilisiert, um den Vormarsch der Rebellen zu stoppen – offenbar vergeblich.
Söldner aus Osteuropa wurden angeheuert, Truppen aus Burundi kamen dazu, lokale „patriotische“ Milizen (wazalendo) wurden in den Dienst der Armee gestellt. Über 3.000 Soldaten aus Südafrika, Malawi und Tansania sind rund um die Millionenstadt Goma postiert, als offizielle Interventionstruppe der Regionalorganisation SADC (Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika). Statt Goma anzugreifen, erobern die Rebellen nun handstreichartig das Hinterland, wo sie niemand aufhält.
Angola will Verhandlungen mit Ruanda einfädeln
Bisher hat Kongos Präsident Félix Tshisekedi sämtliche Verhandlungen sowohl mit der M23 als auch mit Ruanda, das die M23 militärisch ausstattet, kategorisch abgelehnt. Doch in Anbetracht der Lage ist es nun Angola als Mediator der Afrikanischen Union (AU) gelungen, Tshisekedi und seinem ruandischen Amtskollegen Paul Kagame die Zusage für ein Treffen abzuringen. Dies gab Angolas Außenminister am Montag nach einem Gespräch mit Kagame bekannt.
Unterdessen wird die humanitäre Lage immer schlimmer. Die Provinz Nord-Kivu zählte bereits zu Jahresbeginn 2,5 Millionen Kriegsvertriebene; nun sind über 200.000 dazugekommen. Hilfswerke melden, die Menschen in Gomas Vertriebenenlagern am Stadtrand hätten kein sauberes Wasser und nicht genug Nahrung. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) schlägt in einem neuen Bericht Alarm über die starke Zunahme der Zahl von Menschen mit Schusswunden in den Flüchtlingslagern. Nachts ziehen bewaffnete und unbezahlte Soldaten und Milizionäre durch die Camps, mehrmals sind Granaten in Flüchtlingslagern gelandet.
Seit Dienstag ist Ramesh Rajasingham, Chef des humanitären UN-Koordinierungsbüros OCHA aus Genf, in Goma zu Besuch, um sich ein Bild zu machen. Er bezeichnet die Lage als „dramatisch und komplex“.