Die Gigelberghalle in Biberach ist am Freitagabend gesichert wie eine Festung. Hunderte Meter Absperrgitter haben sie um das kirchenartige Gebäude aufgestellt, am Eingang kontrollieren Polizisten die Ausweise. Und auf dem Gigelberg stehen so viele Einsatzwagen und Motorräder herum, dass er als Messegelände für Blaulichtfahrzeuge durchgehen könnte.

Über dem Hügel wummert ein Hubschrauber. Fehlen eigentlich nur noch Boote, bemerkt eine Mitarbeiterin des Innenministeriums, als die Limousine von Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) auf den Platz rollt. Oder in den Worten von Biberachs Oberbürgermeister Norbert Zeidler: “Der Gigelberg ist heute der sicherste Ort in Baden-Württemberg.”

Vor fünf Wochen allerdings war Biberach nicht der sicherste Ort des Landes. Sondern ein Ort, an dem eine Demonstration so eskalierte, dass die Grünen ihren traditionellen politischen Aschermittwoch absagen mussten. Traktoren blockierten die Straßen, Steine flogen, mehrere Polizisten wurden verletzt. Seitdem stehe Biberach “sinnbildlich für ein neues Niveau undemokratischer Unkultur”, sagt der Oberbürgermeister Zeidler, als er in der Gigelberghalle aufs Podium tritt. Und ja, das tue weh. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis die Menschen hier den Misthaufen vor der Stadthalle vergessen haben. Oder den Kerl, der mit einer Kettensäge herumfuchtelte.

Deshalb lädt die Stadt am Freitag ein zum “politischen Abend”. Einer Veranstaltung, bei der es um das recht weite Feld der “politischen Streitkultur” gehen soll. Dagegen wäre grundsätzlich auch nichts einzuwenden, außer, dass man sich kurz fragt, ob das polizeiliche Großaufgebot vor der Tür wirklich einen konstruktiven Beitrag zu besagter Streitkultur leistet. Oder ob die Sicherheitsbehörden nicht auch dem Eindruck entgegenwirken wollen, am Aschermittwoch die Lage etwas unterschätzt zu haben. Jetzt also “ein Zeichen setzen wollen”, wie es bei solchen Anlässen gerne heißt.

Heute bereut er es, an jenem Tag nicht nach Biberach gefahren zu sein

Andererseits stimmt es natürlich, dass sich Biberach möglichst nicht wiederholen soll, auch davon ist gerade oft die Rede. So gesehen ist es als Fortschritt zu werten, dass es der Ministerpräsident diesmal bis in die Veranstaltungshalle schafft. Das war am Aschermittwoch anders, da kehrte Kretschmanns Dienstwagen um, noch bevor er Biberach erreichte. Ein Ministerpräsident, der auf einer Veranstaltung in seinem Land nicht sprechen kann – das sei “ein ungeheurer Vorgang”, findet Kretschmann. Zuletzt ließ er durchblicken, dass er es mittlerweile für einen Fehler hält, an jenem Tag nicht persönlich nach Biberach gefahren zu sein. “Erst mit erheblicher Zeitverzögerung” sei ihm die Tragweite des Ereignisses bewusst geworden, sagt er. Ansonsten wäre er trotz der Proteste gekommen, um sich die Sache anzuschauen.

Jetzt ist er jedenfalls da, und hat eine selbst für Kretschmann-Verhältnisse sehr grundsätzliche Rede mitgebracht. Er beginnt im Jahr 1548, als hier in Biberach die zweitälteste Simultankirche des Landes eingeweiht wurde, eine Kirche also, die sowohl Katholiken als auch Protestanten nutzten. Die beiden Gruppen waren sich damals in besonderer Abneigung verbunden. Doch aus Kretschmanns Sicht hätten die Biberacher bereits da ihre Friedensfähigkeit bewiesen, weil sie den Konflikt nicht gewaltsam austrugen. Übertragen auf die jüngsten Ausschreitungen fällt sein Urteil daher gnädig aus: “Es war ein Ausreißer.” Die Gewalt stünde nicht für den Geist dieser Stadt.

Überhaupt bemüht sich Kretschmann sehr um Differenzierung. Er will trennen zwischen den aus seiner Sicht legitimen Forderungen der Bauern und jenen, die auf Krawall aus sind. “Da waren Leute unterwegs, denen ging es nicht um die Zukunftssorgen der Bauern. Denen ging es ausschließlich darum, die Wut anzustacheln, Emotionen hochzukochen und andere zum Schweigen zu bringen.”

“Ziviler Streit führt die Gesellschaft zusammen, unzivilisierter Streit treibt sie auseinander.”

Kretschmann betont den Wert des gewaltfreien Protests, der auch erfolgreich sei. Schließlich habe die Regierung die von den Landwirten monierten Maßnahmen bei der Kfz-Steuer oder beim Agrardiesel entweder zurückgenommen oder entschärft. Der Streit an sich sei nicht das Problem, sondern notwendig. Dann kommt er zu seinem Kernsatz: “Ziviler Streit führt die Gesellschaft zusammen, unzivilisierter Streit treibt sie auseinander.”

Dieser Abend von Biberach dürfte nicht Gefahr laufen, die Gesellschaft weiter auseinanderzutreiben. Die Straßen bleiben Traktoren- und Misthaufenfrei, die Polizisten mit den “Anti-Konflikt-Team”-Westen wirken weitgehend beschäftigungslos. Am Ende dürfen die Biberacher noch ein paar Fragen stellen, an den Ministerpräsidenten, an den Innenminister Thomas Strobl (CDU), an den verantwortlichen Polizeichef: Wie viele Ermittlungsverfahren laufen, warum die Veranstaltung nicht früher abgesagt wurde, wollen die Leute im Saal wissen.

Dass die Biberacher die politische Streitkultur vielleicht nicht für das drängendste Anliegen halten, hatte zuvor schon Oberbürgermeister Zeidler angedeutet. Am häufigsten habe ihn die Frage nach potenziellen Verkehrsverstößen der Traktoren erreicht. Weil es ja nicht sein könne, dass die keine Strafzettel bekämen. Immerhin da hat der Bürgermeister gute Nachrichten: Es gibt Videomaterial, das nun ausgewertet werde. Gut möglich, dass zumindest bei den Strafzetteln am Ende alles seine Ordnung hat.



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