Der Streik von Verdi und Fridays bringt am Freitag Tausende auf die Straße. Und lenkt von einem Problem: dem Spalt in der Klimabewegung.

Demonstration mit Fahnen und Transparent.

„Wir fahren zusammen“-Demonstration am 1. März in Frankfurt am Main Foto: Peter Henrich/imago

HANNOVER taz | Alles steht still am Freitagmittag. Dort, wo „Fridays for Future“ für Mobilität demonstriert, fährt kein Bus und keine Bahn. Auch am Vortag schon nicht – wer aus dem Umland zur Demo in die Stadt kommen will, muss das wohl oder übel mit dem Auto tun.

Es ist ein Novum: Die Kli­ma­schüt­ze­r*in­nen streiken gemeinsam mit den Nahverkehrsbeschäftigten. Schon 2020 kooperierte „Fridays for Future“ erstmals mit der Gewerkschaft Verdi. Beide demonstrieren für den ÖPNV-Ausbau und faire Arbeitsbedingungen. Das Ziel lautet: eine sozial gerechte Verkehrswende. Konkret fordern sie 16 Milliarden Euro mehr pro Jahr von Bund und Ländern bis 2030.

In Hannover folgten laut Polizei 1.800 Menschen bei sonnigem Frühlingswetter dem Aufruf. Bundesweit gingen in 117 Städten laut Ver­an­stal­te­r*in­nen Tausende auf die Straße. Auch in Hamburg, Berlin, Frankfurt oder Stuttgart blieben öffentliche Verkehrsmittel in den Depots. Unzweifelhaft: Frühere Protestaktionen der Fridays haben mehr Leute auf die Straße gezogen. Dennoch ist der Ausstand gemeinsam mit Verdi ein Anlass, überhaupt mal wieder in den Nachrichten aufzutauchen. Das Klimathema hat durch die Konflikte in Israel und in der Ukraine stark an Zugkraft verloren. Ob das Bündnis mit der Gewerkschaft den Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen neuen Zulauf bringt, muss sich noch zeigen.

„Um die Klimaziele im Verkehr einzuhalten, muss der ÖPNV in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden“, erklärt „Fridays“-Sprecherin Pauline Brünger den Schulterschluss. Das könne nicht gelingen, wenn wegen schlechter Arbeitsbedingungen niemand mehr die Busse und Bahnen fährt oder in der Werkstatt repariert. „Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht anders scheint: Wir haben ein gemeinsames Interesse mit den Beschäftigten.“

CDU: Belastungen durch Streiks

Kritik am Streik kommt von der Vorsitzenden der Mittelstands- und Wirtschaftsunion, Gitta Connemann (CDU). Sie moniert in der Rheinischen Post: „Wenn es Fridays for Future wirklich um das Klima gehen würde, müssten sie alles daransetzen, dass der ÖPNV läuft.“ Diese Dauerstreiks stellten Arbeitnehmer und Mittelstand vor enorme Belastungen. Die Kli­ma­ak­ti­vis­t*in­nen wiederum finden den Vorwurf absurd.

Die Kampagne „Wir fahren zusammen“ hätte gezeigt, wie Klimaschutzmaßnahmen das Leben von uns allen besser machen können. „Und wir haben Unterstützung für ökologische Anliegen an Orten gewonnen, die sich nicht schon selbstverständlich als Teil der Klimabewegung sehen“, meint Pauline Brünger.

Das sieht auch Wissenschaftler Lennart Schürmann so, der am Zentrum für Zivilgesellschaftsforschung in Berlin zu politischem Protest forscht. Damit Bewegungen Aufmerksamkeit erzeugen, müssten sie sich immer wieder neu erfinden. „Fridays for Future setzt auf Masse – und auf positive Signale, ob im Kampf gegen Rechtsextremismus oder für gute Arbeitsbedingungen“, findet er. Die Forschung zeige, dass große Proteste bei Po­li­ti­ke­r*in­nen deutlich überzeugender wirken. „Der gemeinsame Konsens mit Verdi bewegt nun erneut viele Menschen. Hier werden Klimakrise und die soziale Frage zusammengedacht.“

Ein Nebeneffekt: „Damit schaffen sie es auch, von der Problematik der Positionierung der Bewegung in Bezug auf den Israel-Gaza-Krieg abzulenken“, sagt der Protestforscher. Der Nahostkonflikt polarisiere zwar durch alle Gesellschaftsgruppen hindurch. Insbesondere die deutsche und die internationale Bewegung von „Fridays for Future“ würden aber als gespalten wahrgenommen.

Erster „Fridays“-Streik seit Hamas-Attacke

Worauf Schürmann anspielt: Über den Konflikt haben sich Teile der Klimabewegung tief zerworfen. „Fridays“-Begründerin Greta Thunberg tritt wiederholt mit einseitig palästina-freundlichen Aussagen auf. Die deutsche Sektion wiederum distanziert sich vehement, weist jeden Antisemitismus-Vorwurf von sich. Der „Fridays“-Doppelstreik mit Verdi ist der erste seit der Eskalation des Gaza-Krieges.

Aktivistin Brünger teilt dazu auf Nachfrage mit: „Wir sind seit dem Angriff der Hamas im Austausch mit Ak­ti­vis­t*in­nen und internationalen FFF-Gruppen und beraten über mögliche zukünftige Form von Zusammenarbeit.“ Die Gespräche mit den Beschäftigten in den Bus- und Bahnbetrieben liefen aber schon deutlich länger. In Hannover sind ohnehin keinerlei Symbole zum Nahostkonflikt zu sehen.

Bahnfahrer Stefan Müller lobt den Zusammenschluss. Der Gewerkschafter berichtet auch von Vorbehalten einiger Kolleg*innen, bei denen „Fridays for Future“ zunächst nicht auf Gegenliebe gestoßen sei. Diese hätten sich aber meist schnell ausräumen lassen: Niemand wolle den Menschen das Auto wegnehmen. Dass sich tatsächlich etwas an den Arbeitsbedingungen ändert, sieht er pessimistisch. Aufgrund der Kosten hätten sich viele politisch Verantwortliche schon wieder von der Verkehrswende verabschiedet.

„Egal ob wir auf der Stadt oder auf dem Land wohnen, wir alle wollen uns verlässlich und klimafreundlich von A nach B bewegen können“, resümiert Brünger. Der Staat müsse mehr Geld investieren, um Infrastruktur in der Stadt und auf dem Land zu verbessern. Nach dieser Lesart nach ist der Stillstand vom Freitag zu verkraften – damit sich in Zukunft mehr bewegt auf Bus- und Bahnspuren.



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