Athen. Wenn Air China-Flug CA 863 aus Beijing in Athen zur Landung ansetzt, gehen die Herren in den dunklen Anzügen in Stellung. Gleich hinter der Gepäckausgabe warten sie auf ihre Kundschaft. Sie halten Tablets mit chinesischen Schriftzeichen hoch – das sind die Namen ihrer ankommenden Schützlinge. Für sie stehen am Terminal schwarze Luxusbusse bereit. Aber die Fahrt geht nicht zur Akropolis, sondern zu einer der vielen Makler- und Anwaltsfirmen, die sich auf chinesische Kundschaft spezialisiert haben. Die Reisenden interessieren sich für eine Immobilie in Athen oder auf einer der griechischen Inseln – und für ein „Golden Visa“, die Aufenthaltsgenehmigung, die sie mit dem Immobilienkauf ergattern können. Sie berechtigt zu Reisen im ganzen Schengen-Raum. Wer mindestens 500.000 Euro investiert, hat Anspruch auf das Papier.

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Die Praxis ist lukrativ, aber umstritten: EU-Länder vergeben Visa an Investoren aus Drittstaaten, die Geld in Immobilien anlegen. Sie locken damit Milliardeninvestitionen an. Die Schattenseite: Die Nachfrage aus dem Ausland treibt die Preise, Wohnungen werden für Einheimische in vielen Regionen unerschwinglich.

Andere EU-Länder haben die Praxis bereits beendet

Nicht nur deshalb gibt es Kritik an den sogenannten „Goldenen Visa“. Die Organisation Transparency International kritisiert, damit werde „das EU-Aufenthaltsrecht zu einem Luxusgut, das jeder mit genügend Geld kaufen kann“. Auch die EU-Kommission sieht bei der Visa-Vergabe „Risiken in Bezug auf Sicherheit, Geldwäsche, Steuerhinterziehung und Korruption“. Mehr als mahnen kann die Kommission allerdings nicht. Die Vergabe von Aufenthaltstiteln fällt in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedsstaaten.

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Einige EU-Länder, wie zuletzt Portugal, haben die Visa-Vergabe an Immobilienkäufer in den vergangenen Jahren auf eigene Initiative beendet. Aber Griechenland hält an der Praxis fest – und meldet jetzt einen Nachfrage-Boom: Im vergangenen Jahr vergab die Regierung 4231 Aufenthaltstitel an Immobilienkäufer aus Nicht-EU-Staaten. Das waren fast doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Griechenland führte das Programm 2013 auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise ein, um Investitionen ins Land zu locken und den notleidenden Immobilienmarkt zu stützen. Seit dem Start des Programms flossen geschätzt sieben Milliarden Euro ins Land. Die Behörden vergaben über 22.300 Aufenthaltstitel. Fast zwei Drittel davon gingen an chinesische Immobilienkäufer.

Vom Athener Küstenvorort Alimos sprechen viele Einheimische inzwischen als „Chinatown“. Auch in Vorstädten wie Glyfada, Voula und Vouliagmeni an der attischen Riviera trifft man immer mehr chinesische Zuwanderer an. Solange sie ihre Immobilien behalten, kann die fünfjährige Aufenthaltsgenehmigung immer wieder verlängert werden. Besonders verlockend: Wer mindestens sieben Jahre legal in Griechenland gelebt hat, kann die griechische Staatsangehörigkeit beantragen. Er bekommt damit die Niederlassungsfreiheit in allen EU-Staaten.

Früher Euro-Krise, heute Wirtschaftswunder – Griechenlands erstaunlicher Aufschwung

Griechenland galt als Sorgenkind der EU – eine Staatspleite schien unausweichlich. Mittlerweile hat sich die Wirtschaft erholt und wurde sogar als beste des Jahres ausgezeichnet. Doch das Land ist noch immer das am höchsten verschuldete der EU, und die Mehrzahl der Bürger profitieren nicht von dem Aufschwung.

Wohnungspreise seit 2017 um 71 Prozent gestiegen

Nicht nur deswegen sind die Visa-Programme kontrovers, sondern auch wegen ihrer preistreibenden Auswirkungen auf dem Wohnungsmarkt. Für Portugal war das der Hauptgrund, im vergangenen Jahr die Vergabe von Aufenthaltstiteln an Immobilieninvestoren abzuschaffen. In Griechenland entfielen 2023 bereits sieben Prozent aller Immobilientransaktionen auf das „Golden Visa“-Programm. Nach Berechnungen der griechischen Zentralbank stiegen die Preise für Eigentumswohnungen in der Hauptstadtregion Attika seit 2017 um 71 Prozent. Die Mieten zogen in den vergangenen fünf Jahren um bis zu 56 Prozent an. Viele Durchschnittsverdiener finden keine bezahlbaren Wohnungen mehr im Stadtzentrum oder den attraktiven Vororten.

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Verschärft wird die Situation dadurch, dass viele Investoren aus Drittländern die gekauften Immobilien nicht selbst nutzen, sondern über Portale wie Airbnb an Touristen vermieten. In Griechenland gibt es in diesen Urlauberdomizilen inzwischen mehr Betten als in regulären Hotels und Pensionen. Aktuell werden rund 170.000 Wohnungen an Urlauber kurzzeitvermietet. Es ist für die Besitzer ein lukratives Geschäft: Mit Kurzzeitvermietungen können sie in drei, vier Tagen so viel Geld kassieren wie von regulären Mietern im ganzen Monat. Ohne Airbnb und ähnliche Vermittlungsportale wäre der griechische Tourismusboom gar nicht mehr denkbar. Aber die Schattenseite ist: Diese Unterkünfte werden dem regulären Wohnungsmarkt entzogen. Nach einer Studie der Piraeus Bank fehlen in Griechenland 212.000 Wohnungen.

In Athen, wo es allein im Stadtzentrum fast 13.000 solcher Touristenwohnungen gibt, haben die Kurzzeitvermietungen viele Stadtteile verändert. In Vierteln wie Koukaki, Neos Kosmos, Exarchia oder Metaxourgio haben ganze Straßenzüge ihr Gesicht gewandelt. Hier trifft man immer weniger Einheimische. Händler und Handwerker sind weggezogen. Mit den Touristen kamen Waschsalons, Bars und billige Fast-Food-Buden. Beschauliche Wohnstraßen haben sich in Partymeilen verwandelt. Von morgens früh bis spät in die Nacht hört man das Poltern der Rollkoffer, mit denen die Urlauber durch die Straßen ziehen.

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Mitsotakis will Mindestsumme erhöhen

Auch auf vielen Inseln haben das Visa-Programm und der damit geförderte Trend zu Kurzzeitvermietungen unwillkommene Nebenwirkungen: Einheimische junge Ehepaare finden kaum mehr eine Wohnung, die sie sich leisten können. Auch viele junge Leute, die während der Sommermonate auf den Inseln im Tourismus arbeiten, müssen mit spartanischen Unterkünften in Wohncontainern vorliebnehmen, weil fast alle Wohnungen an Urlauber vermietet werden.

Oppositionsparteien fordern ein Ende des Visa-Programms. Der konservative Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis sieht es zwar als „großen Investitionsschub für die Wirtschaft“. Die Regierung kann aber die negativen Auswirkungen auf den Wohnungsmarkt nicht ignorieren. Mitsotakis will deshalb „Maßnahmen zum Schutz des lokalen Marktes“ ergreifen. So soll die Mindestsumme für Golden-Visa-Investitionen in Athen und auf besonders gefragten Inseln von 500.000 auf 800.000 Euro heraufgesetzt werden. In Regionen, in denen bisher 250.000 Euro als Einstiegspreis gelten, ist eine Erhöhung auf 400.000 Euro im Gespräch. Dahinter steht die Absicht, den Teuerungsdruck für Immobilien der mittleren und unteren Preisklassen zu verringern. Es gibt auch Überlegungen, Kurzzeitvermietungen für Visa-Immobilien zu verbieten oder einzuschränken.

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Die Regeln für Kurzzeitvermietungen sollen vom kommenden Jahr an ohnehin verschärft werden. Die Regierung erwägt, sie pro Wohnung auf maximal 90 Tage im Jahr zu begrenzen. Auf kleineren Inseln sollen es höchstens 60 Tage im Jahr sein. Außerdem gibt es Überlegungen, wonach die Kommunen die Zahl der Wohnungen, die kurzzeitvermietet werden dürfen, begrenzen können. Damit sollen Immobilienbesitzer angehalten werden, ihre Wohnungen langfristig an Einheimische zu vermieten, statt tage- oder wochenweise an Touristen.



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