Der Staat ist sie – die Kanzlerin. Eine blonde Schönheit, ein bisschen Evita Perón, ein bisschen Marilyn Monroe. Pop-Womanizer Tom Jones würde der Dame im engen Blazer und straffen Rock wohl glatt seine „Sexbomb“ singen. In ihrem Palast hören alle auf das Kommando von Elena Vernham, ihr Kabinett besteht aus duckmäuserischen Ministern. Devot oder tot.

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Die schöne Elena schwebt in einer goldenen Badewanne herab

Denn wenn die schöne Elena auf einem Bildschirm von der Regierungssaaldecke herabschwebt – in einer goldenen Badewanne randvoll mit Eiswasser – und von ihren Politmarionetten ein „Gebt euch mehr Mühe beim Normalwirken“ fordert, ist die damit einhergehende Todesdrohung durchaus ernst zu nehmen.

Elena Vernham ist Autokratin, schon seit sieben Jahren. Wem dieser Begriff noch schleierhaft ist, der verwende stattdessen Diktatorin. Sie herrscht allein und gewaltsam über ein namenloses Land in Mitteleuropa. Das muss sie tun, Schuld hat der (linke) Vorgänger, unter ihm wurde alles schlechter.

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Erfahrene Satiremeister sind bei „The Regime“ am Werk

Emmy-Preisträgerin Jessica Hobbs („The Crown“), Stephen Frears (seit „Mein wunderbarer Waschsalon“ einer der britischen Regiemeister mit Händchen für scharfen Witz) und Showrunner Will Tracy (Drehbücher und Produktion für die Hitserie „Succession“) zeigen dem Publikum – angelehnt an all die Politsatireklassiker seit Charlie Chaplins „Der große Diktator“ (1940) –, wie sich Führergestalten inszenieren, sich an Menschen abreagieren, wie ihnen das Schicksal einzelner Personen nichts bedeutet. „The Regime“ ist ein böses, vergnügliches Spottbild auf eine sich als menschliche Sonne wähnende Politikersorte, die seit einigen Jahren fatalerweise rund um den Globus finstere Urständ feiert.

Der Ort ist vage. Idyllisches Zentraleuropa – Gebirge bilden den Horizont der Hauptstadt. Manche Namen klingen englisch, die Trachten erinnern an Balkanländer, den Palast der Kanzlerin spielt das Wiener Schloss Schönbrunn, wo unter anderem gedreht wurde.

In diesem Land ist nach offizieller Sicht alles zum Besten für alle bestellt. Es gibt Kobaltvorkommen, an denen die USA interessiert sind. Auch China wirbt um die wirtschaftliche Alleinausbeutung. Aber ein Makel ist (zumindest für westliche Investoren) auf Vernhams aufstrebendes Kleinimperium gefallen, in dem in Wahrheit Armut herrscht, Arbeiter darben, Menschenrechte Schall und Rauch sind, sich Widerstand im kargen Landstrich Westgate formiert.

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Der „Metzger“ der Minen wird zum Lufttester der Kanzlerin

Eine solche Protestsituation ist entgleist, es gab Tote in einer Mine. Der als „Metzger“ titulierte Verantwortliche, Corporal Herbert Zubak (großartig: Matthias Schoenaerts), wird wie ein Gefangener in den Palast gebracht. Dort aber soll er künftig der mysophoben Kanzlerin mit einem Schimmelmessgerät vorausschreiten und ihr alle naselang die Prozente der Luftbelastung mitteilen. Ein viriler Dampftyp und eine durchgeknallte Imperatorin – ein Paar für die Götter (der Unterwelt).

Die Beziehung wird aber recht schnell seltsam. Vernham scheint Zubak in ihren Träumen zu sehen und erwartet dasselbe auch von dem neuen Lakaien. Der grobe, bullige Soldat lernt langsam, zuweilen auch schmerzhaft, ihr Irresein zu nutzen, Einfluss zu erlangen und auszuweiten. Und wird nach einigen Rückschlägen – am entgeisterten Ehemann Nicki (Guillaume Gallienne) vorbei – Vernhams uniformierter Rasputin. Inklusive horizontaler Zweisamkeit.

Für Winslet ist die paranoide Diktatorin eine Bombenrolle

Für die 48-jährige Winslet ist die paranoide Kanzlerin mit dem ungeduldigen Lispeln und dem dramatisch fallenden rechten Mundwinkel die dritte Paraderolle in einer Miniserie nach „Mildred Pierce“ (2011) und „Mare of Easttown“ (2021). Gelangweilte Elfenbeinturmwillkür spielt sie ebenso aus wie den allzeit vibrierenden Sexappeal der Macht, wie die mühsam vorgegaukelte, nie aufrechtzuerhaltende Wärme bei Volkskontakt, das jämmerliche Selbstmitleid einer Egomanin oder die stürmende Hysterie bei allem Unvorhergesehenen.

Schau mich nicht so an.

Kanzlerin Elena Vernham im Zwiegespräch mit der aufgebahrten Leiche ihres Vaters

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Es gibt unvergessliche Szenen. Beispielsweise, wenn Vernham in einem geheimen Raum des Palasts bei ihrem in einem Glassarg aufgebahrten Vater vorstellig wird, um den so langsam Anzeichen von Verwesung Zeigenden um Rat zu fragen. Und wenn der Tote dann wie ein blaugrauer Verschnitt von Boris Karloffs Kreatur aus „Frankenstein“ (1931) plötzlich die Augen aufschlägt und sie mit Anwürfen wie „bitch!“ Mores lehrt. Winslet ist sechs Stunden lang ein Fest auf zwei Beinen.

Unrecht gut gedeihet nicht – der Widerstand dringt in die Hauptstadt vor

Auch die Darsteller um sie herum sind gut gewählt. Andrea Riseborough spielt die anständige Palastmanagerin Agnes, die ihrer Chefin Vernham mangels eigener Kinder immer wieder ihr Söhnchen Oskar zum Mutterspielen überlassen muss. Danny Webb ist der die Staatsgeschäfte aktiv haltende Laskin, der mit zunehmendem Realitätsverlust seiner Kanzlerin immer schlimmere Demütigungen einstecken muss.

Mit den Fähnchen-im-Wind-Ministerkollegen Victor (David Bamber), Huber (Michael Colgan) und Singer (Henry Goodman) ist es für Laskin nicht leicht, konspirativ zu sein, Komplotte zu schmieden, die Seiten zu wechseln. Und als die Vergeltung des Volkes näherkommt, sich der Ring der Befreiungsarmee um den Palast schließt und Vernham ein Schicksal droht wie einst Hitler im Bunker, treffen die Kugeln der Revoluzzer auch mal die Falschen und verfehlen dafür wichtigere Ziele.

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Vernhams Tisch ist länger als die Dialogtafel von Wladimir Putin

Der Tisch von Elena Vernham ist unverfrorenerweise länger als der von Wladimir Putin (vielleicht hängt der jetzt ja noch ein paar Meter dran). Der belgische Schauspieler Matthias Schoenaerts hat als rasputinartiger, sich nach sexueller Vereinigung mit der Despotin zutiefst sehnender Brutalowitsch Zubak mehr Ähnlichkeit mit dem Kriegsherrn im Kreml als selbst der Hauself Dobby in den Harry-Potter-Filmen.

Niemand schlägt eine Invasion vor.

Kanzlerin Elena Vernham vor der Invasion des Fabanischen Gürtels

Und dass der einzige ernst zu nehmende Oppositionelle, der frühere Kanzler Keplinger (Hugh Grant), in einem Kerker der Kanzlerin ermordet wird, erinnert einen an das Schicksal von Alexej Nawalny, obwohl die Filmemacher den Lagertod (beziehungsweise die mutmaßliche Ermordung) von Putins größtem Herausforderer natürlich nicht vorausahnen konnten.

Alles frei erfunden, manches kommt einem jedoch bekannt vor

Die Ereignisse sind vorgeblich frei erfunden, die Personen und Konstellationen anders, man kann keine direkten Bezüge zum aktuellen Gewaltsystem in Moskau erkennen. Und hätte man Putin in einem Film à la Chaplin als eine Art Benzinomir Napaloniwitsch durch den Kakao gezogen, hätte man womöglich mit dem langen Arm des Kremls rechnen müssen.

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Wenn Vernham aber die „Wiedervereinigung“ ihres Landes mit dem „Fabanischen Gürtel“ per Krieg anordnet, kommen einem ihre Sätze „Niemand schlägt eine Invasion vor“, die Aktion sei „ein Ausdruck von Frieden und Liebe“ und geschehe „im Namen der Freiheit“ doch seltsam vertraut vor.

„The Regime“, Miniserie, sechs Folgen, von Will Tracy, Regie Stephen Frears, Jessica Hobbs, mit Kate Winslet, Matthias Schoenaerts, Andrea Riseborough, Guillaume Galliene, Hugh Grant, Henry Goodman, Danny Webb, David Bamber, Michael Colgan, Rory Keenan (ab 3. März bei Sky/Wow)



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