Wieder mal feierten Fans der türkischen Mannschaft den Sieg gegen Georgien hupend im Auto. Über ein vermeintlich anatolisches Kulturgut.

Eine schwarze Limousine aus der eine große türkische Fahne geschwenkt wird

Fans der türkischen Fußball-Nationalmannschaft feiern den Sieg ihrer Mannschaft am Dienstag bei einem Autokorso Foto: Christoph Soeder/dpa

MÜNCHEN taz | In vielen Großstädten im Ruhrpott, aber auch in Berlin brach nach dem 3:1-Sieg der Türken gegen Georgien die Hölle los. Man feierte ausgelassen – oft im Auto. Der Autokorso ist das Mittel der Wahl, wenn Erfolge der türkischen Nationalmannschaft zu begehen sind. So war nicht nur die Dortmunder Innenstadt fast komplett verstopft, auch der Berliner Ku’damm befand sich in der Hand türkischer Fans, die Fahnen schwenkten, ohne Unterlass hupten und bisweilen auch Rauchtöpfe zündeten.

Überall, wo die türkische Community stark ist, kennt man den Autokorso. Mal ist er kleiner, wie bei einer Hochzeit in Kreuzberg oder Schöneberg, mal ist er größer wie im Jahr 2000, als Galatasaray Istanbul zum ersten Mal den Fußball-Uefa-Cup gegen den FC Arsenal gewann. Am Kottbuser Tor ging seinerzeit nichts mehr.

Damals staunte die Berliner Presse noch über das Ausmaß des Auspuff-Aktivismus, mittlerweile gehört der Korso zum Standard, und die Migrationsforscherin Gülistan Gürbey erklärte in der FAZ einmal, warum er so beliebt ist: „So ein Korso ist eine spektakuläre Aktion, die Aufmerksamkeit erzeugt und zugleich Spaß macht. Das lenkt das Augenmerk mit aller Energie auf die besondere Situation“, sagte sie. Sie wandte sich zwar gegen den Autokorso-Exzess, also die mittlerweile durchaus übliche Blockade von Autobahnen, warb aber um Verständnis, indem sie auf den Ursprung des automobilen Zusammenseins verwies.

In Anatolien sei es vor Erfindung des Viertakters üblich gewesen, dass die Braut vom Elternhaus abgeholt und auf einem Pferd durchs Dorf geführt worden sei. Der enge Kreis der Angehörigen lief hinterher. Zu dem Brauch gehörte wohl auch, dass das Pferd immer wieder gestoppt wurde, nach dem Motto: „Ich blockiere den Weg, bis ich ein Geschenk von dir kriege. Dieser Brauch hat sich infolge der Modernisierung und Verstädterung in die heutige Form transformiert.“ Es ist freilich heutzutage nicht mehr ratsam, das nicht selten 200-PS-starke Automobil zu stoppen, in Erwartung einer milden Gabe.

Posen im Taumel

Die Zeiten haben sich geändert, und das Feiern in den eigenen vier Blechen ist beides: eine Agglomeration zum Zwecke des Posens (Schaut her und überseht dabei bitte nicht meinen Mercedes SLK!) und des nationalen Taumels. Dort, wo der Verkehr eigentlich fließen soll, geht nunmehr wenig. Der nun positiv konnotierte Stau ist gewollt, ja Voraussetzung für den Autowurm, der auch so schnell kriecht wie selbiger. Der Autokorso ist, wie bereits angedeutet, multipel nutzbar. Man findet sich nach Sportevents zusammen, nach Familienfeiern – oder wenn Recep Tayyip Erdoğan einen Wahlsieg errungen hat.

Das hat vor einiger Zeit den Grünen-Politiker Cem Özdemir geärgert, der diese Variante des Autokorsos so super fand wie die Autokorrektur: „Sie (also die politisierten Korsos) sind eine nicht zu überhörende Absage an unsere pluralistische Demokratie und Zeugnis unseres Scheiterns unter ihnen. Übersehen geht nicht mehr“, schrieb er in den sozialen Medien. Rund zwei Drittel der in Deutschland lebenden Türken hatten für Erdoğan gestimmt, was Özdemir auf den Magen geschlagen war.

Auch die Autokorsos von Russlanddeutschen zur Unterstützung von Putin kamen nicht so gut an, doch der Trend ist gesetzt: Der Autokorso gehört zu Deutschland wie die weiß besockte Sandale. Immer mehr wird man davon sehen, also von den Korsos. Bisweilen wird er sogar von Sören und Lena kopiert – wie nach dem 5:1-Sieg der Deutschen über Schottland. Da wurde auf der Maximilianstraße kulturelle Aneignung betrieben. Ja mei, warum denn nicht!?

Lustig dann natürlich der erhobene Zeigefinger der Polizei Duisburg, die schreibt: „Bei aller Freude sind Autokorsos nach wie vor grundsätzlich illegal und werden fast ausnahmslos auch auf Antrag nicht genehmigt. Das gilt uneingeschränkt für die EM, da Autokorso regelmäßig gegen § 30 der Straßenverkehrsordnung verstoßen, wonach unnötiger Lärm und unnützes Hin- und Herfahren verboten ist.“

Und weiter: „Initiatoren und Teilnehmende begehen damit Ordnungswidrigkeiten und man kann sich nicht darauf verlassen, dass die Polizei sie immer und überall toleriert“, schreiben die Ordnungshüter. „Insofern ist von der Teilnahme an Autokorsos dringend abzuraten.“ Wen das interessiert? Offensichtlich keinen. Deutschland hupt, Deutschland vergesellschaftet sich im Automobil. Und die Türken als Trendsetter sowieso.



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