Es soll schnell gehen. Schon am 28. Juni werden die Iranerinnen und Iraner einen neuen Präsidenten wählen, den Nachfolger des am Sonntag mit einem Hubschrauber verunglückten Ebrahim Raisi. Jedenfalls diejenigen, die noch an Wahlen teilnehmen, das ist die Minderheit. Bei den Stichwahlen um Sitze im Parlament vor einigen Tagen sollen es in der Hauptstadt Teheran nur noch acht Prozent gewesen sein, die ihre Stimme abgaben.

Laut ihrer Verfassung hätte sich die Islamische Republik mit dem Wahltermin noch ein paar Tage mehr Zeit lassen können. Offenbar will das Regime jeden Eindruck vermeiden, mit Raisis Tod könnte im Land ein Machtvakuum entstanden sein. Immerhin ist es keine zwei Jahre her, dass Iran die größten Proteste erlebte, seit die Mullahs 1979 an die Macht kamen.

Die Männer an der Spitze wissen um ihre Unbeliebtheit, der Brutalität wegen, mit der sie Widerstand unterdrücken, und wegen der andauernden Wirtschaftskrise. Schon in den Stunden nach dem Tod des Präsidenten und seiner Delegation, darunter Außenminister Hossein Amir-Abdollahian, hielten sich viele im Land nicht an die verordnete Staatstrauer.

Die meisten reagieren mit Schweigen

Videos gingen in den sozialen Medien um, darin Angehörige von Menschen, die entweder bei den Protesten starben oder die das Regime seither hinrichten ließ; manche stießen mit verbotenem Alkohol auf Raisis Tod an, andere tanzten, auch das verboten. Die meisten im Land allerdings beließen es bei der Haltung, die sie sich angewöhnt haben, seit das Regime die Proteste im Herbst 2022 niederschlug: Sie schwiegen.

Nichts deutete darauf hin, dass der Hubschrauberabsturz zu Unruhen, zu neuen Protesten führen könnte. Für eine neue Bewegung wie damals, 2022, ist die Angst im Land zu groß. Darin liegt Ebrahim Raisis Vermächtnis: Er stand als Präsident für den Wandel, den das Regime der Kleriker in den vergangenen Jahren durchgemacht hat. Hin zu einer Autokratie, die nicht einmal mehr so tut, als suchte sie die Bestätigung der Bürgerinnen und Bürger.

Noch 2017 verlor Raisi, der Favorit von Ali Chamenei, dem obersten Führer, die Präsidentschaftswahlen gegen den damaligen Amtsinhaber Hassan Rohani. Auch Rohani war alles andere als moderat, doch erlaubte er sich im Amt noch eine eigene Linie, vor allem bei Atomabkommen mit dem Westen. Als Rohani nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten durfte, endete auch die Zeit, in der das Regime noch politische Schattierungen erlaubte und Wahlen eine Bedeutung hatten.

Raisi gewann, weil der Wächterrat, der alle Kandidaten billigen muss, keine ernsthaften Gegenkandidaten zuließ. Dass er nun nicht mehr Präsident ist, sieht in Iran deswegen kaum jemand als Einschnitt. Die Bedeutung des Verstorbenen lag darin, dass ihn manche als Nachfolger für Ali Chamenei sahen. Bei Chamenei, 85 Jahre alt, liegt die eigentliche Macht, gerade was die Außenpolitik und die iranische Rolle im Nahostkonflikt betrifft. Zusammen mit der mächtigen Revolutionsgarde war es Chamenei, der im April entschied, erstmals von iranischem Boden aus den Staat Israel anzugreifen.

Das Regime radikalisiert sich

Sollte Chamenei sterben, würde der Expertenrat, eine Art Klerikerparlament, vor wenigen Wochen neu gewählt, seinen Nachfolger bestimmen. Raisi war dafür ein Kandidat, ein anderer ist Chameneis Sohn. Genau wie die Frage, wer am 28. Juni bei den Präsidentschaftswahlen antritt und gewinnt, ist auch die Nachfolge von Chamenei von außen kaum einzuschätzen, auch für die Menschen in Iran nicht. Wer das Regime in Zukunft führt, wird sich in verschlossenen Zirkeln in Teheran entscheiden.

Absehbar ist nur, dass sich das Regime weiter radikalisiert. Die Revolutionsgarde wird nicht zulassen, dass jemand die Führung übernimmt, der ihren Kurs, autoritär im Innern und expansiv in der Region, nicht mittragen könnte. Zugleich bleibt einem nach innen gekehrten Regime, das weite Teile des Landes gegen sich hat, als Mittel zum Machterhalt nur noch Gewalt.

Am Dienstag begannen die Trauerzeremonien für Ebrahim Raisi und die anderen Toten. Später sollten die Leichname von Täbris, nahe der Absturzstelle, nach Teheran überführt werden. Auch westliche Regierungen, darunter die deutsche und sogar die US-amerikanische, kondolierten dem Regime zu seinem Verlust. Ehrlicher klangen die Beileidsbekundungen aus Peking und Moskau. Von “tiefer Trauer” sprach der chinesische Staatschef Xi Jinping.

Russlands Präsident Wladimir Putin, ein enger Verbündeter des Mullah-Regimes, sagte, Raisi sei in seinem Land “hochgeachtet” gewesen. Iranische Hoffnungen, Putin könnte zum Staatsakt für Raisi nach Teheran kommen, dementierte der Kreml aber.



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