Im Völkermord-Verfahren gegen Deutschland hat der Internationale Gerichtshof (IGH) die per Eilantrag erhobenen Forderungen Nicaraguas zurückgewiesen. Deutschland müsse die Rüstungsexporte nach Israel nicht stoppen, entschieden die Richter im niederländischen Den Haag. “Das Gericht stellt fest, dass die Umstände nicht so sind, dass sie die Ausübung seiner Befugnis erfordern, einstweilige Maßnahmen anzuordnen”, teilte der IGH mit.

Hintergrund ist eine Klage Nicaraguas gegen Deutschland vor dem höchsten Gericht der Vereinten Nationen. Entschieden wird über die Klage erst in einem Hauptverfahren. Dieses
kann sich über Jahre hinziehen. Teil der Klage Nicaraguas war jedoch
auch ein Eilantrag. In ihm wurde im Schnellverfahren eine Anordnung der
Richter gefordert, weitere Rüstungslieferungen Deutschlands an Israel zu
stoppen.

Obwohl eine solche Dringlichkeitsanordnung nicht erlassen wurde, sei man tief besorgt angesichts der humanitären Situation der palästinensischen Zivilbevölkerung im Gazastreifen, hieß es vom IGH. Zugleich gab das Gericht einem deutschen Antrag auf Abweisung des Falles nicht statt. Somit kann der Prozess vor dem Gericht weitergeführt werden.

Das Auswärtige Amt begrüßte die Entscheidung des IGH. “Niemand steht über dem Recht. Das leitet unser Handeln”, schrieb das Außenamt auf X. “Deutschland ist keine Konfliktpartei in Nahost – im Gegenteil: Wir setzen uns Tag und Nacht für eine Zweistaatenlösung ein.” Deutschland sei größter Geber von humanitärer Hilfe für die Palästinenser. Jedoch sei es der Terror des 7. Oktober, der “diese neue Spirale von Leid erst losgetreten” habe, gegen die Israel sich zur Wehr setzen müsse.

Deutsche Waffen sollen laut Nicaragua Genozid ermöglichen

Geklagt hatte Nicaragua gegen Deutschland
wegen angeblicher Beihilfe zu einem Genozid. Aus Sicht Nicaraguas
verübt Israel im Gazastreifen einen Völkermord, der auch durch
Waffenlieferungen Deutschlands ermöglicht wird. Als Argument führt das
mittelamerikanische Land an, dass Deutschland im Jahr 2023 Lieferungen
von Rüstungsgütern im Wert von 326,5 Millionen Euro an Israel genehmigte
– zehnmal so viel wie im Vorjahr. Nach deutschen Angaben handelte es
sich bei den Rüstungsgütern jedoch zu 98 Prozent nicht um Kriegswaffen,
sondern um allgemeine Güter wie Helme oder Schutzwesten.

Zudem
fordert die Regierung Nicaraguas vom IGH, Deutschland zur Wiederaufnahme
der Unterstützung für das umstrittene UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA
zu verpflichten. Ende Januar waren Vorwürfe Israels bekannt geworden,
wonach UNRWA-Mitarbeiter in die Terrorangriffe vom 7. Oktober verwickelt
gewesen sein sollen. Daraufhin hatte Deutschland seine Zahlungen an das
Hilfswerk ausgesetzt. Inzwischen kündigte die Bundesregierung an, ihre
Zusammenarbeit mit UNRWA fortzusetzen. 

“Eklatant einseitig”: Deutschland widerspricht Vorwürfen

Bei der Anhörung vor dem IGH vor rund vier Wochen hatten Vertreter Deutschlands die Vorwürfe Nicaraguas zurückgewiesen.
Sie entbehrten “jeder rechtlichen und tatsächlichen Grundlage”, sagte
Tania von Uslar-Gleichen, Justiziarin des Auswärtigen Amts. “Deutschland
hat weder direkt noch indirekt gegen die Völkermordkonvention oder das
humanitäre Völkerrecht verstoßen”, sagte sie vor Journalisten am IGH. Im
Gegenteil sei Deutschland dem Völkerrecht zutiefst verpflichtet. Die
Darstellung Nicaraguas bezeichnete die Rechtsvertreterin Deutschlands
als “eklatant einseitig”.

Israel ist bei der Klage Nicaraguas
keine Prozesspartei. Allerdings wies das Land bereits zuvor
Genozidvorwürfe zurück – unter anderem bei einer Klage Südafrikas vor dem IGH.
So wird der Nahostkonflikt in Teilen auch vor internationalen Gerichten ausgetragen. Bei seinem Vorgehen im Gazastreifen beruft sich Israel auf sein Recht
zur Selbstverteidigung nach den Massakern der islamistischen Hamas und
anderer extremistischer Palästinenserorganisationen am 7. Oktober.

Nicaragua wird seit Anfang 2007 vom autoritären Staatschef Daniel Ortega regiert. Er wurde bei umstrittenen Wahlen im Jahr 2006 zum Staatspräsidenten gewählt, inzwischen regiert er das Land autokratisch. In der Kritik steht Ortega unter anderem für sein Vorgehen gegen die Opposition im Land sowie für seine Parteinahme für Russland nach dem Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine.





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