Die nackten Zahlen sind ernüchternd. 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum erwarten die führenden Forschungsinstitute ausweislich der jüngst erschienen Gemeinschaftsdiagnose für 2024. Doch die Ampel-Koalition unterschätzt den Ernst der Lage, meint Siegfried Russwurm: „Es waren zwei verlorene Jahre – auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden“, sagte der Industriepräsident am Dienstag.

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Er, der seit Monaten vor dem wirtschaftlichen Abstieg Deutschlands warnt, nahm gegenüber der Süddeutschen Zeitung Olaf Scholz ins Visier: „Vom Kanzler hören wir zuletzt häufig das Zitat ‚Die Klage ist das Lied des Kaufmanns‘. So kann man unsere Analysen auch abkanzeln, zeigt aber, dass im Kanzleramt der Ernst der Lage offenbar unterschätzt wird“, ärgerte sich der Industriepräsident – der damit am Mittwoch nicht alleine war: DIHK-Präsident Peter Adrian sprang ihm gegenüber der DPA ebenso bei wie Familienunternehmerchefin Marie Ostermann und Christoph Ahlhaus, Bundesgeschäftsführer des Mittelstandsverbands BVMW.

Kritik am zweckoptimistischen Kanzler

Die Verbände fordern etwa international konkurrenzfähige Strompreise, schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren, Entbürokratisierung und eine Steuerreform. Scholz machte jüngst in München aber deutlich, er sehe keinen finanziellen Spielraum für umfassende Steuersenkungen. Und er warnte davor, den Standort Deutschland schlechtzureden. „Natürlich hilft es nicht, wenn ganz viele Lobbyisten und Politikunternehmer die Stimmung im Land verschlechtern, weil dann behalten die Leute ihr Geld auf dem Sparbuch und investieren nicht“, sagte der sozialdemokratische Kanzler.

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Der Knackpunkt: Sowohl Wirtschaftsminister Robert Habeck als auch Finanzminister Christian Lindner werden derzeit kaum müde, die Probleme der Wirtschaft aufzugreifen – während Scholz sie offenbar lieber nicht so hoch hängen möchte. Am Handlungsbedarf ändert das aus Russwurms Sicht nichts: Das verlangsamte Wachstum sei Folge der wirtschaftspolitischen Versäumnisse, Deutschland verliere gegenüber vergleichbaren Ländern kontinuierlich Marktanteile, warf der BDI-Präsident dem Kanzler und seinem Kabinett vor.

Debatte um Zukunft der Industrie

Allerdings machte er gegenüber der Süddeutschen Zeitung auch klar, dass Reformen nicht sämtliche derzeit in Deutschland vertretenen Industriezweige retten können: Manches werde aus Deutschland verschwinden, Ammoniak etwa werde zukünftig in großen Mengen eingeführt. „Da ist es wahrscheinlich nicht sinnvoll, die bisherigen Mengen parallel zu viel höheren Kosten hier zu produzieren“, sagte Russwurm.

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Ausgerechnet bei Ammoniak hatte sich im Zuge der Energiekrise indes gezeigt, dass Abhängigkeiten vom Weltmarkt auch ihre Tücken bergen: Das unter anderem für die Düngerproduktion benötigte Gas war zwischenzeitlich so knapp, dass weltweit die Düngerpreise explodierten. Es brauche auch eine Debatte darüber, welche Industrien sich Deutschland leisten könne, findet Russwurm. „Wenn uns strategische Souveränität wichtig ist, müssen wir in Kauf nehmen, dass auch sie ihren Preis hat und die höheren Kosten akzeptieren“, sagte er.

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Einfach wird diese Debatte indes nicht: In Ludwigshafen, wo die BASF bislang Ammoniak herstellte, dürften Russwurms Worte nicht so gut ankommen. Ähnliche Regionen, die von womöglich verzichtbaren energieintensiven Industrien zehren, könnte deshalb ein krasser Stukturwandel bevorstehen. Nicht jede Branche werde unbedingt in bisheriger Größe fortbestehen können, meint aber auch der Ökonom Achim Truger: „Wichtig ist dann, dass der Strukturwandel von einer aktiven Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik begleitet wird, die gesamtwirtschaftliche und regionale Brüche verhindert“, sagte der Wirtschaftsweise dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Mit Material der DPA



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