Beinahe 9 von 10 Personen, die das Internet nutzen, sind auch in den sozialen Medien aktiv. Bei den 14- bis 29-Jährigen sind es sogar nahezu alle, nämlich 98 Prozent. Sicherlich sind auch viele Unter-14-Jährige bereits auf Social-Media-Plattformen unterwegs – genaue Zahlen gibt es nicht, da die meisten Netzwerke offiziell erst ab 14 Jahren genutzt werden dürfen. Es ist aber mehr als unwahrscheinlich, dass alle Kinder sich an diese Altersbeschränkung auch halten.

Dass immer mehr junge Menschen auf Plattformen wie TikTok oder Instagram unterwegs sind, bleibt jedoch nicht ohne Folgen – sowohl für die Psyche, als auch für die körperliche Gesundheit.

Ängste, Depressivität, Essstörungen

Welche konkreten Auswirkungen die Social-Media-Nutzung auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen hat, ist zwar noch umstritten. Verschiedene Studien deuten jedoch zumindest auf einen Zusammenhang mit Ängsten, Depressionen, Essstörungen und Stress hin. Außerdem stellen die sozialen Medien für viele einen nicht zu unterschätzenden Suchtfaktor dar. Gut belegt ist zudem ein negativer Einfluss auf das Körperbild und das Selbstwertgefühl. 

Doch auch die körperliche Gesundheit kann leiden, wenn junge Menschen viel Zeit mit sozialen Medien verbringen, wie eine aktuelle Studie aus Großbritannien zeigt.

Social Media und Zigaretten-Konsum

Kinder und Jugendliche, die viel Zeit auf Social-Media-Plattformen verbringen, neigen demnach eher dazu, Zigaretten und E-Zigaretten zu rauchen, als Kinder, die seltener in den sozialen Medien unterwegs sind. Zu diesem Ergebnis kommt eine großangelegte Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift „Thorax“ veröffentlicht wurde.

Je mehr Zeit junge Menschen auf Social-Media-Plattformen verbringen, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sie zu Zigaretten oder E-Zigaretten greifen.

Schon geringe Social-Media-Nutzung hat sichtbare Auswirkungen

Am deutlichsten lässt sich der Zusammenhang bei denjenigen erkennen, die sieben Stunden oder mehr pro Tag soziale Medien nutzen:  Die Wahrscheinlichkeit, dass sie E-Zigaretten rauchen, ist fast viermal höher als bei Nicht-Nutzern und die Wahrscheinlichkeit, dass sie normale Zigaretten rauchen, ist sogar achtmal höher.

Doch auch eine geringe Social-Media-Nutzung zeigt bereits Auswirkungen auf das Rauchverhalten:

Während nur 0,8 Prozent der Kinder und Jugendlichen, die keine Zeit in den sozialen Medien verbringen, zu E-Zigaretten und zwei Prozent zu normalen Zigaretten greifen, sind es bei denjenigen, die eine bis drei Stunden pro Tag auf den Plattformen verbringen bereits 2,4 Prozent bei E-Zigaretten und 9,2 Prozent bei normalen Zigaretten.

Die Forschenden stützten sich auf Daten von 10- bis 25-Jährigen, die an der UK Household Longitudinal Study teilnahmen, einer Langzeitstudie, die in den Jahren 2015 bis 2021 die Daten von 10.808 Teilnehmenden sammelte. Die Ergebnisse waren unabhängig von anderen Faktoren, die mit einem erhöhten Risiko für das Rauchen von Zigaretten und E-Zigaretten verbunden sind, einschließlich Alter, Geschlecht, Haushaltseinkommen und Rauchverhalten der Eltern.

Versteckte Werbung mit bezahlten Social-Media-Influencern

Da es sich jedoch um eine Beobachtungsstudie handelt, können keine eindeutigen Schlussfolgerungen über kausale Zusammenhänge gezogen werden. Eine weitere Limitation ist, dass sich um Selbstauskünfte der Teilnehmenden handelt. Außerdem wurde nicht erfasst, auf welchen Social-Media-Plattformen wie viel Zeit verbracht worden ist. Dennoch haben die Forschenden einige Erklärungen für ihre Ergebnisse:

„Die erste und plausibelste Erklärung ist, dass die Unternehmen, die hinter Zigaretten und E-Zigaretten stehen, soziale Medien nutzen, um ihre Produkte zu bewerben“, heißt es in der Studie.

„Dazu gehören algorithmisch gezielte Direktwerbung und der Einsatz von bezahlten Social-Media-Influencern, die das Rauchen von Zigaretten und E-Zigaretten als modische und erstrebenswerte Aktivität darstellen. Je mehr Zeit man in sozialen Medien verbringt, desto stärker ist man diesen Formen der Einflussnahme ausgesetzt“, erklären die Forschenden.

Zusammenhang zwischen Sozialen Medien und Suchtverhalten

Zudem habe sich gezeigt, dass die Nutzung sozialer Medien Gemeinsamkeiten mit belohnungssuchendem Suchtverhalten aufweise. Eine hohe Nutzung sozialer Medien könne die Anfälligkeit für andere Suchtverhalten wie Rauchen erhöhen.

Außerdem könne die Nutzung sozialer Medien als ein Raum, der weitgehend unbeaufsichtigt von Eltern oder anderen Aufsichtspersonen ist, zu grenzüberschreitendem Verhalten, einschließlich Rauchen, ermutigen.

Dass Kinder und Jugendliche mit dem Rauchen anfangen könnten, ist nur eine von vielen Gefahren, denen junge Menschen auf Social-Media-Plattformen ausgesetzt sind. Eltern sollten sich bewusst machen, welche Inhalte ihren Kindern begegnen können, bevor sie ihnen die entsprechenden Geräte oder Zugänge zur Verfügung stellen.

Social Media und Essstörungen

„Menschen, die soziale Netzwerke sehr intensiv nutzen, sind offenbar auffällig häufig von Schlafproblemen, Ängsten, Depressionen und Essstörungen betroffen“, schreibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in einer Broschüre zum Thema Essstörungen. Die Beschäftigung mit sozialen Medien könne die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper erhöhen. Dann bestünde die Gefahr, dass die Tipps von Instagram- oder YouTube-Idolen für einen perfekten Körper übernommen würden.

Da Social-Media-Plattformen mit Algorithmen arbeiten, bekommen Kinder und Jugendliche möglicherweise immer wieder Posts zu Themen angezeigt, für die sie sich einmal interessiert haben. So kann schnell der Eindruck entstehen, dass alle so denken, dass alle es so machen und dass es also richtig sein muss.

Gefahr besteht jedoch nicht nur beim Thema Körperbild. Bilder von Gewaltdarstellungen, Folter, Rassismus, Kriegsverbrechen, Pornografie, Tierquälerei, Selbstverletzungen und mehr können Kindern und Jugendlichen regelmäßig im Netz begegnen.

Wir können die Gefahren nicht mehr kontrollieren

Kaum ein Erwachsener wisse oder könne sich vorstellen, wie der digitale Alltag von Kindern und Jugendlichen heute aussieht, meint Schulleiterin und Digitalbotschafterin des Landes Niedersachen, Silke Müller. Mit ihrem Buch „Wir verlieren unsere Kinder“, das 2023 erschien, appelliert sie nachdrücklich an Eltern, Politik und Gesellschaft, nicht länger wegzusehen.

„Das Problem ist aus meiner Sicht, dass die Gefahren heute überall verbreitet sind, wir können sie nicht mehr kontrollieren. Es ist eben nicht mehr der begrenzte Raum ‚Party‘, es ist nicht mehr der begrenzte Raum ‚alleine auf der Straße‘, sondern die Gefahr, dass Kinder sexuell angesprochen werden können im Netz, gewaltverherrlichende Bilder sehen, mit rassistischen Inhalten konfrontiert werden und vieles mehr, besteht jederzeit, rund um die Uhr“, sagte Müller im FOCUS-online-Interview.

„Die Eltern sind schockiert“

Die Schulleiterin konfrontiert die Eltern an ihrer Schule daher regelmäßig mit den Fotos, Videos und Memes, die die Kinder im Netz zu sehen bekommen. Hier wird deutlich, wie wenig die meisten Eltern von dem mitbekommen, was sich auf den Smartphones ihrer Kinder abspielt:

„Die Eltern sind schockiert. Sie sitzen teilweise da und halten sich die Augen zu. Und das sind die Momente, in denen ich sage: Schauen Sie bitte hin! Denn das sind die Dinge, die Ihre Kinder sehen. Bei den Bildern, die ich den Eltern zeige, halte ich mich auch nicht zurück. Ich achte zwar darauf, dass der Account-Inhaber nicht zu erkennen ist. Aber wir zeigen Bilder und Videos, die Kinder wirklich gesehen haben. Und die Eltern sind schockiert und sagen, sie wussten das nicht.“

Müller glaubt, dass der anhaltende Ansturm auf Kinderpsychiatrien und psychosomatische Kliniken nicht allein durch die Corona-Pandemie zu erklären ist. Ihrer Meinung nach sollten Eltern den Einfluss von sozialen Netzwerken und von dieser medialen Welt, in der die Kinder wie in einem Haifischbecken schwimmen, nicht unterschätzen:

„Ich bin keine Psychologin. Aber ich höre, dass die kinderpsychologischen Praxen alle überlaufen sind und die Kinder ewig brauchen, bis sie einen Termin bekommen. Ich höre, dass die Kinderpsychiatrien und die Kinderkliniken für psychosomatische Auffälligkeiten lange Wartelisten haben. Ich merke auch an den täglichen Auseinandersetzungen an unserer Schule, dass die Kinder anders miteinander umgehen. Und ich stelle fest, dass sich das sehr schnell entwickelt.“

Kinder brauchen „eine Hand im Haifischbecken“

Ihr dringender Appell lautet daher: Kommen Sie mit Ihrem Kind ins Gespräch! Wenn Eltern ihren Kindern auf Augenhöhe begegnen, hätten sie eine Chance, sie wieder zurückzugewinnen. Wichtig sei vor allem, dass die Kinder sich ihren Eltern anvertrauen können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie bestraft werden. Es gilt, als Eltern offen zu sein und aktiv zu werden.

„Ich kann noch so viele medienpädagogische Programme auf den Weg bringen. Was die Kinder aber brauchen, ist eine Hand in diesem Haifischbecken. Was sie brauchen, ist Schutz und Begleitung. Und das ist doch unsere ureigenste Aufgabe: Kinder zu beschützen“, sagt Müller. In ihrem Buch hat sie eine Liste mit wertvollen Tipps zusammengestellt:





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