Nena und die andere Meinung: Ich mit AfD-Wählern in der Dorfkneipe – ein Satz über die Grünen macht mich baff
In der INSA-Umfrage liegt die AfD aktuell bei 19.5 Prozent. Öffentlich bekennt sich kaum einer zur Wahl der AfD. Ich habe zwei AfD Wähler getroffen. Schenken Sie mir einen Augenblick für die andere Meinung.
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AfD-Wähler sind dumm, rechtsextrem, bösartig, wohnen im Plattenbau, im Osten. So erscheinen mir die Stereotype dieser Tage. Die Lust, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, geht gegen null. Ich halte unsere fehlende Debattenkultur für gefährlicher als die AfD.
Laut Umfragen gab es in der Bundesrepublik noch nie zuvor so große Bedenken, seine politische Meinung frei zu artikulieren wie heute: Nur 40 Prozent der Deutschen glauben, Meinung frei äußern zu können. Die Zahlen sind alarmierend. Was ist mit unserem Interesse an der Sichtweise anderer Menschen bloß passiert? Unserer Freude an politischer Debatte?
Mein Abend mit AfD-Wählern
Ich habe kürzlich erst einen Abend mit AfD-Wählern verbracht. Zufällig. Nicht in Sachsen. Nicht im Plattenbau. Nicht im näheren Bekanntenkreis. Sondern an dem beschaulichsten Ort, den ich kenne. Dort, wo ich zur Schule ging: Willich am Niederrhein, gut 50.000 Einwohner, die nächste Metropole Düsseldorf ist 20 Minuten entfernt, bis zur holländischen Grenze sind es keine 40 Kilometer. Willich ist kein Krawall-Ort. Es ist mehr wie Monopoly mit Reihenhäusern und Doppelhaushälften. Alles hier ist sehr behütet, strukturiert.
Über die Kolumnistin
Nena Brockhaus ist Journalistin, Fernsehmoderatorin und Bestsellerautorin. Mit 10 Jahren für die Sat1-Show „Kleine ganz groß“ entdeckt worden, folgten weitere Engagements vor der Kamera. Nach dem Studium von Wirtschaft, Recht und Internationalen Beziehungen an der Universität Maastricht besuchte sie die Georg von Holtzbrinck-Schule für Wirtschaftsjournalisten. Von 2021 bis Sommer 2023 moderierte Brockhaus drei bis fünf Mal wöchentlich die BILD-Politik-Talkshow „Viertel nach Acht“.
Mit ihrer Kolumne „Nena und die andere Meinung” möchte Brockhaus zu einem differenzierteren Meinungsbild in unserer Gesellschaft beitragen – gerne auch mal durch unpopuläre Thesen und die Erweiterung des Sagbaren.
Im Sommer fahren die Lehrer, Anwälte, gehobene Angestellte und Handwerker mit ihren Kindern mit dem Fahrrad über die Felder, spielen im Club Tennis, gehen ins Freibad De Bütt. Im Kreis Viersen, zu dem Willich gehört, hatte die CDU bis vor ein paar Jahren noch die absolute Mehrheit. Bei der jüngsten Bundestagswahl kam die Partei noch locker über 35 Prozent. Auch der Willicher Bürgermeister ist selbstverständlich CDUler.
Willich steht für viele Dörfer und Kleinstädte Deutschlands. Für die Orte, an denen fern von Hafermilch und Gender-Debatten ein konservativ-christliches Leben geführt wird. Nach langer Zeit bin ich mal wieder im Dorf und steuere die Eckkneipe an, um die Wartezeit auf mein Taxi zu verkürzen. Setze mich an den Tresen, bestelle mir ein Glas Wein, komme mit zwei Männern ins Gespräch. Schnell finden wir einen gemeinsamen Nenner. Wir kennen dieselben Leute, besprechen, was aus wem geworden ist. Das übliche eben.
Irgendwann reden wir dann über Politik. Natürlich über Bundespolitik. Natürlich über die Flüchtlingsfrage. Natürlich über die AfD. Mein Gegenüber erscheint mir wie der Prototyp des Willichers: Typ Schwiegersohn, konservativ gekleidet, fleißig, strebsam. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass er CDU wählt.
“Ich will die ganzen Flüchtlinge hier nicht“
Bis er plötzlich sagt: „Ich wähle die Alternative für Deutschland.“ Meine Reaktion: „Warum?“
Er: „Aus Überzeugung. Ich will die ganzen Flüchtlinge hier nicht.“ Es gehe ihm um den Wunsch nach einem echten konservativen Korrektiv im Bundestag, das er in der Merkel’schen Zeit nicht gefunden hat und auch beim heutigen Führungspersonal vermisse. Der CDU Vorsitzende Friedrich Merz sei ein Umfaller. Der wolle sogar mit den Grünen koalieren. Sein Freund stimmt zu. Auch er sagt, dass er die AfD wählt und schaut mich an, als hätte er gerade eine Heldentat vollbracht und wartet nun gespannt auf meine Reaktion.
Ist AfD wählen etwa das neue Rauchen? Etwas, das man vor seinen Eltern, Familienmitgliedern und beim ersten Date lieber erstmal geheim hält? Die beiden Männer kommen immer mehr in Fahrt. Das Establishment habe auf ganzer Linie versagt und deswegen – so ihre gemeinsame Argumentation – bliebe nur noch eine Alternative, die Alternative für Deutschland eben. Ob ich das denn nicht selbst erkennen würde?
Satz macht mich baff: „Die Grünen wollten Sex mit Kindern“
Ich frage die beiden, ob sie überhaupt wissen, wofür die AfD wirklich steht. Kennen sie das Parteiprogramm? Wollen sie nur das Chaos bei der Migration beenden oder sollen Polizisten an der Außengrenze auf Flüchtlinge schießen dürfen? Erwartungsvoll schaue ich die beiden an. Typ Schwiegersohns Antwort beinhaltet bloß einen einzigen Satz: „Die Grünen wollten Sex mit Kindern.“
Ich bin baff. Mit dieser Antwort habe ich nicht gerechnet. Ich entgegne, dass es zwar stimme, dass in den Anfangsjahren die Position pro Pädophilie von Minderheitsströmungen innerhalb der Grünen besetzt worden wäre, sich die Grüne Partei davon aber klar distanziert. Und was überhaupt habe die weit zurückliegende grüne Vergangenheit mit seiner Stimme für die AfD zu tun?
Die Argumentationskette von dem Typ Schwiegersohn: Sobald die AfD in Regierungsverantwortung komme, werde sie sich mäßigen. Die extremen antidemokratischen Strömungen würden sich ausmerzen. Genauso wie damals bei den Grünen. Dafür werde die AfD einen starken und möglichst konservativen Einfluss auf den Koalitionspartner haben. Sein Wunsch sei schwarz-blau. Und Alice Weidel sei doch auch wirklich super, intelligent, eine Königin.
Höcke nein, aber Weidel schon
Ich schüttele mit dem Kopf: „Du wählst mit deiner Stimme nicht bloß Alice Weidel und einzelne Punkte im Parteiprogramm, die dir gefallen. Du wählst auch einen wie Björn Höcke und viel schlimmer eine Partei, die in Teilen als gesichert rechtsextrem gilt. Wirst du deiner Rolle als verantwortungsvoller Wähler gerecht, wenn du der AfD mit voller Wahlstimme die gesamte Macht in die Hand gibst?“
Typ Schwiegersohn gibt zu: Gut, den rechten Höcke müsse man loswerden. Aber er wähle auf Bundesebene ja auch nicht Höcke. Sondern Weidel. Und er wolle jetzt auch nochmal klarstellen, dass er kein Rechtsextremist ist. Er sei während seines Studiums mal in einer Burschenschaft gewesen. Er habe sogar einen Schmiss. Ob ich eigentlich wüsste, was das ist, ein Schmiss. Eben jene Burschenschaft sei ihm dann aber zu rechts gewesen und er sei ausgetreten. Er habe auch nichts gegen Flüchtlinge, aber wolle, dass diese sich integrieren und nicht einfach jeder kommen kann. Und die etablierten Parteien würden beim Thema Migration jawohl komplett versagen.
Wir müssen die Meinung der anderen tolerieren
Meinen Einwurf, dass die AfD Höcke braucht, weil viele AfD-Wähler eben genau darauf stehen, wischt Typ Schwiegersohn vom Tisch. Sein Tischnachbar, nickt eifrig und verkündet erneut: Ja, ich wähle die AfD. Viel mehr sagt er an diesem Abend nicht. Ihn scheint unsere politische Diskussion zu langweilen. Auch ich bin nun etwas erschöpft. Die anderen zwei auch. Wir bestellen die nächste Runde. Weißwein für mich. Alt Bier für meine zwei Diskussionspartner. Der Wirt stellt uns Schnäpse auf den Tisch. Wir werden uns heute nicht mehr einig. Das Taxi am Ende teilen wir uns trotzdem. Ich setze die zwei bei sich zu Hause ab und fahre weiter nach Düsseldorf.
Wann haben Sie das letzte Mal mit jemandem diskutiert, der so gar nicht Ihrer Meinung war? Meinungsfreiheit wird nur dadurch verteidigt, dass wir von ihr Gebrauch machen. Wir müssen nicht mit dem einverstanden sein, was unser Gegenüber sagt, aber wir müssen die Meinung der anderen tolerieren. Das Recht auf Meinungsfreiheit verteidigen. Das Recht auf Andersartigkeit. Oder wie der Schriftsteller Theodor Fontane seinen Romanhelden Dubslav von Stechlin sagen lässt: „Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.“
Wir lesen, wenn Sie mögen, uns nächste Woche Samstag wieder!
Ihre Nena Brockhaus