Im Juni 2023 sterben zehntausende Fische vor der texanischen Golfküste, die Kadaver häufen sich am Strand. Sie sind erstickt, der Nordatlantik hat zu wenig Sauerstoff gebunden, weil es zu warm wurde. Denn: Bereits seit März 2023 steigt die globale Meerestemperatur unaufhörlich, Rekorde werden täglich gebrochen. 

Ein Jahr später hat die marine Hitzewelle nicht aufgehört. Tag für Tag steigt die Temperatur-Kurve, in dem die Ozeanografen die Anomalien in den Weltmeeren festhalten. Meeres- und Klimaforscher suchen seit einem Jahr nach Antworten. Was steckt hinter den unaufhörlich steigenden Werten?

Hinter erschreckendem Wärme-Rekord steckt ungelöste Atlantik-Anomalie

Hinter der Wärme-Kurve steckt vor allem die Atlantik-Anomalie. Nun schon seit etwa einem Jahr liegt die mittlere Oberflächentemperatur im Nordatlantik an jedem einzelnen Tag auf dem höchsten Tagesstand seit Messbeginn vor rund 40 Jahren – meist sogar mit großem Abstand zum bisherigen Tagesrekord. Das geht aus Daten der Plattform „Climate Reanalyzer“ der University of Maine hervor, die sich unter anderem auf Satellitenmessungen stützt. Am 7. März vergangenen Jahres startete die durchgehende Kurve der Tagesrekordtemperaturen im Nordatlantik. Bei den Weltmeeren insgesamt begann sie am 14. März.

Heute übertrifft die Kurve sogar die Rekordwerte des vergangenen Jahres. Der EU-Klimawandeldienst Copernicus verzeichnet eine durchschnittliche Oberflächentemperatur der Weltmeere von 21,06°C. Ein Temperatur-Sprung der im System Weltmeere Welten bedeutet. 

„Wenn man sich anguckt, wie die Temperaturentwicklung in den Ozeanen der anderen 40 Jahre war, kann man sehen, dass die derzeitige Erwärmung wirklich weit außerhalb der natürlichen Schwankungen liegt“, erklärt Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Sie ist auch außerhalb dessen, was wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten an Erwärmung beobachtet haben.“ 

Auch im Pazifik werden Meereserwärmungen beobachtet, diese hängen aber mit dem Klimaphänomen El Nino zusammen, ist sich die Forschung vorerst sicher. Denn: Das Klimaphänomen El Nino pumpt derzeit Wärme aus den Meerestiefen im Pazifik nach oben. Dennoch beobachten die Ozeanografen auch den Pazifik weiterhin sehr genau. Verglichen mit anderen El-Nino-Jahren sorgt auch die Temperatur-Kurve im Pazifik für Bedenken. So langsam beginnt El Nino zu schwächeln und wird wohl bald vom Schwester-Phänomen La Nina abgelöst. Dann müsste die Temperatur im Pazifik wieder sinken. Eigentlich. 

Während die Forschung im Pazifik Erklärungen parat hat, ist das Rätsel um die Atlantik-Anomalie noch nicht gelöst. Was steckt hinter den Schwankungen, hinter dem immensen Hoch im Nord-Atlantik? Seit einem Jahr suchen Forscher nach Antworten, werfen Thesen in den Raum, werten Daten aus, diskutieren auf der weltgrößten Ozeanografenkonferenz in New Orleans über die verschiedenen Faktoren. Die Forscher debattieren, welche Theorie wahrscheinlicher ist. Eine eindeutige Antwort wurde noch nicht gefunden, aber drei Theorien stehen im Raum.

Faktor Nummer 1: Klimawandel

Der Klimawandel hat definitiv etwas mit der Erwärmung des Atlantiks zu tun. Denn: Ein Großteil der von Menschen gemachten Erwärmung wird nämlich im Meer gespeichert. Der Meeresforscher Mojib Latif erklärt gegenüber FOCUS online Earth: „Ungefähr 90 Prozent der Wärme, die durch den Anstieg der Treibhausgase im System verbleibt, werden gegenwärtig von den Ozeanen aufgenommen. Deswegen sehen wir die Erwärmung der Ozeane auch schon bis in Tiefen bis 2000 Meter, in einigen Meeresregionen sogar noch tiefer. 

Die globale Erwärmung würde sich beschleunigen, wenn die Meere als Hitzespeicher an Effizienz verlieren.“ Bislang seien die Wärme-Speicher in den Meeren allerdings noch nicht voll. Dennoch ist sich Latif gewiss: „Die Hauptursache dafür, dass alle Ozeane so warm sind, ist natürlich der Mensch. Das darf man nicht vergessen.“ 

Faktor Nummer 2: Passatwinde

Obgleich der Klimawandel eine bewiesene Rolle bei der Meereserwärmung spielt, muss es noch andere dynamische Effekte geben, meint Levermann mit Blick auf die weltweite Erwärmung der Meere. Die Systeme beeinflussen und bedingen sich gegenseitig. Ein Beispiel: Die Passatwinde, die über den Nord-Atlantik ziehen, waren vergangenen Frühjahr besonders schwach – und dementsprechend schwach auch deren Abkühlungseffekt auf der Meeresoberfläche. 

Für Helge Gößling, Klimaphysiker des Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven, ist die Passatwind-Theorie jedoch nicht ganz schlüssig. Diese Entwicklung hätte im Laufe des Winters abklingen müssen, was nicht geschehen sei. „Übrigens ist ja auch der Südatlantik jetzt dazugekommen. Auch der ist seit ungefähr Dezember ungewöhnlich warm.“ Das müsse noch genauer untersucht werden.

Faktor Nummer 3: Sauberere Schiffsfahrt

Doch für die Erwärmung des Nordatlantiks gibt es laut Gößling verschiedene Erklärungsansätze. Die Schiffsemissionen unterliegen seit 2020 strengeren Vorschriften. „Das heißt, die Schwefelverbindungen, die dabei emittiert werden, sind jetzt reduziert worden.“ Die Verbindungen haben einen kühlenden Effekt auf das Klima, da Sonnenstrahlen von den Emissionenn reflektiert wurden. Allerdings sei es unwahrscheinlich, dass man damit die ganze Anomalie im Atlantik erklären kann, erklärt Gößling der Deutschen Presse-Agentur.

Die unbekannte Ursache, die bekannten Folgen

„Also diese Anomalie, die wir jetzt global sehen, und die wir vor allen Dingen auch im Nordatlantik sehen, da habe ich noch keine Idee, wie wir die wirklich erklären können“, betonte Levermann. Zwar sind die Ursachen noch nicht vollends geklärt, die Konsequenzen der globalen Hitzewelle im Meer sind allerdings bekannt. 

„Wir haben 1,2 Grad Erwärmung im globalen Mittel beobachtet und die Kontinente haben sich im Schnitt bereits um mehr als zwei Grad erwärmt“, sagte Levermann. 

Mit der Erwärmung der Meere dehnt sich das Wasser darin aus. Zusammen mit der Eisschmelze lasse das den Meeresspiegel immer rascher steigen, so Levermann: „Am Anfang des letzten Jahrhunderts hatten wir rund einen Zentimeter pro Jahrzehnt Meeresspiegelanstieg, am Anfang dieses Jahrhunderts rund drei und jetzt mittlerweile schon etwa fünf.“

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Auch für die Ökosysteme im Meer habe die Erwärmung fatale Folgen, betonte der Experte. Die Erwärmung der Ozeane bringe unzählige Nahrungsketten und -netzwerke durcheinander. „Das hat Folgen nicht nur für die Meereslebewesen, sondern auch auf die Fischerei und damit auch die Ernährung der Menschen.“

Außerdem ist mit mehr zerstörerischeren Extremwetterereignissen zu rechnen: Ozeanforscher Latif wies darauf hin, dass Starkregen häufiger werden könnte, weil mehr Wasser verdunstet und wärmere Luft mehr Wasserdampf halten kann, der irgendwann als Niederschlag herunterkommt. 

Die Konsequenzen der Meereserwärmung betreffen nicht nur die Fische. Welche Auswirkung die marinen Hitzewellen auf das Extremwetter haben, erlebten letzten Sommer auch die Menschen in Griechenland, Bulgarien und in der Türkei.





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