Grevesmühlen. Riesenärger um die ehemaligen Bahnwärterhäuschen in Nordwestmecklenburg: Die Bauordnungsbehörde des Landkreises hat einige Eigentümer der bis zu 130 Jahre alten Gebäude, die entlang der Bahnlinien im Landkreis stehen, aufgefordert, sich einen neuen Wohnort zu suchen.

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Einer von ihnen ist Tim Hoppe, er hat vor drei Jahren das Bahnwärterhäuschen in Plüschow gekauft, das an der Strecke zwischen Lübeck und Bad Kleinen liegt. 1870 wurde die Bahnlinie eingeweiht, gleichzeitig entstanden die Häuser an den Bahnhöfen, Weichen und Übergängen. Mehrere Dutzend sind es allein in Nordwestmecklenburg.

Behörde: Bahnwärterhäuschen sind Betriebswohnungen

Das Haus von Tim Hoppe wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, seitdem ist es auch bewohnt, die überwiegende Zeit allerdings von Mitarbeitern der Bahn. Für Tim Hoppe ist das Thema Wohnen nach dem Willen der Behörden im Mai vorbei. Dann soll der junge Mann, der das Backsteinhaus liebevoll saniert hat, ausziehen.

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Begründung: Das Haus sei eine reine Betriebswohnung, als solche errichtet und genehmigt worden. Mit dem Verkauf der Deutschen Bahn an eine Privatperson sei das Wohnrecht für den privilegierten Außenbereich – so der Fachjargon – hinfällig. Hoppe hat sich mit Anwalt Jens Wichmann einen Experten für diesen Bereich genommen und Widerspruch eingelegt.

Rechtsanwalt sieht gute Chancen für seinen Mandanten

Rechtsanwalt Jens Wichmann, Baurechtsexperte aus Schwerin und unter anderem Lehrbeauftragter der Hochschule Wismar, sieht gute Chancen für seinen Mandanten. „Denn zum einen hat Herr Hoppe eine Baugenehmigung, in der aufgeführt ist, dass es sich um ein Bahnwärterwohnhaus handelt. Zum anderen ist das Gebäude seit über 100 Jahren nicht mehr in seiner ursprünglichen Form notwendig gewesen, sondern nur als Wohnhaus genutzt worden.“

Tim Hoppe hat ein Bahnwärterhäuschen in Plüschow gekauft.

Tim Hoppe hat ein Bahnwärterhäuschen in Plüschow gekauft.

Wie Jens Wichmann erläutert, habe sein Mandant herausgefunden, dass die Schienen in den Anfangsjahren auf die Bohlen genagelt worden waren. „In regelmäßigen Abständen mussten diese Nägel wieder reingeschlagen werden, wenn eine bestimmte Anzahl Züge darüber gefahren war. Als man dann dazu überging, die Schienen mit Schrauben zu befestigen, waren diese Mitarbeiter nicht mehr notwendig, die Funktion des Bahnwärterhäuschens war damit hinfällig.“ Mit diesen Argumenten sieht sich Wichmann gut gewappnet, zur Not auch vor dem Verwaltungsgericht zu klagen.

Das Bahnwärterhaus in Plüschow (Nordwestmecklenburg).

Das Bahnwärterhaus in Plüschow (Nordwestmecklenburg).

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Verkauf der Gebäude ändert den Status

Hoppe ist nicht der einzige, der dem Baurecht zum Opfer gefallen ist. Hintergrund sind zum einen der besondere Status dieser Gebäude, zum anderen die nicht immer leicht verständliche Auslegung des Baurechts. Kurz zusammengefasst: Die Bahn hat vor Jahrzehnten diese Häuser für ihre Bediensteten als Betriebswohnungen auf ihren Grundstücken errichtet. Und zwar schon damals unabhängig vom allgemeinen Baurecht.

Diese Regelung überstand zwei Weltkriege, die deutsche Teilung und auch die Wiedervereinigung. Ein Ende setzte ihr jedoch die Umstrukturierung der Deutschen Bahn, die deutschlandweit in den vergangenen Jahren den Großteil dieser Bahnwärterhäuschen verkaufte, weil die Digitalisierung und Zentralisierung sie überflüssig machte. Wurden die Käufer hinters Licht geführt?

Das Bahnwärterhäuschen in Plüschow, dahinter befindet sich das ehemalige Bahnhofsgebäude.

Das Bahnwärterhäuschen in Plüschow, dahinter befindet sich das ehemalige Bahnhofsgebäude.

Bahnsprecher: Käufer wurden über Status informiert

Wie eine Anfrage der OSTSEE-ZEITUNG an die Deutsche Bahn ergab, seien die Käufer sehr wohl über das Problem mit dem wegfallenden Wohnrecht informiert worden. Sprecher Gisbert Gahler, zuständig für Mecklenburg-Vorpommern: „Das geht aus der Beschreibung der Immobilie hervor. Diese Gebäude wurden nicht zu Wohnzwecken gebaut. Bahnwärterhäuschen sind ehemals für betriebliche Zwecke, ähnlich wie Stellwerksgebäude, genutzte Immobilien, die nach den einschlägig bekannten Regularien veräußert werden.“

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Auch Tim Hoppe räumt ein, dass die Vertreter der Bahn ihn darauf hingewiesen hätten, dass es zu Problemen kommen könnte. „Aber ich habe damals ein Einfamilienhaus gekauft, die Bahn hat mir einen Energiepass für ein Einfamilienhaus mit übergeben, ich zahle Grundsteuer für ein Einfamilienhaus, für mich war die Rechtslage eindeutig. Dass ihn die Bauaufsichtsbehörde nun tatsächlich auffordert, sein Haus zu verlassen, nachdem er eine Bauvoranfrage gestellt hatte, habe er sich nicht träumen lassen. „Was soll denn mit diesen Gebäuden passieren, wenn niemand dort wohnen darf?“

Immobilienservice der Bahn

Nach wie vor veräußert die Deutsche Bahn Immobilien, die das Unternehmen nicht mehr benötigt. Auch Bahnwärterhäuschen sind noch im Angebot. Aktuell gibt es eine Anzeige für ein Gebäude bei Sebnitz in Sachsen, 35 000 Euro sind aufgerufen für das Haus mit Grundstück im Außenbereich. Dass man dort nicht wohnen darf, steht nicht explizit in der Anzeige. Nur: „Das Grundstück, zur Bahnanlage gehörend, befindet sich im Außenbereich nach § 35 BauGB.“ Dahinter verbirgt sich der Hinweis, dass man sich vor dem Kauf mit der zuständigen Baubehörde in Verbindung setzen sollte, ob dort Wohnen erlaubt ist oder nicht.

Bauaufsichtsbehörde überprüft weitere Fälle

Diese Frage sei in der Tat schwierig zu beantworten, sagt Katrin Patynowski, Stellvertretende Landrätin von Nordwestmecklenburg und unter anderem für den Bereich Bauen und Bauordnung verantwortlich. „Wohnrecht in einem Außenbereich zu ermöglichen, ist fast unmöglich“, sagt die Expertin, deren Mitarbeiter die entsprechenden Schreiben verschickt haben. Und zwar nicht nur an Tim Hoppe.

Aktuell sei laut Bauordnungsbehörde für ein weiteres Bahnwärterhäuschen eine Nutzungsuntersagung ausgesprochen worden, die bereits aus dem Jahr 2016 stamme. Hierzu sei noch ein Gerichtsverfahren anhängig. „Weitere sechs Bahnwärterhäuschen waren bereits Gegenstand bauaufsichtsrechtlicher Verfahren, in denen es stets zu abgelehnten Anträgen auf Nutzungsänderung oder der entsprechenden Vorbescheide kam“, teilt der Landkreis mit. In einem Fall sei ein Baustopp angeordnet worden.

Katrin Patynowski, Beigeordnete des Landrates

Katrin Patynowski, Beigeordnete des Landrates

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Laut Katrin Patynowski gebe es vonseiten des Verwaltungsgerichtes in Schwerin bislang eindeutige Aussagen. „Wo es keinen entsprechenden Bebauungsplan und auch keinen Flächennutzungsplan der Kommune gibt, besteht kaum eine Möglichkeit, in den Bahnwärterhäuschen zu wohnen.“ Sie als Lagerraum zu nutzen, sei hingegen möglich.

Bahnwärterhäuschen: Bebauungsplan kann das Problem lösen

Eine Lösung wäre die Aufstellung eines Bebauungsplanes, der festgelegt, was in den einzelnen Baufenstern möglich ist. Solch ein B-Plan setzt jedoch einen Flächennutzungsplan (F-Plan) voraus, den setzt die betroffene Kommune auf, um für ein bestimmtes Areal eine grobe Richtung festzulegen, ob es sich in Richtung Misch-, Gewerbe- oder ein Wohngebiet entwickeln soll. „Aber so etwas macht keine Gemeinde für ein oder zwei Häuser“, sagt Katrin Patynowski.

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Mehr Glück haben Eigentümer eines Bahnwärterhäuschens, das sich innerhalb eines B-Plan-Gebietes wie beispielsweise in Städten und Dörfern befindet. Dort ist eine Umnutzung kein Problem, die meisten dieser Häuser befinden sich allerdings im Außenbereich.

OZ



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